Bücher hinter Gittern - Die österreichischen Gefangenenbüchereien im Porträt

Bücher hinter Gittern - Die österreichischen Gefangenenbüchereien im Porträt

Veröffentlicht am 05.11.2024

Silke Rabus über die österreichischen Gefangenenbüchereien.

Von Eisenstadt bis Feldkirch und von Klagenfurt bis Suben: In Österreich gibt es 28 Justizanstalten, darunter allein zehn in Niederösterreich und acht in Oberösterreich.

Sieben Strafvollzugsanstalten wurden speziell für Männer eingerichtet, die Freiheitsstrafen von mehr als 18 Monaten abbüßen müssen. Die Strafvollzugsanstalt Schwarzau in Niederösterreich wiederum nimmt ausschließlich Frauen auf und das einzige Jugendgefängnis soll noch 2024 unter dem Namen Münnichplatz an die Justizanstalt Simmering in Wien angeschlossen werden. Dazu kommen vier Anstalten für den Maßnahmenvollzug, 15 gerichtliche Gefangenenhäuser sowie zwölf Außenstellen, die zum Teil als landwirtschaftliche Betriebe geführt sind – beispielsweise in Rottenstein: Die Außenstelle der Justizanstalt Klagenfurt bewirtschaftet nicht nur einen Milchviehbetrieb, sondern hält auch Schweine und Kärntner Brillenschafe.

Eine Bücherei pro Justizanstalt

Alle Justizanstalten, so regelt es das Strafgesetzbuch § 59, führen auch eine sogenannte Gefangenenbücherei: „In jeder Anstalt zum Vollzug der Freiheitsstrafen ist eine Bücherei einzurichten, aus der die Strafgefangenen Bücher und Zeitschriften entlehnen können“, heißt es dort. Die Bibliotheken werden damit durch die öffentliche Hand aus dem Budget der jeweiligen Justizanstalt finanziert. Ihre Organisation vor Ort erfolgt jedoch ganz unterschiedlich: „Die Justizanstalten haben entweder Freihandbibliotheken auf den Abteilungen oder Entlehnmodelle, die an die Organisationsabläufe der Justizanstalten angepasst sind“, erklärt Andrea Moser-Riebniger. Die Ministerialrätin ist Abteilungsleiterin in der Generaldirektion für den Strafvollzug und den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen im Bundesministerium für Justiz und ergänzt: „Die Administration wird von eingewiesenen oder ausgesuchten Insass:innen erledigt, für die Justizwachebeamt:innen zuständig sind.“ Die Vorgabe zur Einrichtung von Gefangenenbüchereien stammt übrigens noch aus dem Strafvollzugsgesetz des Jahres 1969. „Die Bibliotheken haben in den Justizanstalten eine lange Tradition und eine wesentliche Bedeutung“, sagt Andrea Moser-Riebniger: „Die sogenannten Gefangenenbüchereien dienen dem Zweck der erzieherischen Betreuung und Beschäftigung der Strafgefangenen in der Freizeit.“ Im Strafgesetzbuch steht außerdem noch dieser Passus: „Bei der Ausstattung der Büchereien ist auf den Standard öffentlicher Büchereien Bedacht zu nehmen.“ Die Gefangenenbüchereien werden daher von Justizwachebeamt:innen geleitet, die teilweise auch die Bibliothekar:innenausbildung in Strobl absolviert haben.

Die Bibliothek der Justizanstalt Suben

In der oberösterreichischen Justizanstalt Suben beispielsweise sind derzeit rund 340 männliche Insassen inhaftiert. „Eine Besonderheit in unserer Justizanstalt ist der Seniorenvollzug“, erklärt Bezirksinspektor Andreas Cernoch, der die Bibliothek leitet: „Etwa 30 Senioren ab dem 60. Lebensjahr befinden sich in vier Wohngruppen, die altersgerecht eingerichtet sind. Den Senioren wird auch eine SelbA-Gedächtnistraining-Gruppe angeboten, bei der sie die Möglichkeit zum Büchertausch haben.“ SelbA steht übrigens für das Motto „Selbständig und Aktiv“ und ist ein Trainingsprogramm des Katholischen Bildungswerks OÖ für Menschen ab 55 Jahren. In der Justizanstalt Suben, die großteils in den Gebäuden des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstiftes untergebracht ist, befindet sich auch eine Buchbinderei – und natürlich die Bücherei: Auf insgesamt 75 m² werden hier 5.000 Medien in Deutsch und 21 Fremdsprachen angeboten.

