Giulivo, Romuald & Rebelka, Jakub - Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft

Veröffentlicht am 09.07.2025
Graphic Novel, die in Lovecrafts Werk einführt und über sein (Ehe-)Leben bzw. seinen Tod spekuliert.
Der US-amerikanische Schriftsteller Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) gilt heute als Klassiker der Literatur, auch abseits der Kategorie des Phantastischen. Darf man seinen publizierten Veröffentlichungen, posthum zugänglich gemachten Notizen und zahlreichen Briefen dahingehend trauen, hatte er es sich ganz anders gewünscht: Geprägt von einem Leben der Entbehrungen, Ablehnungen und Bitternis hat er, nahezu trotzig abgewandt von konventionellen Vorstellungen einer glücklichen Existenz, trotz der Konzentration auf sein Schreiben auch kein literarisches Nachleben im Sinn gehabt. Der Wunsch des Vergessenwerdens ist ihm – was einer mittlerweile weltweiten, ständig wachsenden Leserschaft durchaus richtig erscheinen muss – aber nicht vergönnt gewesen. Vielmehr ist Lovecraft zur Signatur einer Literatur der Angst geworden, die über Sprach- und Mediengrenzen hinweg bekannt ist und bis in die Gegenwart produktiv rezipiert wird.
Mit der Verschiebung vom „Weird Tales“-Pulp zur kanonisierten Weltliteratur finden sich seine Spuren mittlerweile in unterschiedlichsten Feldern und zahllosen Beispielen: Die Bandbreite reicht dabei von der Philosophie eines Eugene Thacker bis zur Musik der Avantgarde-Band The Tiger Lillies, über Computerspiele, Filme und Serien wie „Lovecraft Country“ oder „South Park“, hin bis zu literarischen Nachbeben in den Arbeiten von Anna Kavan oder Michel Houellebecq. Auch im Medium Comic hat Lovecrafts Schaffen – in dem sich das menschliche Subjekt angesichts der Konfrontation mit einem ungreifbaren, in letzter Konsequenz auch unverständlich bleibenden Schrecken stets seiner eigenen Bedeutungs- und Wirkungslosigkeit bewusst wird – nachgewirkt: Die Bezüge der Neunten Kunst zu Lovecrafts Leben und Werk sind mannigfaltig und lassen sich bei so diversen Positionen wie Mike Mignola, Ben Templesmith oder Nancy Holder ebenso nachlesen wie bei Joe Hill, Grant Morrison oder Alan Moore.
Die Lovecraft’sche Atmosphäre, in der sich universeller Horror, existenzielle Nichtigkeit und erzählerische Unausweichlichkeit verbunden sehen, ist auch im Buch von Romuald Giulivo und Jakub Rebelka deutlich nachweisbar. Erzählerischer Ausgangspunkt für diese textlich wie zeichnerisch höchst beeindruckende Arbeit ist der Tod dieses schwierigen Schriftstellers. Lovecraft hat Darmkrebs im Endstadium, seine letzten Stunden sind ein Alptraum auf Morphium-Basis, ein kontrastreiches Ineinander von Biografie und Werk. Sein finaler Besucher ist der melancholische Randolph Carter, selbst wiederum eine Entlehnung aus Lovecrafts Erzähluniversum und Alter Ego des Autors, der den Sterbenden (und damit auch die Leserschaft) durch historisch belegte wie klug erfundene Begegnungen führt.
Giulivo und Rebelka spekulieren gekonnt mit den Mitteln des Comics über die Möglichkeiten und Limits der Künste, wenn Carter „ein Königreich ohne Land und Meer“ aufschließt und in den räumlichen Bildwelten des Buches Lovecrafts Zeiten – also die Vergangenheit seines im Rückblick betrachteten Lebens, die Gegenwart seines Sterbens und die Zukunft seines Werks – ineinander aufgehen lässt. Carters geradezu bedrohlich wirkende Aussage „Ich war dort und ich werde Ihnen alles erzählen“ erweist sich dabei als programmatischer Taktgeber für einen grandiosen Comic, der in Lovecrafts Werk einführt, über sein (Ehe-)Leben bzw. seinen Tod spekuliert – und auch kritische Momente, wie die Frage nach rassistischen und misogynen Einschlüssen im Werk des wortwörtlichen Horror-Autors, keineswegs ausblendet.
Thomas Ballhausen
Giulivo, Romuald & Rebelka, Jakub - Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft
Bielefeld: Splitter 2024. 144 S. - fest geb. : € 26,95 ISBN 978-3-98721-469-1