Franquin, André - Schwarze Gedanken

Franquin, André - Schwarze Gedanken

Veröffentlicht am 14.05.2024

Gesamtausgabe des Comic-Klassikers.

Comic-Ikone André Franquin (1924-1997) wird zumeist mit dem vergnüglichen Abenteuercomic „Spirou und Fantasio“, der Schöpfung des herrlich ungebändigten „Marsupilami“ oder dem chaotischen Büroboten „Gaston“ verbunden. Eine Werksgruppe ganz anderer Art fällt aus seinem bunten Oeuvre heraus – die Serie „Schwarze Gedanken“. Anlässlich seines 100. Geburtstags liegt nun erstmals eine vollständige, in chronologischer Reihenfolge gehaltene und kommentierte Edition dieses Meilensteins der Comic-Geschichte vor: 1977 bis 1988 entstanden diese konsequent in Schwarz-Weiß gehaltenen Episoden, mit denen man eine ganz andere, dem Titel entsprechend dunkle Seite von Franquin kennenlernen konnte.

In unterschiedlichsten Formaten, vom prototypischen Strip bis zu Miniaturen von wenigen Seiten Umfang, bewegen sich Silhouetten durch eine detailreiche Wirklichkeit, die im Vergleich zu seinen populären Serien klar ein erwachsenes Publikum adressierten und auch stärker an den Zumutungen der Wirklichkeit orientiert waren. Formale Vielfalt wird dabei mit thematischer bzw. motivischer Kohärenz verbunden: Die „Idées noires“ zeigen die Folgen von Aufrüstung, Atomkraft und Umweltkatastrophen, bietet ungeschönte Darstellungen von ungebremster Autorität und Bürokratie, führen Jagd und Leistungssport vor.

Franquin ist dabei wenig zimperlich, wenn er die Vertreter der Autorität für Gier und Maßlosigkeit gnadenlos bestraft, Jägern ihre Munition wortwörtlich durch den Kopf geht und machtgeile Generäle mitsamt ihren neuen Wunderwaffen explodieren. Unweigerlich läuft jede der Episoden auf einen Gag im letzten Panel hinaus – und die unaufhaltsame Entwicklung ist immer die Ausgestaltung der schlimmstmöglichen Wendung. Entwürfe von Fortschritt und Leistungsdenken werden in ihrer Perversion entlarvt, wenn in den „Schwarzen Gedanken“ die Welt immer wieder neu untergeht. Diese wiederkehrende Zerstörung, die insbesondere die Menschen trifft, ist nichts weniger als eine allumfassende Zivilisationskritik ohne Aussicht auf Besserung, eine Absage an die Hoffnung im Zeichen des Absurden.

Diesen Umstand adressierte Franquin auch ganz direkt in einem Interview: „Es ist schon verrückt, wenn man da in seinem Winkel sitzt und seine kleinen Gags zeichnet, während man gleichzeitig mit den grässlichsten, bluttriefenden Nachrichten von überall auf dem Planeten bombardiert wird. Am schwierigsten ist es, dabei nicht den Humor zu verlieren, denn ich bin kein geborener Humorist.“ Es überrascht auch deshalb nicht, dass die von Franquin darstellte, durchaus wehrhafte Fauna und Elemente des Phantastischen in die gar nicht so heile Welt einbrechen: Vampire kidnappen gedopte Radfahrer, die Lichter, die ein Verirrter sieht, erweisen sich nicht als Hinweise auf eine Siedlung sondern als die glitzernden Augen eines Wolfsrudels, staatenbildende Insekten wohnen nach einem Atomkrieg in den Schädeln zahlloser menschlicher Opfer – und laufen Gefahr, die humanen Fehler zu wiederholen.

Dass die „Schwarzen Gedanken“ von Leserschaft und Kritik so positiv aufgenommen wurden, ist nicht zuletzt dem befreienden, wenngleich bitteren Lachen geschuldet, das man sich bei der Lektüre nicht verkneifen kann. Existenz wird bei Franquin, der in diesen Episoden auch persönliche Herausforderungen künstlerisch verarbeitete, zu einer Erfahrung von Gewalt, Niedertracht und Untergang. Aber die Wirklichkeit, das lässt er uns dabei nie vergessen, ist dabei einfach nicht zu übertreffen: „Der Albtraum fängt mit dem Aufwachen an.“
Thomas Ballhausen

Franquin, André - Schwarze Gedanken
Gesamtausgabe. Hamburg: Carlsen 2024. 80 S. - fest geb. : € 22,90 ISBN 978-3-551-79839-8

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