Everett, Percival - James

Everett, Percival - James

Veröffentlicht am 15.04.2024

Ein Roman als ein auf den Kopf gestellter Klassiker.

Fast jeder kennt Huckleberry Finn, der mit und ohne seinem Freund Tom Sawyer allerlei Abenteuer am Mississippi erlebte. Mark Twain, in dessen beiden Romanen „Die Abenteuer des Tom Sawyer“ und „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ diese Abenteuer grandios geschildert werden, bezeichnete in seiner „geheimen Autobiographie“ Tom Blankenship (das reale Vorbild für Huckleberry) so: „In Huckleberry Finn habe ich Tom Blankenship genau so gezeichnet, wie er war. Er war unwissend, ungewaschen und unzureichend ernährt, er hatte aber ein so gutes Herz wie nur irgendjemand. Seine Freiheit war schrankenlos. Er war der einzige wirklich unabhängige Mensch in der Gemeinde – ob Knabe oder Mann; folglich war er gelassen ohne Unterlass und wurde von uns anderen beneidet. Wir mochten ihn; wir genossen seine Gesellschaft. Und da uns der Umgang mit ihm von unseren Eltern verboten war, verdrei- oder vervierfachte das den Wert, und so suchten wir seine Gesellschaft häufiger als die jedes anderen Jungen.“

Der amerikanische Schriftsteller Percival Everett beschreibt nun in „James“ den Klassiker der amerikanischen Literatur aus völlig neuer Perspektive. Die Handlung bleibt sehr nahe an der Vorlage, wird allerdings diesmal vom entflohenen Sklaven Jim erzählt. Der schwebt laufend in Gefahr, hat im Verlauf der Abenteuergeschichte viel zu verlieren und agiert dementsprechend vorsichtig und klug. Er heißt hier James und die kindliche Sprache, deren er sich bei Twain bediente, ist lediglich Tarnung, tatsächlich ist er gebildet und zeigt dies auch, wenn er mit anderen Schwarzen zusammen ist.

Doch sonst spielt er eher den Dummen. Denn es wäre zu gefährlich, wenn die Weißen wüssten, wie intelligent und gebildet er ist. Als man ihn nach New Orleans verkaufen will, flieht er mit Huck nach Norden in die Freiheit. Sie erleben den Mississippi hinauf ein Abenteuer nach dem anderen, von Stürmen, Überschwemmungen, Überfällen bis hin zu Begegnungen mit Betrügern und Blues-Sängern. Manches, was bei Mark Twain noch etwas unklar blieb, wird hier neu und ausführlich ausgemalt. Immer wieder muss er mit seiner schwarzen Identität gleichsam jonglieren, um sich und seinen jugendlichen Freund zu retten.

Percival Everetts „James“ ist ein großer Roman, tief und mit Humor, auch eine Provokation, die am amerikanischen Mythos rüttelt. Ein spektakulär auf den Kopf gestellter Klassiker, der die Leser:innen nach ihren Urteilen und Vorurteilen befragt. Ein herausfordernder und bereichernder Roman, intelligent erzählt, voller tiefgründiger menschlicher Einsichten.
Markus Berghammer

Everett, Percival - James
Roman. München: Hanser 2024. 329 S. - fest geb. : € 27,50 (DR) ISBN 978-3-446-27948-3 Aus dem Amerikan. von Nikolaus Stingl

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