Derzeit sind drei Insassen in der Gefangenenbücherei beschäftigt. „Die Ausleihe wird ausschließlich über ein Listensystem abgewickelt. Einzige Ausnahme sind die Senioren der SelbA-Gruppe“, so Andreas Cernoch. Um die Buchbestellungen verwalten zu können, liegen in jeder Abteilung der Justizanstalt Bücherkataloge auf. „Die Insassen bestellen mittels eines Bestellscheins ihre Bücher, die ihnen dann in den Haftraum geliefert werden.“ Zweimal im Jahr werden Medien beim Büchereiservice des ÖGB geordert. „Auswahlkriterien sind neben dem budgetären Voranschlag beispielsweise Wünsche der Insassen, die Rezensionszeitschrift ‚Bücherschau‘, diverse Bestsellerlisten oder Statistiken der beliebtesten Genres im Haus“, berichtet Andreas Cernoch. „Und natürlich Tipps von Kollegen oder eigene Erfahrungen.“

Gefangenenbücherei in Korneuburg

In der Justizanstalt Korneuburg wiederum sind knapp 300 Untersuchungshäftlinge und Strafgefangene mit Haftstrafen bis zu 18 Monate inhaftiert. „Unsere Bibliothek zeichnet aus, dass wir sie das letzte Jahr komplett neu überarbeitet haben, alle Medien wurden durchforstet, neu beschriftet und aktualisiert“, erzählt der Leiter der Gefangenenbücherei, Bezirksinspektor Markus Wallnberger, über die niederösterreichische Bibliothek, die auf rund 100 m2 etwa 6.200 Medien beherbergt. Darunter befinden sich fast 5.000 Bücher, 1.100 DVDs und knapp hundert Gesellschaftsspiele.

In der Bücherei der Justizanstalt Korneuburg, der auch ein Bezirks- und Landesgericht angegliedert wurde und die damit ein gerichtliches Gefangenenhaus ist, arbeiten zwischen vier und sechs Insassen. „Davon wird ein Insasse als ‚Vorarbeiter‘ eingesetzt, dieser kümmert sich um die Eingabe in das Bibliotheksprogramm und leitet die Insassen nach meinen Vorgaben an“, erläutert Markus Wallnberger den Ablauf des Entlehnvorgangs. Auch diese Bücherei ist keine Freihandbibliothek: Die Insassen melden mittels Bücherwunschkarten ihre Medienwünsche an. „Einmal wöchentlich sammeln wir die verliehenen Medien aus den Hafträumen ein und teilen am nächsten Tag die bestellten Medien aus.“ Die Titel im Bestand wählt Markus Wallnberger aufgrund seiner Erfahrung und nach Aktualität aus, teilweise folgt er den Anregungen der Insassen. Nach Bedarf werden beispielsweise auch religiöse Bücher oder Wörterbücher mit Fremdsprachen angekauft.

Zwei Bibliotheken in der Justizanstalt Stein

Die Justizanstalt Stein in Niederösterreich schließlich ist eine Strafvollzugsanstalt. Die Gesamtbelagsfähigkeit beträgt 839 Haftplätze, damit ist sie nach der Justizanstalt Wien-Josefstadt die zweitgrößte Justizanstalt in Österreich – und die größte, nicht einem Landesgericht angeschlossene Strafvollzugsanstalt. „In Stein werden ausschließlich Freiheitsstrafen mit einer Strafzeit von mehr als 18 Monaten vollzogen“, informiert die Bezirksinspektorin Michaela Pschandl, „sowie freiheitsentziehende vorbeugende Maßnahmen.“ Letztere betreffen insbesondere zurechnungsfähige Personen mit schwerwiegender und nachhaltiger psychischer Erkrankung gemäß § 22 sowie §21 Abs. 2 des Strafgesetzbuches. „Die jeweiligen Haftplätze befinden sich in verschiedenen Trakten, weswegen auch der gesamte Buchbestand auf zwei Bibliotheken aufgeteilt wird“, erklärt Michaela Pschandl. In beiden Bibliotheken werden ausschließlich gedruckte Medien wie Bücher und Zeitschriften angeboten. „Derzeit umfasst unser Medienangebot rund 14.000 Exemplare“, so die Bibliotheksleiterin. „Die Bibliothek im Trakt 1 hat eine Raumfläche von rund 70 m2, die Bibliothek im Trakt 2 rund 30 m2.“

