Guggolz Verlag - Vergessene Klassiker, frisch und neu
Veröffentlicht am 03.11.2021
Der außergewöhnliche Guggolz Verlag. Von Peter Klein
„Es ging mir nie darum, mit dem Verlag viel Geld zu verdienen. Es ging mir von Anfang an darum, diejenigen Bücher zu veröffentlichen und verfügbar zu machen, die ich immer schon selbst gerne lesen wollte, die aber aufgrund der Situation des Buchmarkts von eben diesem Markt verschwunden oder niemals auf ihm aufgetaucht sind“, erklärt Sebastian Guggolz seinen Entschluss, einen eigenen Verlag zu gründen. Es war ihm klar, dass er sich als Verlag spezialisieren muss: „Als ich den Schritt wagte, einen eigenen Verlag zu gründen, dachte ich nicht lange darüber nach, eine andere Form zu wählen als eben den Nischenverlag. Möchte man als Verlag sichtbar werden, dann muss man sich so klein wie möglich machen“, meint er weiter (im Gespräch mit Marlen Heislitz, im „Büchergilde Magazin“).
So erscheinen in seinem Verlag ausschließlich Übersetzungen von teils vergessenen Klassikern aus Nord- und Osteuropa, vor allem aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für die von ihm gewählte Nische regionalspezifischer Klassiker hat er einen besonderen Blick und ein gutes Gespür. Das Programm des Verlags umfasst mittlerweile über 30 Bücher von Autoren aus Litauen, Estland, Finnland, Schottland, Tschechien, Ungarn, Russland, Schweden, Norwegen, Weißrussland, Dänemark, Mazedonien und den Färöer-Inseln. Wie ein Entdecker, der freilich fleißig recherchiert, hebt er solcherart literarische Schätze aus fremden Ländern, aus längst vergangenen Zeiten.
Bevor er 2014 seinen eigenen Verlag gründete, war er sechs Jahre lang als Lektor im Matthes & Seitz Verlag tätig. Mit der Zeit wurde ihm dort sein Spielraum zu klein, er wollte selbst Programme entwickeln und wagte den Schritt ins Verlegerdasein und somit zu freierem und selbstbestimmterem Arbeiten an eigenen literarischen Entdeckungen. Dabei half ihm ein spektakulär realisierter finanzieller Grundstein: In der Fernsehsendung Quiz-Champion (ZDF) gewann er den Betrag von 250.000 Euro. Durch diesen Gewinn hatte er endlich einen finanziellen Spielraum, um seine Vorstellungen umzusetzen: die Suche nach vergessenen Büchern sowie die umfassende Übersetzungsarbeit.
Die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Übersetzern ist ein Herzstück des Verlags, sie übt für den Verleger einen besonderen Reiz aus, denn: „Der Übersetzer ist für mich als Lektor und Verleger auch so etwas wie ein kompetenter erster Leser, eine Art Vorkoster. Er bringt einen Lektürebericht und Geschmacksproben in Form von Übersetzungsauszügen mit. So entsteht ein wenig das Gefühl von Komplizenschaft. Es ist, als ob ich Assistent eines Bildhauers und dabei wäre, wenn sich die Übersetzung in Überarbeitungen, Schleifarbeiten, Abklopfen, Abraspeln, Polieren aus dem Textkorpus herausschält. Jeder Durchgang verfeinert und präzisiert.“
Dabei gerät er selbst so als Herausgeber in eine besondere Lage. „Als feststand, dass ich nur tote Autoren veröffentlichen will, nur vergessene Klassiker, fiel natürlich die Möglichkeit weg, in den Originaltext einzugreifen“, erklärt er und ergänzt: „Bei deutschen Autoren setzt man als viel früher im Entstehungsprozess des Textes an, man kann anregen, streichen, weiterschreiben lassen. Fremdsprachige Originale sind vorhanden, nachprüfbar, im eigenen Land wahrscheinlich sogar kanonisiert, davon kann man sich nicht zu weit wegbewegen.“ So legt er, in engem Austausch mit den Übersetzern, zum Beispiel durch formale Vorgaben eine grobe Richtung für die Übertragung fest und lässt den Text schließlich mit Glossar und Nachworten erläutern, die er speziell für seine neuen Übersetzungen anfertigen lässt und die die Kontexte verdeutlichten, in denen die Texte entstanden sind.
