Habringer, Rudolf - Diese paar Minuten

Habringer, Rudolf - Diese paar Minuten

Veröffentlicht am 05.08.2024

Erzählungen.

„Es gibt Tatsachen, die wir akzeptieren müssen.“ Das gilt im richtigen Leben genauso wie in dem, das diese starken, dichten, fesselnden Erzählungen präsentieren, die in einem Milieu spielen, in dem viele von uns leben. Verortet sind sie mehrheitlich in einem Vorstadtgebiet, das als Linzer Zentralraum zu erkennen ist. Ausfransungen führen aber auch ins obere Mühlviertel, nach Regensburg, Frankfurt oder Berlin. Die Mehrzahl der Protagonist:innen wohnt allerdings im Umkreis der Linzer Lokalbahn.

Dieser Raum, genauso wie der Umstand, dass sie nur begrenzt voneinander wissen, verbindet die Figuren, von denen die meisten Schuld auf sich geladen haben: Färber in „Dann sage ich es ihm“ tritt nach einem verunglückten Berufsleben der Fremdenlegion bei, wo er einen „aufs Ärgste“ schikanierenden Vorgesetzten erschießt. Poyer hingegen muss in „Wenn es wieder losgeht“ mit seiner Neigung, sich für Halbwüchsige zu interessieren (die immerhin zum Unfalltod eines Jungen führt), zurechtkommen, während Lores Vater in „Ich weisZ, wer du Bist“ durch seine Aufzeichnungen über die Besucher:innen der sogenannten „Vertriebenenkirche“ unweit von Tschechien, die er mit Zeitungsausschnitten über den Mord an einem Privatdetektiv aus Linz verknüpft (der einige Jahre zuvor hier passiert ist), auf die Gattin eines bekannten Lokalpolitikers stößt, die etwas mit dem Fall zu tun hat und Habringerleserinnen und -lesern aus seinem 2011 erschienenen Roman „Engel zweiter Ordnung“ bekannt ist.

Die Schuld lockerer zu nehmen, versucht in „Der Weihnachtsmann fährt aus der Tiefgarage“ einer, der sich Friedrich nennt. Und doch muss auch er sich seine Tat (den Nebenbuhler auf dem „abgefuckten Hof“ eines Bekannten in der Senkgrube mittels Natronlauge entsorgt zu haben) von der Seele reden, tut dies aber in sicheren Gefilden (auf Lanzarote in einer Strandbar), wo er dem betrunkenen, in seinem Plastikstuhl schnarchenden Ein-Euro-Shop-Geschäftsführer Horst die Geschichte erzählt, – oder auch nicht.

Grete hingegen, die in „Manchmal kommt alles zusammen“ in Erscheinung tritt, hat sich „nie schuldig gefühlt“, obwohl sie wegen unpassender Männer viermal abgetrieben hat. Sie ist als „selbstbewusste Frau“ abenteuerlustig und hedonistisch. Doch bleiben ihr „depressive Abstürze“ und Alpträume (sie sitzt im Ruderboot, während ein Kind nach dem anderen versinkt) nicht erspart. Auch hier wird die Geschichte um ein Verhängnis, ein Dilemma gebaut und das Ende bleibt offen. Eine Erzählstruktur, zu der den Autor Krzystof Kieslowskis Film „Der Zufall möglicherweise“ (1981) und der Schreibstil Raymond Carvers inspiriert haben. In diesem Sinne erzählt Rudolf Habringer sachlich, lakonisch und klar. Vor allem aber versucht er Gefühle zu evozieren. Und das gelingt ihm auf großartige und sehr spannende Art und Weise.
Andreas Tiefenbacher

Habringer, Rudolf - Diese paar Minuten
Erzählungen. Salzburg: Otto Müller 2023. 200 S. - fest geb. : € 25,95 (DR) ISBN 978-3-7013-1311-2

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