Hjorth, Vigdis - Ein falsches Wort

Hjorth, Vigdis - Ein falsches Wort

Veröffentlicht am 06.08.2024

Roman über familiäre Katastrophen.

Zurück zur Familie! „Homing“ als literarische Abkehr von den bisher gut verkäuflichen literarischen Selbstverwirklichungsexzessen auf dem Buchmarkt. Literatinnen und Literaten suchen derzeit offenbar nach jahrzehntelangem grenzenlosen Herumirrens kribbelige Inspiration innerhalb biederer häuslicher vier Wände. Generationsfragen, soziale Prekariate, bemerkenswerte menschliche Schicksale, schwer lösbares zwischenmenschliches Miteinander, gesellschaftsbedingte Missstände zwischen Eltern, Kindern und heranwachsenden Jugendlichen. Diesen Trend konnte man auch zum Beispiel letztes Jahr bei den Lesungen des renommierten Bachmann-Preises feststellen.

Die norwegische Schriftstellerin Vigdis Hjorth schließt sich mit ihrem Roman „Ein falsches Wort“ ebenfalls diesem Trend an. Überaus erfolgreich, noch dazu! Dieser löste in Norwegen eine wahnwitzige Diskussion um Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit zwischen Literatur und menschlicher Realität aus. Im Mittelpunkt dieses familiären Psychothrillers stehen vier Geschwister, Bård, Bergljot, Astrid und Åsa. Die Ich-Erzählerin Bergljot pflegt seit beinahe zwanzig Jahren nur losen Kontakt zu ihren Eltern und Geschwistern. Eine leidige Erbschaftsangelegenheit und der Tod des Vaters geben aber eines Tages Anlass zu einer familiären Konfrontation samt gewaltiger Eskalation. Bisher zerredete und weggesteckte Familienprobleme, tiefgreifende Konflikte aus der Familienvergangenheit, hartnäckig geleugnete Familientraumata, Schuldgefühle, Scham und ungehemmte Emotionen kochen gewaltig auf.

Im Zenit dieser familiären Katastrophe stehen schlimme Anschuldigungen durch Bergljot, die Beziehung in der frühen Kindheit zwischen ihr und ihrem Vater betreffend. Dabei spart die Autorin nicht mit wortgewaltiger und schonungsloser Dramatik und erzwingt bei ihrer Leserschaft indirekt eine Entscheidungshaltung über Grenzen und Erträglichkeit schwer beweisbarer Anschuldigungen, Glaubhaftigkeit gegenüber Betroffener und deren Argumenten sowie eine offene und ehrliche Bereitschaft zur Vergebung und Versöhnung, auch wenn es manchmal bitter ist und als persönliche Niederlage zu erleiden ist.

Dazu bietet der Roman aber kein Rezept und keine Verhaltensweisen. Im Gegenteil! Bergljot resümiert zum Ende des Buches lakonisch: „Ich konnte nicht verzeihen, es war mir nicht möglich. Aber ins Meer des Vergessens werfen? Es ins Licht heben, es untersuchen, es anerkennen und akzeptieren und es dann ins Meer des Vergessenen werfen? Auch das konnte ich nicht ... Meine Mutter wurde aggressiv und behauptete, ich sei eine Lügnerin und wenn es wahr wäre, was ich sagte, warum sei ich dann nicht zur Polizei gegangen, und ich legte auf, das schlechte Gewissen war verflogen“.
Adalbert Melichar

Hjorth, Vigdis - Ein falsches Wort
Roman. Frankfurt: S. Fischer 2024. 397 S. - fest geb. : € 26,50 (DR) ISBN 978-3-10-397513-0 Aus dem Norweg. von Gabriele Haefs

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