Sautner, Thomas - Pavillon 44

Sautner, Thomas - Pavillon 44

Veröffentlicht am 04.02.2025

Roman über eine psychisch diffuse Welt.

Die Welt, sagt Dimsch, ist eine Irrenanstalt, denn alle Menschen irren. Aber in diesem Buch, sagt Dimsch, steht die Wahrheit und nichts als die Wahrheit und noch viel mehr.

Ja, tatsächlich! In diesem Buch steht tatsächlich noch viel mehr. Der Schauplatz dieses Buchs ist eine psychiatrische Anstalt am malerischen Rande Wiens, wo der teils umstrittene Primar Siegfried Lobell sich mit ganz speziellen Fällen umgibt. Insgeheim erhofft sich der Seelenkundler Erkenntnisse über das Rätsel Mensch, über den eigenartigen Zustand der Welt und vor allem über sich selbst. In diese psychisch diffuse Welt begibt sich eines Tages eine junge Schriftstellerin. Sie wolle als Gast für ein Buch recherchieren.

Ihre Bleibe findet sie in Lobells Pavillon 44. In der Folge nimmt sie engeren Kontakt zu Lobell und zu seinen Patientinnen und Patienten auf. Etwa zu dem Patienten Dimsch, der mit seinem trinkfreudigen Freund in einem Mausoleum eine feuchtfröhliche Party feiert. Allerdings ist dieser Freund verstorben und liegt in seinem Sarg. Dimsch wird schließlich völlig nackt vom Dach des Mausoleums geborgen und in die Anstalt eingeliefert. In den Pavillon 44 versteht sich. Da ist auch ein völlig verstörter junger Mann, der vor dem Ertrinken gerettet wurde und sich Jesus nennt. Er sei auf dem Weg zum Vater, behauptet er hartnäckig. Und da ist auch eine junge depressive Patientin, die den Primar unflätig beschimpft. Ja, und da ist noch ein altes Weiblein, welches tagtäglich Auszüge aus Wagner-Opern dahinträllert.

Nachdem eines Tages Dimsch und Jesus aus der Anstalt entweichen und der Wienerstadt einen Besuch abstatten, kommt die Handlung des Buches gehörig in Bewegung. Jesus erweckt im Stephansdom durch eine Predigt von der Kanzel große Aufmerksamkeit, er besucht mit seinem Begleiter auch eine jüdische und moslemische Glaubensstätte, wo er auf Akzeptanz stößt. Primar Lobell trifft sich mit seinem Freund, dem Wiener Bürgermeister, in einem noblen Café und kommt dabei nicht umhin, sich mit trotzigen Eskapaden der Bürgermeistersgattin zu befassen.

Und so beginnt der Autor ungemein geschickt die Ereignisse zu verdrehen. Es stellt sich immer mehr die Frage, ob nicht das, was sich „normale Welt“ nennt, verrückt ist, oder die geschlossene Anstaltswelt der für verrückt Gehaltenen die „normale Welt“ sei. Ab dieser Entwicklung rate ich der geehrten Leserschaft zur Vorsicht. Thomas Sautner spielt in einem wahren und meisterhaften Furioso geschickt mit diesen „Weltverdrehungen“, sodass man über kurz oder lang in dem turbulenten Geschehen völlig verstrickt ins Nachdenken gerät und sich heimlich zu hinterfragen beginnt, wie es um die eigene Geisteshaltung und Lebenseinstellung steht. Dass die junge Schriftstellerin den „seelischen Verlockungen“ und medikamentösen Verführungen schließlich nicht widerstehen kann, scheint offenbar vom Autor bereits im Vorhinein beabsichtigt gewesen zu sein.

„Pavillon 44“ ist ein bemerkenswertes Buch, voll von nachdenklich machenden Denkweisen und Lebensphilosophien. Also, bitte unbedingt lesen! Eine Anmerkung des Verlags sei der guten Ordnung halber hier noch angefügt: Die Menschen und Vorkommnisse in diesem Roman sind fiktiv. Namen real existierender Personen, Orte, Firmen, Marken und Institutionen beziehen sich ausschließlich auf erfundenen Stoff, nicht auf die Wirklichkeit.
Adalbert Melichar

Sautner, Thomas - Pavillon 44
Roman. Wien: Picus 2024. 458 S. - fest geb. : € 26,95 (DR ISBN 978-3-7117-2149-5

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