Di Pietrantonio, Donatella - Die zerbrechliche Zeit

Di Pietrantonio, Donatella - Die zerbrechliche Zeit

Veröffentlicht am 25.07.2025

Ein Roman als Plädoyer für weibliche Selbstermächtigung.

„An einem bestimmten Punkt beschleunigt das Leben. Danach bleibt alles an einem Bild hängen, an einem Ton des Augenblicks. Man kehrt immer wieder dorthin zurück. Das könnte ich Amanda sagen, wenn ich die Worte dafür fände.“ Lucia lebt in einem Dorf in den Abruzzen. Nachdem sie ihr Mann Dario verlassen hat und Tochter Amanda zum Studieren nach Mailand gegangen ist, ist sie mit ihrer Praxis und der Betreuung ihres Vaters nach dem unerwarteten Tod der Mutter mehr als ausgelastet. Einzig im Chorsingen findet sie Ruhe und Ausgeglichenheit.

Die Maßnahmen der Corona-Pandemie scheinen anfänglich der Grund, wieso Tochter Amanda in ihr Heimatdorf zurückkehrt. Die lebendige, junge Frau ist jedoch völlig verändert. Sie verlässt ihr Zimmer wochenlang nicht, isst kaum und spricht wenig. Während Lucias Vater beschließt ihr das Weideland mit dem verkommenen Campingplatz unter dem „Dente del Lupo" (Wolfszahn) zu schenken, nähern sich Mutter und Tochter langsam an und Lucia kommt hinter den wahren Grund der Rückkehr. Es ist das eingetreten, wovor jeder Elternteil in Sorge gerät, wenn ein Kind aus dem Dorf in die Großstadt zum Studium geht: Amanda wird in Mailand brutal überfallen. Doch was viel schlimmer wirkt: Ihre Not wird kaum bis gar nicht wahrgenommen oder ihr von ihrer Mitbewohnerin aktiv Unterstützung angeboten. Lucia kommt bei der Sorge um ihre Tochter und der Schenkung des Vaters in Berührung mit einem prägenden Ereignis in ihrer eigenen Vergangenheit, das ihre Jugend von einem Moment auf den anderen enden hat lassen. Ein Sommer auf besagten Campingplatz unter dem Dente del Lupo, das für zwei Mädchen tödlich endet und das Leben ihrer Freundin Doralice für immer verändern wird ...

Nach und nach entrollt Donatella die Pietrantonio die Geschichte, die sich auch auf ein tatsächliches Verbrechen in den 1990er Jahren in den Abruzzen bezieht. Di Pietrantonios schriftstellerisches Interesse kreist weiter um die Verhältnisse zwischen Stadt- und Landleben und den gesellschaftlichen Bedingungen für Frauen gestern und heute wie bereits in „Arminuta“ und „Borgo Sud“. Sie erzählt von patriarchalen Strukturen, jugendlicher Gedankenlosigkeit und Leichtsinn, Zivilcourage und Angst, Schuld und konstatiert, dass Idyllen immer auch ihren Widerpart im Bösen und Abgründigen haben. Der Roman zeigt auch, ohne dabei zu moralisieren, dass keiner gefeit ist in Ausnahmesituationen die falschen Entscheidungen zu treffen. Es ist vor allem ein Plädoyer für weibliche Selbstermächtigung, Zusammenhalt und für die wieder zunehmende Bedeutung von Gemeinschaft. Für diesen Roman erhält sie mit Recht 2024 dem Premio Strega.
Julie August

Di Pietrantonio, Donatella - Die zerbrechliche Zeit
Roman. München Kunstmann 2025. 237 S. - fest geb. : € 23,95 (DR) ISBN 978-3-95614-621-3 Aus dem Ital. von Maja Pflug

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