Brehm, Doris - Eine Frau zwischen gestern und morgen

Brehm, Doris - Eine Frau zwischen gestern und morgen

Veröffentlicht am 01.10.2025

Zeitdokument und tiefgreifender Familien-, Gesellschafts- und Liebesroman.

Zu einem in der österreichischen Literaturlandschaft längst fälligen Projekt hat man sich glücklicherweise im Haymon Verlag entschieden. Wann, wenn nicht jetzt? Der Verlag überrascht mit einer neuen Buchreihe unter dem vielsagenden Titel „Haymon Her Story“ und widmet sich der Wiederentdeckung vergessener Literatur von Frauen (herausgegeben von der österreichischen Schriftstellerin Bettina Balàka).

Mit dem Roman von Doris Brehm (geboren am 10. Mai 1908 in Dresden, gestorben am 15. Jänner 1991 in Wien, Leihbibliothekarin, Schriftstellerin, Lektorin, Übersetzerin und mutige Widerstandskämpferin gegen das Regime der Nationalsozialisten) hat man bereits einen guten Griff getan. Dieser liest sich einerseits als klarsichtiges und glaubhaftes Zeitdokument, die Wirren und den Naziterror des Zweiten Weltkrieges in Wien betreffend und andererseits als tiefgreifender Familien-, Gesellschafts- und Liebesroman, der auch heute noch, nach Verlauf von mehr als acht Jahrzehnten, ob seiner schonungslos dargestellten menschlichen Charaktere und deren Zusammen- und Gegen-spiels innerhalb einer Kriegsfamiliengemeinschaft tief betroffen macht.

Im Mittelpunkt dieses Romans, der im Jahr 1955 veröffentlicht wurde, stehen Gerda Manner, ihr Ehemann Theo und deren Tochter Luzie. Mit der Protagonistin Gerda wird eine mutige und umsichtige Frau in den Mittelpunkt des Geschehens gestellt, die auch in diesen schweren Kriegszeiten unbedingte Menschlichkeit, Großzügigkeit, Nächstenliebe und Menschennähe vorlebt. Letztlich leistet sie aber auch gegenüber ihrem weitaus älteren, autoritären und frauenverachtenden Mann, mit dem sie in Wien eine gut gehende Leihbücherei betreibt, aktiven Widerstand, als sich dieser mehr und mehr von der NS-Ideologie verführen lässt.

Der Roman gewinnt in der Folge an Dramatik, nachdem Gerda, in kriegsbedingter Abwesenheit ihres Mannes, unter Lebensgefahr die Jüdin Mira Goldberg und den untergetauchten Hausarzt Kurt Bachner als sogenannte „Unterseeboote“ in einem geheimen Abteil ihres Wohnbereichs vor der Gestapo und ihren zahlreichen Spitzeln Unterschlupf gewährt. Hier gelingt es der Autorin meisterhaft, das Zusammenleben einer ums nackte Überleben kämpfenden Zwangsgemeinschaft samt ihren zwischenmenschlichen Stärken, Schwächen und Zwängen vor Augen zu führen.

Zum Ende hin in dieser wirklich betroffen machenden Lektüre erfährt man Schritt um Schritt vom weiteren Schicksal der handelnden Personen. Luzie muss um ihren Freund trauern, der nach seiner Verschleppung in einem Konzentrationslager sein Leben lassen muss. Der Arzt Kurt Bachner geht in den Widerstand. Mira Goldberg kämpft sich in ein geordnetes Leben zurück und Theo Manner kommt nach seiner Kriegsgefangenschaft in seine sogenannte Familie zurück, die für ihn keine mehr ist. Und Gerda Manner, die stille Heldin? Sie verbleibt so lange am Krankenbett Kurt Bachners, ihrer bisher gelebten, aber öffentlich uneingestandenen Liebe, bis dieser für immer die Augen schließt. So bin ich als Rezensent mit dem für mich vorerst als ziemlich vage erscheinenden Titel ebenfalls handelseins.
Adalbert Melichar

Brehm, Doris - Eine Frau zwischen gestern und morgen
Roman. Innsbruck: Haymon 2025. 307 S. - fest geb. : € 25,95 (DR) ISBN: 978-3-7099-8253-2

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