In den beiden Bibliotheken der Justizanstalt Stein sind momentan vier Insassen beschäftigt, die unter der Aufsicht einer Justizwachebeamtin stehen. „Alle administrativen Tätigkeiten erledigen die Insassen jedoch weitestgehend selbstständig“, so Michaela Pschandl. Mithilfe des Bibliotheksprogramms „Littera“ werden alle neuen Medien verbucht, anschließend erhalten sie einen Barcode, der bei der Entlehnung gescannt wird. „Somit erhält das System jene Daten, die angeben, welche Bücher sich noch in der Bibliothek befinden und welche verliehen wurden“, erklärt die Bibliotheksleiterin. Beim Verleih eines Buches wird im System eine „Leserkartei“ angelegt. „In dieser Kartei ist somit jener Insasse mit Häftlingsnummer, Name und Beleg ersichtlich, der das Buch entliehen hat.“ Die maximale Verleihdauer der Bücher beträgt drei Wochen. Geben die Insassen die Bücher danach nicht zurück, wird zunächst eine Erinnerung mittels „Hauspost“ ausgesendet, anschließend ergeht an den Insassen eine automatisch vorgefertigte Mahnung. „Auf Wunsch kann die Verleihdauer in den Bibliotheken um weitere drei Wochen verlängert werden“, sagt Michaela Pschandl und ergänzt, dass über das Bibliotheksprogramm „Littera“ auch „Hitlisten“ der ausgeborgten Bücher erstellt werden können.

„Um einen gemeinsamen Qualitätsstandard zu erreichen, werden seitens der Generaldirektion in Kooperation mit dem Büchereiservice des ÖGB auch sogenannte ‚Buchpakete‘ konzipiert und an die einzelnen Justizanstalten ausgesendet“, so Michaela Pschandl – in diesem Jahr zum Thema „Klima & Nachhaltigkeit“. Darüber hinaus wird über das Referat Freizeitgestaltung zweimal pro Jahr eine Buchbestellung getätigt. Vorab können Insassen Buchwünsche äußern, die nach einer Unbedenklichkeitsprüfung bestellt werden. „Um die Bibliotheken zeitgemäß zu halten, wird darauf geachtet, neue und moderne Literatur zu erwerben“, erklärt die Gefangenenbüchereileiterin. „Zudem sind Wörterbücher und Gesetzestexte ein wichtiger Bestandteil im Sortiment der Bibliotheken.“

Was wird gelesen?

Welche Medien in den Gefangenenbüchereien stehen, hängt von den Interessen der Insassen ab. „Belletristik – und hier vor allem Krimis –, Reisebücher und Geschichte werden besonders gerne gelesen“, berichtet etwa Andreas Cernoch aus der Gefangenenbibliothek der Justizanstalt Suben. In der Justizanstalt Korneuburg liegt der Bedarf ein wenig anders. „Besonders gefragt sind Sprachbücher, Sachbücher und religiöse Bücher“, sagt Markus Wallnberger. „Am beliebtesten und damit häufigsten entliehen werden für die Unterhaltung Romane sowie Bücher zum Thema Fitness, Gesundheit und Ernährung“, erzählt wiederum Michaela Pschandl von der Justizanstalt Stein: „Gefolgt wird diese Hitliste von der Literatur über Lebenshilfe und Ratgeber sowie zu verschiedenen psychologischen Thematiken und Wörterbüchern.“

In allen drei hier vorgestellten Bibliotheken spielen Bücher in anderen Sprachen eine besondere Rolle. Von den rund 9.500 Insassen, die die Statistik des österreichischen Justizministeriums mit Stand 1. September 2024 anführt, sind lediglich 4.500 österreichische Staatsbürger:innen. Für einen großen Prozentsatz der Häftlinge ist Deutsch nicht die Muttersprache, dementsprechend hoch ist der Bedarf an fremdsprachiger Literatur. „Durch die große Anzahl ausländischer Insassen kann allerdings nicht jede Sprache angeboten werden“, berichtet Andreas Cernoch aus der Gefangenenbücherei Suben: „Auch ist das Angebot bei den fremdsprachigen Büchern nicht immer sehr breit gefächert. Allerdings haben wir mit rund 500 Titeln einen relativ großen Medienbestand in englischer Sprache, die ja doch weltweit als Universalsprache dient.“ Dies bestätigt auch Markus Wallnberger für die Bibliothek in der Justizanstalt Korneuburg: „Fremdsprachige Angebote sind sehr wichtig, da wir einen sehr hohen Ausländeranteil haben. Jedoch ist der Sprachbedarf unterschiedlich, weil unser Sprengel den Flughafen Schwechat, aber auch die tschechische und slowakische Grenze beinhaltet.“ Michaela Pschandl ergänzt wiederum für die Gefangenenbüchereien der Justizanstalt Stein: „Literatur in englischer, persischer und arabischer Sprache sind aktuell in unseren Bibliotheken am gefragtesten.“

