Harry, Prinz - Reserve

Harry, Prinz - Reserve

Veröffentlicht am 21.03.2023

Eine Abrechnung

Wenn ein Kind Probleme in der Familie hat und sich permanent (warum auch immer) als Nr. 2 oder vernachlässigt fühlt, hinterlässt das natürlich Spuren. Das erleben unzählige Menschen in allen Gesellschaftsschichten. Wir alle müssen immer wieder mit den Widrigkeiten des Lebens fertig werden. Und – ja, man braucht oft Hilfe. Aber nicht jeder hat die Möglichkeit, seine Befindlichkeiten so genussvoll und gewinnbringend zu vermarkten. Und nicht jeder will seine privaten Momente (positive oder negative) vor aller Welt ausbreiten. Aber gerade Prinz Harry sollte wissen, was er mit diesem Seelenstriptease anrichten kann. Und dass damit die verhassten Medien umsomehr befeuert werden.

Wen interessiert es, was hinter verschlossenen Türen, sei es im Palast oder bei der Therapeutin, gesprochen wird? Offenbar doch ein breites Publikum, wenn es sich um einen echten Prinzen handelt. So werden wir „bedient“ mit unbestätigten Geschichtchen, Mutmaßungen und aufgebauschten Situationen, die nicht beweisbar sind. Wen interessiert es wirklich, dass man(n) Erfrierungen am Penis (im Buch Pillermann genannt) hat oder dass er beim Discounter (natürlich wird der namentlich genannt) im Ausverkauf (!) auf Schnäppchenjagd geht. Und unerkannt 15 Minuten vor Ladenschluss mit einem ganzen Einkaufswagen zur Kassa rennt. Und sich freut, dass er jetzt nicht mehr schlampig daherkommt. Keine Leserin wird das wirklich glauben. Und wer kann nachvollziehen, dass eine Begegnung mit einem Leoparden ein „Zeichen von Mummy (Diana)“ ist. Bemerkenswert ist bei dieser Anekdote der Satz: „Wenn er von diesem Leoparden zerfleischt worden wäre ... Die Welt wäre aus den Fugen geraten, Köpfe wären gerollt.“ Also mangelndes Selbstwertgefühl kann man da nicht erkennen.

Und dann kommt endlich das Thema Meghan. Nach der romantischen Begegnung und der Einführung in die royale Familie (Meghan knickst „makellos“), kommt die Presse und deckt schonungslos ihre Herkunft auf. Da ist schnell vom grellen, vulgären Rassismus und Verlogenheit die Rede. Dazu schreibt er: „ Es.Kümmert.Uns.Nicht.“ Naja, dann wäre auch das Buch nur halb so dick! Es ist auch vom schwierigen Vater seiner Braut und ihrer restlichen Familie die Rede und natürlich all die anderen Themen, die man vor der Hochzeit reichlich in den Medien lesen konnte. Und zum Abschluss bekommt der Bruder und seine Frau Kate ein paar Seitenhiebe ab. Etwa die angeblichen Handgreiflichkeiten zwischen ihm und William, dem er „erschreckende Kahlheit“ zuschreibt. Auch wieder Geschichten, die nur von Prinz Harry fast weinerlich so dargestellt werden. Wahr oder unwahr? Es ist vom Kleinkrieg im Palast die Rede, aber auch von einer „innigen Verbindung von Meghan mit Prinz (König) Charles. Und zu guter Letzt wird die erste Schwangerschaft und eine Fehlgeburt detailreich zelebriert.

Es wird nichts ausgelassen. Das Buch ist die Abrechnung, ein gelungener Rundumschlag und wahrscheinlich finanziell sehr erfolgreich. Denn die Lust, hinter fremde (Palast-)Türen zu blicken, ist uralt und menschlich. Es ist ein modernes Märchen: ein unsicherer scheuer, aber koksender Prinz, ein starrer König, eine böse Stiefmutter und ein eifersüchtiger Bruder. Und dazu eine liebliche unschuldige und unbedarfte Prinzessin, die von dem bösen Pressedrachen und den Palasthexen bedroht wird. Und wenn sie nicht gestor ..., nein, es gibt gewiss eine Fortsetzung! Doch die Welt hat momentan andere, wichtigere und dramatischere Probleme.

Renate Oppolzer

Harry, Prinz - Reserve München: Penguin 2023. 512 S. - fest geb. : € 26,80 (BB) ISBN 978-3-328-60292-7