Brot und Spiele - „Es muss nicht immer ein Roman sein“

Brot und Spiele - „Es muss nicht immer ein Roman sein“

Veröffentlicht am 12.03.2023

Thomas Ballhausen im Gespräch mit Max Haberich, Gründer des Verlags

Mit dem in Wien angesiedelten Verlag „Brot und Spiele“ hat sich der Autor und Schnitzler-Spezialist Max Haberich mit einem gleichermaßen anspruchsvollen wie thematisch klar fokussierten Unternehmen in der deutschsprachigen Buchlandschaft platziert: „Der Kurzgeschichtenverlag“, so der erweiterte Name, setzt sich für Kurzprosa ein, bibliophil edierte Klassiker stehen dabei neben Positionen der Gegenwartsliteratur. Im Gespräch mit Thomas Ballhausen erzählt Haberich von der Verlagsgründung, von der Überlegungen zu formalen wie auch inhaltlichen Ausrichtung – und er gewährt erste Einblicke in die Highlights der kommenden Programme.

Thomas Ballhausen: Du hast Dich in sprichwörtlich schwierigen Zeiten zur Gründung eines Verlags entschieden. Wie kam es dazu?

Max Haberich: Der Impetus kam von vielen jungen schreibenden Kollegen in der Wiener Literaturszene, die immer wieder beklagt haben, dass Verlage nicht an ihren Kurzgeschichten interessiert sind. Gerade für ein Debüt heißt es überall im deutschsprachigen Raum: Einen Roman her, sonst wird das nichts. Dabei ist es in England und Amerika, auch in Frankreich für einen jungen Autor längst üblich, mit einem Band Kurzgeschichten zu debütieren. Bislang konnte mir kein Buchhändler oder Branchenkollege erklären, warum es bei uns dieses Tabu gegen Kurzgeschichten gibt.

T.B.: Wie sieht, neben Deinen Arbeiten als Literaturwissenschaftler und Autor, Dein Arbeitstag als Verleger aus?

M.H.: Da der Verlag erst ein Jahr besteht und sich noch nicht tragen kann, ist mein Alltag nach wie vor vom Brotberuf bestimmt: Unterricht in der Erwachsenenbildung. In meiner „Freizeit“ kümmere ich mich um die organisatorischen Verlagsaufgaben: Autorenkorrespondenz, Umschlagsgestaltung in Abstimmung mit unseren Grafikern, Planung des nächsten Halbjahresprogramms, der Lesungen und die Verarbeitung der eingehenden Bestellungen. Man verbringt erstaunlich viel Zeit damit, Buchpakete zur Post zu bringen, was wohl ein gutes Zeichen ist.

T.B.: Du hast wissenschaftlich auch viel internationale Erfahrung gesammelt. Wie gehen diese Erkenntnisse in Deine Verlagsarbeit ein?

M.H.: Meine Promotion über jüdische Identität in der Wiener Moderne hilft bei der Auswahl und Edition unserer Klassiker-Reihe sehr, in der wir vergessenen Autoren der Zeit um 1900 wieder zu einem breiteren Publikum verhelfen wollen. Wenn wir bekanntere Namen herausbringen, wie Kafka und Rilke im vergangenen Herbst, möchten wir unseren Lesern einen Kafka jenseits der „Verwandlung“ nahebringen, also weniger bekannte Geschichten von ihm und eben auch Prosa von Rilke, den man oft nur mit seiner Lyrik verbindet. Seit diesem Jahr liegt unser Schwerpunkt auf den schreibenden Frauen in den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie. Hierbei ist literaturwissenschaftliche Methodik unerlässlich.

T.B.: Gibt es Beispiele in der Verlagswelt, etwa im für Dich nicht unwichtigen englischsprachigen Raum, die Dir als Vorbilder gelten?

M.H.: Ich habe die Buchgestaltung der Londoner Everyman’s Library, die Klassiker der Weltliteratur in hochwertigen Ausgaben herausbringt, immer bewundert. Von dort kommt auch die Idee, ausschließlich Ganzleinenbände zu verlegen.