So finden sich in seinem außergewöhnlichen Verlagsprogramm drei Titel des ansonsten vom deutschsprachigen Buchmarkt verschwundenen einzigen finnischen Nobelpreisträger Frans Eemil Sillanpää (1939 zugesprochen), deren Neuübersetzungen vom Feuilleton teils euphorisch aufgenommen wurden. Um bei den vergessenen Nobelpreisträgern zu bleiben: Vom Schweden Harry Martinson (Nobelpreis 1974) gibt es das wunderschöne Reisebuch „Reisen ohne Ziel“ und vom dänischen Nobelpreisträger (1944) Johannes V. Jensen seine beiden Prosabücher mit Geschichten aus dem jütländischen Himmerland, seiner Herkunftsgegend.
Aus Dänemark liegt im Guggolz Verlag auch der große Roman „Ein Flüchtling kreuzt seine Spur“ von Aksel Sandemose vor. Von Tarjei Vesaas erscheint nach dem Roman „Das Eis-Schloss“ in diesem Herbst sein zweiter Klassiker „Die Vögel“ – für viele der wichtigste norwegische Roman. Legendär sind auch der Roman „Apoll Besobrasow“ des frühverstorbenen Russen Boris Poplawski und die Bücher des Ungarn Andor Endre Gelleri, von dem in schönen Ausgaben der Roman „Die Großwäscherei“ und Erzählungen unter dem Titel „Stromern“ vorliegen.
Ein Verdienst des Guggolz Verlags ist auch die Öffnung zu Autoren aus Litauen, Lettland und Estland. Von Anton Hansen Tammsaare erschien mit „Das Leben und die Liebe“ einer der großen Klassiker der estnischen Literatur und „die Nacht der Seelen“ von Karl Ristiwik. Mit den Büchern „Das weiße Leintuch“ und „Apokalyptische Variationen“ zwei Bände des ungewöhnlichen litauischen Meisters Antanas Skema. Und von Edvarts Virza mit „Straumeni“ eine Hymne auf das bäuerliche lettische Leben.
Von einem Großprojekt ist bislang ein Band erschienen: Michail Prischwins „Tagebücher“, die als außerordentliche Entdeckung gefeiert wird. Von Prischwin, einem der großen russischen Beschreibungskünstler, ist auch die poetische Erzählung „Der irdische Kelch“ im Guggolz Verlag herausgekommen.
Weitere, ebenfalls empfehlenswerte Bücher erschienen von Hedin Bru und von William Heinesen von den Faröer Inseln, aus Schottland das „Lied vom Abendrot“ von Lewis Grassic Gibbon und Bilder aus dem schottischen Landleben von James Leslie Mitchell, aus Norwegen ein Roman von Amalie Skram.
In seinem Roman „Zwei Seelen“ hat Maxim Harezki mit seinem Protagonisten eine Figur geschaffen, in der sich die Widersprüche des weißrussischen Volkes spiegeln. Vom Tschechen Jiri Mahen liegt mit „Der Mond“ eine scharfsinnige und witzige Prosaphantasie vor und mit einem Prosaband ein schönes Buch des bei uns bislang vernachlässigten rumänischen Klassikers Ion Luca Caragiale. Und nach seinem mittlerweile in Mazedonien zur Schullektüre gewordenen Klassiker „Quecke“ erscheinen nun im Herbst mit „Alle Gesichter des Todes“ von Petre M. Andreevski großartige Erzählungen vom südöstlichen Rand Europas, die an Kafka und Beckett denken lassen.
„Ich möchte meine Bücher und Texte, ohne ihr Alter zu verleugnen, so frisch und neu präsentieren, dass die Leseerfahrung eine gegenwärtige ist, obwohl eine zeitliche und meist auch sprachliche Kluft dabei zu überwinden ist“, so der Anreger, Entdecker, Lektor, Verleger und nicht zuletzt Leser Sebastian Guggolz, der für seine verdienstvolle Arbeit auch schon den einen oder anderen Verlagspreis erhalten hat: „Ich denke, für kleine Verlage ist es wichtig, den Weg auszumachen, den man beschreiten möchte, das Profil zu finden, das einem behagt und mit dem man sich gerne identifiziert – und nebenbei darauf zu achten, an den richtigen Stellen einzuschränken, abzulehnen.“
Foto: Sebastian Guggolz in seinem Laden (Guggolz Verlag)