Ben Saoud, Amira - Schweben

Ben Saoud, Amira - Schweben

Veröffentlicht am 03.06.2025

Leben in einer postapokalyptischen Siedlung.

„Früher war an Aufträge zu kommen mein geringstes Problem. Genügend Menschen verblieben gerne in ihren selbstzerstörerischen Gewohnheiten, waren besessen von dem, was ihnen nicht gut tat. Wer sich das eingestehen konnte und Bedarf an meinen Diensten hatte, hatte mich immer von selbst gefunden.“ Die namenlose Ich-Erzählerin von Amira Ben Saouds Debütroman imitiert Frauen, die verstorben oder aus dem Leben ihrer Familien oder Partner verschwunden sind. Sie trägt nicht nur deren Kleidung, sondern gleicht sich den Personen physisch wie psychisch an.

Es ist eine postapokalyptische Welt, eine neue Eiszeit, Menschen leben in Siedlungen, die „das System“ regiert. Die Ich-Erzählerin ist wie viele permanent müde und hat ein schwaches Gedächtnis. „Das System“ behauptet, dass die Siedlung einer der wenigen noch lebenswerten Flecken des Planeten ist, wo Gewaltfreiheit herrscht. Doch Neugier lockt so manchen aus der Siedlung und lässt ihn nicht wiederkehren ...

Der aktuelle Auftrag lässt die Ich-Erzählerin in die Rolle einer gewissen Emma schlüpfen. Ihr Auftraggeber ist Gil, den Emma vor acht Monaten verlassen hat. Sie hat angeblich „die Siedlung verlassen“, was so viel heißt wie sie lebt nicht mehr. Die beiden haben eine toxische Beziehung geführt. Die Ich-Erzählerin verliebt sich in Gil und beginnt ihre Tätigkeit und das Leben in der Siedlung zunehmend zu hinterfragen. Parallel dazu ist von Ereignissen am Rande der Siedlung zu hören, die eine baldige neue Katastrophe bedeuten könnten und ungewöhnliche Phänomene beginnen sich zu häufen: Menschen beginnen zu schweben ...

Dystopische Welten sind seit Jahren beliebte Szenarien für Serien bekannter Streamingdienste und für Autorinnen und Autoren, um Fragen von menschlicher Identität und Gewaltbereitschaft unter Extrembedingungen zu verhandeln, Natur versus Kultur, Gewalt gegen Frauen und Minderheiten, Klimakrise und kriegerische Szenarien. Auch Amira Ben Saoud entscheidet sich für so eine Welt, um ihre Fragen und Gedankenexperimente zu formulieren. Auf sparsamen 200 Seiten macht sie dies unaufgeregt und sprachlich solide. Eine interessante, neue Stimme, die noch mehr wagen könnte.
Julie August

Ben Saoud, Amira - Schweben
Roman. Wien: Zsolnay 2025. 192 S. - fest geb. : € 24,95 (DR) ISBN 978-3-552-07520-7

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