Manche Bücher sind in den Gefangenenbüchereien verboten – und, wohl wegen Aussichtslosigkeit, auch nicht nachgefragt: „Es versteht sich von selbst, dass es keine gewaltverherrlichende, sexistische, dem Terrorismus zugeneigte oder auch nationalsozialistische Literatur in einer Justizanstalt geben kann“, sagt Andreas Cernoch. „Allerdings dürfte das auf jede öffentliche Bibliothek zutreffen.“ Ähnlich sieht das Markus Wallnberger für die Bibliothek in der Justizanstalt Korneuburg. „Nicht angeboten werden in Korneuburg Genres wie Pornografie, radikale religiöse Schriften oder gewaltverherrlichende Literatur.“ Diese Ausschlussliste wird von Michaela Pschandl von der Justizanstalt Stein noch ergänzt: „Jegliches für die JA sicherheitsrelevantes Schriftgut – wie Bücher über Physik und Chemie zum Thema Sprengsatz- und Bombenbau, Giftherstellung oder Waffenbau und -kunde – darf nicht in den Bibliotheken ausgelegt werden.“ Darüber hinaus herrscht äußerste Vorsicht bei arabischen, muslimischen und möglicherweise radikalisierenden Schriften. „Generell ist fremdsprachige Literatur kritisch zu betrachten, da die Möglichkeit einer seriösen Übersetzung im Hause weitgehend fehlt“, weist sie zudem auf die fehlenden Kontrollmöglichkeiten hin. „Bücher mit bedenklichen Inhalten werden mittels externer Unterstützung gefiltert, sodass diese nicht über die jeweilige Justizanstalt in Umlauf gebracht werden können“, bestätigt auch Andrea Moser-Riebniger vom Bundesministerium für Justiz die Problematik.

Welche Herausforderungen gibt es?

Gefangenenbüchereien stehen dabei vor Herausforderungen, die jenen in öffentlichen Bibliotheken manchmal ähneln – und dann wieder ganz anders sind: „Da mich die Welt der Bücher von Haus aus fasziniert, war es für mich nur ein logischer Schritt, die Bibliotheksarbeit in der Justizanstalt Suben zu übernehmen“, sagt etwa Andreas Cernoch: „Eine wirkliche Herausforderung besteht eigentlich nur darin, geeignete Insassen für die Arbeit in der Bibliothek zu finden.“ Ganz ähnlich ist es aus der Gefangenenbibliothek in Korneuburg zu hören. „Mich fasziniert die große Abwechslung und notwendige Flexibilität in der Bibliothek“, sagt etwa Markus Wallnberger. „Ich bin aufgrund der angespannten Personalsituation allerdings sehr oft von meinem Arbeitsplatz eingezogen und muss daher die meisten Tätigkeiten zwischendurch oder an maximal ein bis zwei Tagen in der Woche erledigen.“ Auch er bestätigt: „Es wird mittlerweile immer schwieriger, geeignete Insassen für die Arbeit in der Bibliothek zu finden. Dies resultiert aus der Tatsache, dass sehr wenige Insassen Deutsch sprechen und viele aufgrund ihrer psychischen Verfassung nicht in der Lage oder drogensüchtig sind.“ Vor allem auf die sprachliche Problematik zielt auch Michaela Pschandl aus der Justizanstalt Stein ab: „Für mich stellen die sprachliche Barriere sowie der Wunsch, jeder Fremdsprache genügend Raum in beiden Bibliotheken zu geben, die größte Herausforderung in der Arbeit als Bibliothekarin dar“, so die Bibliotheksleiterin. „Trotzdem freue ich mich immer wieder, wenn durch das Angebot von Büchern den Insassen, zumindest kurzzeitig, ein ‚Ausflug‘ oder ein ‚Ausstieg‘ aus dem tristen Haftalltag gelingt.“

„Die Herausforderungen, die an die Büchereien der Justizanstalten gestellt werden, haben sich im Laufe der Zeit natürlich immer wieder verändert“, bestätigt auch Andrea Moser-Riebniger vom Bundesministerium für Justiz. Die Gefangenenbüchereien müssen ihr Angebot daher laufend den gesellschaftspolitischen Veränderungen anpassen und ermöglichen beispielsweise die schon erwähnten fremdsprachigen Angebote. Eines ist Andrea Moser-Riegniger noch wichtig zu erwähnen: „Es ist für die Entwicklung der Insass:innen von Bedeutung, Bücher zu aktuellen Themen – wie beispielsweise Klimaveränderungen oder Nachhaltigkeitsthemen – zur Verfügung zu stellen. Aber auch spezifische Zielgruppenangebote, zum Beispiel spezielle Angebote für Frauen oder für Jugendliche – wie Comics – sind hier stets zu berücksichtigen.“ Bibliotheksarbeit in Justizanstalten ist damit in vielerlei Hinsicht eine besondere Herausforderung.

Foto: Bibliothek der Justizanstalt Korneuburg (c) Daniel Schalhas – inShot GmbH