T.B.: Mit „Brot und Spiele“ hast Du ein Unternehmen begründet, das sich auf die Veröffentlichung von Kurzprosa festgelegt hat. Mit dieser formalen Schwerpunktsetzung geht für Dich auch eine inhaltliche Fokussierung einher – so finden Texte aus den Bereichen Science-Fiction oder Fantasy ebenso wenig Berücksichtigung wie Literatur in gegenderter Schreibweise. Wie kam es zu diesen Entscheidungen bei der Ausrichtung des Verlags?

M.H.: Fantasy und Science-Fiction sind riesige Bereiche, die mit eigenen Verlagen schon gut in der Literaturszene verankert, und nicht auf unsere Hilfe angewiesen sind. Wir wollen uns schon ein wenig spezialisieren, sonst wären wir ja austauschbar. Wir setzen ein Zeichen für stilistisch herausragende und gut lesbare Sprache und eine ideologiefreie deutsche Grammatik. Autoren kommen auch gerade deswegen zu uns und sprechen uns ihren Dank aus, da in anderen Verlagen offenbar politisch geprägte sprachliche Vorgaben „von oben“ zur Voraussetzung einer Veröffentlichung gemacht werden.

T.B.: Wie überträgt sich diese Fokussierung auf Kurzprosa auf die Sichtbarkeit des Verlags? Insbesondere im deutschsprachigen Raum ist man ja als Autor schnell mit der fragwürdigen Vorstellung konfrontiert, Kurzprosa und auch Lyrik wären nur sehr eingeschränkt zu verkaufen oder fänden gar kein Publikumsinteresse. Siehst Du da eine Problematik, die der Buchhandel miterzeugt hat und die es nun wieder mühsam abzubauen gilt?

M.H.: Ehe wir eine Auslieferung gewinnen konnten, bin ich mit Büchern im Rucksack durch Wien geradelt, und habe über 20 Buchhändlern ihre Bestellungen gebracht. Bei der Gelegenheit kamen diese Fragen auch immer wieder zur Sprache, mit dem Ergebnis, dass Buchhändler für Kurzgeschichten sehr offen sind, und das Genre auch für überaus zeitgemäß halten. Beim Publikum ist das ohnehin der Fall. Das Tabu herrscht eher in der Verlagsszene vor, doch auch da scheint die vorwiegende Einschätzung von dortig tätigen Kollegen nicht ablehnend, sondern eher gleichgültig zu sein: „Ist halt so.“ Ich vermute daher, dass es sich hierbei um eine Ansicht handelt, die einfach stets aus Bequemlichkeit wiederholt wurde, ohne sie zu hinterfragen, so dass sie inzwischen zu einer Orthodoxie geworden ist. Ich muss an eine alte Postkarte denken, auf der steht: „Alle haben gesagt, das geht nicht. Da kam einer, der wusste das nicht, und hat’s einfach gemacht.“

T.B.: Für 2023 sind ja mehrere sehr spannende Veröffentlichungen zu erwarten. Wie gehst Du gemeinsam mit Deinem Team im Verlag bei der Programmarbeit vor? Welchen Stellenwert darf oder muss dabei die deutschsprachige Gegenwartsliteratur, nicht zuletzt auch im Verhältnis zur Edition klassischer Texte, spielen?

M.H.: Ich suche mir gemeinsam mit meinen Lektorinnen die Manuskripte aus. Jeder Autor, den wir auswählen, bekommt eine Sammlung seiner Geschichten veröffentlicht. Dabei bringen wir auch jährlich eine Anthologie zeitgenössischer Wiener Autoren heraus. Für diesen Herbst ist ein Band mit neuen Szenen von Schnitzlers Reigen geplant, verfasst von zehn Autoren aus Österreich und Deutschland, welche bislang unbekannte Fotografien der ersten Wiener Reigen-Aufführung von 1921 bereichern sollen. Besonders auf die Beiträge aus weiblicher Sicht bin ich gespannt. Es liegt uns am Herzen, wie vielleicht schon deutlich wurde, eine Brücke zu schlagen zwischen der geistigen Hochblüte der Moderne um 1900 und zeitgenössischer Belletristik. Der Schwerpunkt liegt auf der reichen literarische Tradition Wiens. Das ist aber kein ausschließliches Kriterium, wie unsere zahlreichen Autoren aus Deutschland beweisen.

Infos und Kontakt:

Brot und Spiele. Der Kurzgeschichtenverlag 

https://brotundspieleverlag.net 

lektorat@brotundspieleverlag.net