Henry, James Alistair - Pagans

Henry, James Alistair - Pagans

Veröffentlicht am 04.11.2025

Ein Killer. Zwei Cops. Hunderte Götter.

Ein Thriller? Ein Roman mit kriminalistischem Einschlag? Eine Geschichte über alternative Historien? Eine Zukunftsdystopie? Ein Spiegel für unsere aktuelle, brüchige Welt? „Pagans“ ist von alledem ein bisschen mehr oder weniger. Henry zeichnet vor allem ein Bild unserer Welt, wie sie einmal vor rund 1000 Jahren war (betreffend die britischen Inseln) und wie sie einmal sein könnte (betreffend den Rest der Welt).

Pagans werden all jene Menschen bezeichnet, die einer anderen Religion als dem Christentum, Judentum und Islam folgen. Oft auch Anhänger von Naturreligionen, von polytheistischen Religionen und der Begriff wird sehr oft abfällig gebraucht. Die Pagans waren meistens Menschen vom Land, also geringer als die urbanen Bürger:innen. Man könnte sie also auch Anhänger:innen von Religionen bezeichnen, die mehreren Göttern und Göttinnen huldigen und die eine starke Verwurzelung im Landleben (nicht zu verwechseln mit dem heutigen Landleben) haben. Und hier ist die Verbindung zu unserer Gegenwart: Pagans könnte man auch als Ungläubige bezeichnen.

Beim Lesen hat sich bei mir ein sehr ungutes Gefühl eingestellt (ob das jetzt ein Kompliment an den Autor ist oder nicht, sei dahingestellt), fast so als ob man etwas kosten müsste, wo man schon im Vorhinein weiß, dass es furchtbar schmecken wird und wahrscheinlich mit einem Würgereflex enden wird. Dieses ungute Gefühl kommt wahrscheinlich daher, dass es Henry versteht, seine dystopische Realität darzustellen, als wäre es die normalste Sache der Welt. Dass er die britischen Inseln in ihre uralten Königtümer der Pikten, Angeln und Sachsen (mit einem rebellischen Anteil von Kelten, Iren und Wallisern) einteilt, schafft meiner Imagination keinerlei Probleme. Dass aber gleichzeitig alle ein Mobiltelefon und Autos haben, verbiegt meinen Vorstellungshorizont dann schon ein bisschen. Jetzt kommt das dritte DASS am Satzanfang: dass aber alle technologischen Errungenschaften von der Südhalbkugel kommen, dass in Europa ein Kalifat errichtet wurde und die Afrikaner, Chinesen, Russen und alle anderen quasi die Welt regieren, tja, das verbiegt mir die Ganglien, weil es doch eine durchaus mögliche Perspektive sein könnte. Siehe ungutes Gefühl.

Gut, abgesehen davon, gibt es auch noch einen Kriminalfall, den die angelsächsische Ermittlerin Aedith lösen soll. Es gab immer wieder Versuche, die Insel zu einem Staat zu vereinen und genauso viele Sabotageakte dagegen. Ein keltischer Diplomat, der bei so einer Vereinigungstagung dabei sein sollte, wird in einem Wäldchen gefunden – angenagelt an einem Baum und sehr, sehr tot. Aedith bekommt einen Kollegen zur Seite gestellt, was ihr natürlich gar nicht passt. Inspektor Drustan ist Kelte und damit aus einer Bevölkerungsgruppe, die eher geringschätzig behandelt wird. Zwei unterschiedliche Charaktere aus zwei unterschiedlichen Landesteilen sollen also gemeinsam ein Verbrechen aufklären, damit die Vereinigungskonferenz nicht zu einem Pulverfass wird und das Land endgültig zerstritten bleibt.

Insgesamt ein guter Lesestoff mit einem mehr als kontroversiell rezipierten Themenkomplex (Migration, Souveränität, Nationalstaaten, Weltherrschaft, Glaubensfragen, Individuum gegen Mehrheit und noch vieles mehr). Wenn man sich an die Kriminalgeschichte hält, dann ist es an manchen Stellen sogar vergnüglich. Wenn man sich allerdings auf das große Bild einlässt, dann dreht sich einem der Magen um. Mir zumindest.
Mario Reinthaler

Henry, James Alistair - Pagans
Ein Killer. Zwei Cops. Hunderte Götter. Roman. Köln: Lübbe 2025. 474 S. - fest geb. : € 23,95 (DR) ISBN 978-3-7577-0132-1 Aus dem Engl. von Dietmar Schmidt

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