Fritz, Susanne - Heinrich
Veröffentlicht am 21.11.2023
Ein Roman als Versuch, den eigenen Vater zu verstehen.
Was können wir über den anderen wissen? Was sollen wir wissen? Was dürfen wir nicht wissen? Dies vor allem im Zeitalter eines gar gestrengen Datenschutzes und Eigenpersönlichkeitsrechts? Welche Rolle spielen Erinnerungen in unserem Leben? Welche Rolle spielen Erinnerungen in unserem Zusammenleben? Nach der Lektüre dieses Romans hat man zwei Möglichkeiten: Das Buch, weil doch bis zu einem Gutteil nicht einfach zu lesen, ganz einfach aus der Hand zu legen und sich auf die Suche nach einer unterhaltsameren Lektüre zu begeben oder diesen Roman immer wieder zur Hand zu nehmen, um damit schrittweise die vielfach verschlungenen Wege der Erinnerung zu ergründen.
Dieser Heinrich sei nicht ihr Vater, betont die Autorin. Es sei lediglich ein Versuch, ihren Vater zu verstehen. Dieser wächst als Angehöriger der deutschen Minderheit in Polen in äußerst ärmlichen Verhältnissen auf. Reiht sich 1943 in die Hitlerjugend ein, zieht als Wehrmachtssoldat in den Krieg und gelangt aufgrund eines schicksalshaften Erlebnisses geläutert als Pazifist im Jahr 1949 nach Westdeutschland. Dort gründet er eine Familie, ergreift nach einem Studium den Beruf des Architekten. Ob seiner Tüchtigkeit gelingt ihm daraufhin eine aufsehenerregende berufliche Karriere.
Susanne Fritz verwischt im vorliegenden Vaterroman (?!) bewusst die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion. Sie verzichtet auf Chronologie, pflegt den Stil freier Improvisation, umspült und überschüttet ihre Leserschaft allerdings teilweise mit einer wahren assoziativen Wortflut um Erinnerung, Traum, Schein und aktenkundige Wirklichkeit ineinander zu verflechten. Heinrich darf auch immer wieder fliegen, er darf ins Wasser gehen und sich von seiner Geschichte reinwaschen. Und zurück bleibt das Rätsel Mensch.
Adalbert Melichar
Fritz, Susanne - Heinrich
Roman. Göttingen: Wallstein 2023. 211 S. - fest geb. : € 25,50 DR) ISBN 978-3-8353-5402-9
