Glattauer, Daniel - Die spürst du nicht

Glattauer, Daniel - Die spürst du nicht

Veröffentlicht am 07.04.2023

"Das Unglück mancher Menschen scheint wichtiger zu sein , als jenes von andern"

Daniel Glattauer sagt in einem Interview in der "Wiener Zeitung" über dieses Buch: „Ausgangspunkt war, dass ich erzählen wollte, dass das Unglück mancher Menschen wichtiger zu sein scheint, als jenes von andern. Das finde ich ungerecht.“ Wie er dann diesen Umstand auf den 300 Seiten des Buches vor dem Leser/der Leserin ausbreitet, ist für mich einfach brillant, tiefgründig und hoch emotionalisierend!

Die Geschichte beginnt mit der Ankunft zweier gut situierter Familien im luxuriösen Toskanaurlaub. Die pubertierende Tochter einer dieser Familien, Sophie Luise, hat durchgesetzt, dass ihre Schulfreundin Aayana, ein Flüchtlingskind aus Somalia, zur Bekämpfung der erwarteten Urlaubs-Langeweile mitkommen kann. Aber schon am ersten Abend kommt es zur Katastrophe: Aayana ertrinkt im Pool der Villa.

Von da an schildert Glattauer unter Verwendung verschiedener Erzählformen, wie etwa dem eigentlichen Handlungstext, Zeitungsartikeln und Social-Media-Postings, das über alle beteiligten Familien damit hereingebrochene Unglück. Aber er tut dies, wohl bewusst, sehr ungleichgewichtig. Im Scheinwerferlicht steht das Unglück der Familie von Sophie Luise, die die Frage nach einer Mitverantwortung am Tod des Mädchens in ganz unterschiedlicher Weise umtreibt. Im Schatten stehen Eltern und Bruder der Toten, die in ihrem Schmerz und ihrer Sprachlosigkeit in unserer Gesellschaft kaum wahrgenommen werden. Zum Glück findet diesen Umstand nicht nur Glattauer, sondern auch eine seiner Romanfiguren schreiend ungerecht …

Schon lange habe ich kein Buch in Händen gehalten, das mich mehr begeistert hat – daher eine dringende Kaufempfehlung von mir!

Gerald Wödl

Glattauer, Daniel - Die spürst du nicht

Roman. Wien: Zsolnay 2023. 304 S. - fest geb. : € 25,70 (DR) ISBN 978-3-552-07333-3