Füssel, Dietmar - Der Verklärte

Füssel, Dietmar - Der Verklärte

Veröffentlicht am 24.01.2024

Eine kleine Geschichte vom möglichen Leben nach dem Tod.

Weil keine seiner hochgesteckten Erwartungen in Erfüllung geht, erscheinen die Bücher des Schriftstellers Didi F. bei kleinen Verlagen. Glücklich macht ihn das nicht. Als er „an einem nebelgrauen Morgen im Spätherbst“ loszieht, um seinen Vorrat an Fertiggerichten aufzufüllen, stellt er sich deshalb vor, wie er als Nobelpreis-Gewinner renommierten Verlagen, die an seinen Werken interessiert sind, eine Absage erteilt. F. ist derart in Gedanken versunken, dass er beim Überqueren der Straße weder nach links noch nach rechts schaut und so den E-Mercedes eines bekannten Lokalpolitikers übersieht, der nicht ganz nüchtern auf dem Weg zu seiner Geliebten ist.

Wie ein „Trottel“ rennt F. vor das Auto. Daher kann auch sein Schutzengel, der ihm im Lauf seines Lebens schon „siebzehn Mal den Arsch gerettet und weitere zweiundzwanzig Mal (...) vor schweren Verletzungen bewahrt“ hat, nichts mehr für ihn tun. F. erleidet einen Genickbruch. Seine Seele erhält daraufhin „einen Scheinkörper“, der dem Fachjargon nach als „verklärt“ gilt. In diesem sogenannten „Astralleib“ kann er zwar „sich selbst und andere Verklärte berühren bzw. von ihnen berührt werden“, ist aber ein reines „Geisteswesen“, das von Menschen nicht wahrgenommen werden kann. An der Seite seines Schutzengels geht es nun die am oberen Ende in den Wolken verschwindende Himmelstreppe hinauf, Richtung Himmelstor, das in Form eines gewaltigen Regenbogens von einem Horizont zum anderen reicht. Dort warten lange Schlangen von Verstorbenen mit ihren Schutzengeln auf die Aufnahme in den Himmel.

Es dauert, bis F. eine Nummer, ein hellblaues Kleid sowie den „Himmelsaft rosa“ zugewiesen bekommt, einen „Gedächtnistrank“, der ihm jedes einzelne Detail seines gerade erst beendeten Lebens in die Erinnerung zurück holt, selbst unwesentliche Kleinigkeiten, wie dass er bereits mehr als vierhunderttausendmal als Einzeller auf dem Planeten Erde gelebt hat, als Grashalm, Margerite, als Regenwurm, Reh oder Mammut; und einige Male auch in menschlicher Inkarnation: als sumerischer Schafhirte, als altägyptische Bierbrauerin, als Nomade in der kirgisischen Steppe des 16. Jahrhunderts – und zuletzt als erfolgloser Schriftsteller. Als der befindet er sich jetzt auf einem unbegrenzten, menschenleeren Areal, um sich ungestört und frei von Ablenkungen auf seinen Prozess vorzubereiten. Als Richtlinie dient die sogenannte „Seelenordnung“, die besagt, dass alle Lebewesen eine Seele haben, alle Seelen und Lebewesen gleich sowie Weg und Ziel, Anfang und Ende eins sind.

Im Nachdenken wird F. bewusst, dass er an seinem vergangenen Leben „unvergleichlich mehr zu bereuen als zu belobigen“ hat. Er zeigt Reue, ist sich aber nicht sicher, ob das vor dem himmlischen Gericht genügt, sieht man ihn dort doch mehr als „nervtötenden Querulanten und Besserwisser“, der eine lange Liste an Verfehlungen abzuarbeiten hat. Zuoberst steht die Ermordung einer Maus, danach sämtliche von ihm verübten Insektenmorde, 2317 an der Zahl. Deshalb soll er, um eine „nachhaltige Einsicht in sein Unrecht zu erlangen“, nach einem zweijährigen Dasein als Hausmaus 2317mal als Stechmücke wiedergeboren werden. F. beginnt an der Sinnhaftigkeit des Ganzen zu zweifeln, vermutet er doch, dass es gar nicht möglich ist, „ein ganzes Leben als Mensch auf der Erde zu verbringen, ohne auch nur eine einzige Sünde zu begehen“, weiß aber natürlich nicht, dass auch er nichts weiter als ein Gedanke ist, den Gott jederzeit einfach wieder so verwerfen kann.

Seine kleine Geschichte vom möglichen Leben nach dem Tod erzählt Dietmar Füssel mit feinfühligem Witz. Ausgangspunkt seiner Vision in sechs kurzen Kapiteln ist ein Held, der in seiner Wut auf den Literaturbetrieb und das konventionelle Verlagswesen komplett darauf vergisst, aufzupassen und so zu Tode kommt, der als Impetus für eine originelle, abwechslungsreiche, ironisch aufgeladene Reise hinein ins grenzenlose Meer von Sinn und Unsinn dient, wo es weder Zeit noch Raum gibt, „keine Geschichte, keine Veränderung, kein Leben, kein Recht und kein Unrecht“. Eine Art Grenzenlosigkeit oder Allmacht, mit der auch der Jäger und Sammler Tuku zurechtkommen muss, der als Mammut wiedergeboren werden soll, was aber nicht geht, weil das Tier ausgestorben ist. Daher würde er auch die Existenz als Elefant akzeptieren, der der nächste lebende Verwandte des Mammuts ist. Tuku unterstreicht diesen Willen mit tausend Petitionen, die er vor das himmlische Gericht bringt.

Ob man ihn dort am Ende erhört? – Lesen Sie selbst! Das schmale Buch hält Einiges an Überraschung und Vergnügen bereit.
Andreas Tiefenbacher

Füssel, Dietmar - Der Verklärte
Erzählung. Liliom Verlag 2023. 62 S. - fest geb. : € 15,00 (DR) ISBN 978-3-96606-034-9

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