Herzog, Werner - Jeder für sich und Gott gegen alle

Herzog, Werner - Jeder für sich und Gott gegen alle

Veröffentlicht am 03.10.2022

Gesprochen von Werner Herzog

Aufgewachsen in ärmlich Verhältnissen am Land an der Grenze zu Österreich, in einem kleinen Ort namens Sachrang, wohin die geschiedene Mutter mit ihren Kindern im Krieg geflohen war, lernt der junge Werner Stipetic die archaische Welt der Natur kennen. Knapp 18-jährig dreht er seine ersten Filme, die schon damals zwischen Dokumentar- und Spielfilm fluktuieren. Mit Anfang 20 gelingt ihm dann in Griechenland sein erster großer Film „Lebenszeichen“, der auch heute noch beeindruckend bestehen kann. Seither schuf er, oftmals in schwierigen und auch durchaus riskanten Umständen, mehr als 70 Filme. Er schrieb beinahe alle Drehbücher selbst, und das sehr eigen als Prosatexte. In neueren Interviews meinte er, dass von seinen Werken wahrscheinlich die literarischen am längsten überdauern werden.

Einer der beeindruckendsten Texte war ja 1974 „Vom Gehen im Eis“, die Beschreibung des Ganges eines Mannes, der im Winter in einem wochenlangen Fußmarsch von München nach Paris zu seiner kranken Mentorin Lotte Eisner geht. Nun legt er seine Erinnerungen vor, die in allerreinster Herzog-Prosa alles andere als bloß einen Lebenslauf abbilden. Er beschreibt, wie er voller Staunen und mit großer Lebensneugier durch die Welt geht und versucht, das Außergewöhnliche in seiner Wahrnehmung dann seiner eigenen Form gemäß wiederzugeben.

Der Achtzigjährige weiß dabei allzu genau, dass das menschliche Gedächtnis lückenhaft und nachformend ist, also höchst subjektiv. Subjektivität ist für ihn aber immer ein zentraler Begriff gewesen. Seine Formulierung von der „ekstatischen Wahrheit“, der alle seine Filme folgen, die mit dokumentarischem Material umgehen, meint eine durch Imagination, Konzentration und Intuition erschaffene „Wahrheit“, eine expressiv pointierte „poetische Wahrheit“, gänzlich konträr zur mechanisch registrierenden Praxis der Widerspiegelung etwa des „Cinema vérité“ oder den Dokumentarfilmen, die einfach nur nebenbei stehend abfilmen.

Dass er etwas Besonderes werden werde, habe ihm schon seine Schullehrerin in der Ein-Raum-Schule in Sachrang prophezeit. Aber durch verschiedene Rituale, wie djenes eines über 1000 Kilometer langen Fußmarschs von München nach Paris, um solcherart die krebskranke Lotte Eisner vorm Tod zu retten (sie starb dann tatsächlich erst knapp zehn Jahre später), ließ ihm magische Kräfte bei sich vermuten. Früh war bei ihm die Neigung da, den elementaren Rätseln Mensch, Leben, Welt mit transzendentaler Spekulation und eben poetischer Energie auf die Spur zu kommen.

In seinem jüngsten Buch, das faktisch das Resümee seines gelebten und tätigen Lebens ist (wie er es gesehen haben möchte), und für das er den Titel seines Kaspar-Hauser-Films gewählt hat, beschreibt er die wesentlichen Geschehnisse und Gedanken hierzu. Und von ihm selbst gelesen, gibt dem Ganzen noch eine zusätzliche Wucht. Es gibt niemanden, der Texte von Werner Herzog besser vortragen kann als Werner Herzog himself. So gibt es neben diesen wunderbaren Erinnerungstexten auch die ebenfalls von Werner Herzog selbst eingesprochenen Hörbücher von „Vom Gehen im Eis“ und „Das Dämmern der Welt“. Grandiose Hörerlebnisse allesamt!

Georg Pichler

Herzog, Werner - Jeder für sich und Gott gegen alle Gesprochen von Werner Herzog. München: Tacheles 2022. MP3. € 26,00 ISBN 978-3-86484-775-2