Hochgerner, Christine - Aus der Spur

Hochgerner, Christine - Aus der Spur

Veröffentlicht am 17.06.2025

Eine Frau will einiges nachholen, was ihr in der Ehe verwehrt geblieben ist.

Nach dem Tod ihres 25 Jahre älteren Mannes, mit dem sie (für ihn nur ein „Dummchen“) ein schönes Miteinander gehabt, aber ziemlich eintönig gelebt hat (er hört im Herrenzimmer Wagner, sie sitzt vor dem Fernseher), erkennt die 58-jährige Hedwig, dass ihr „inneres Licht“ eine Stärkung benötigt. Sie besorgt sich deshalb einen „Liebesflammenrosenkranz“ und beginnt an ihrem Erscheinungsbild zu arbeiten: Legt sich eine moderne Frisur zu und zieht sich „knallige“ Sachen an. Denn sie will von ihrem 45-jährigen Nachbarn Peter „richtig begehrt werden“, ist er doch ein Bild von einem Mann, zu dem sie gern aufschaut.

Das beruht leider nicht auf Gegenseitigkeit. Denn Peter sieht in Hedwig bloß jemanden, mit dem es sich gut reden lässt. Aber die gibt nicht auf, hat sie doch lange genug den antiquierten Vorstellungen ihres verstorbenen Mannes entsprochen, an deren Stelle (ausgelöst von Peter, an dem ihr alles abenteuerlich und aufregend vorkommt) ein unbestimmtes Verlangen gerückt ist, nicht mehr mit dem zufrieden zu sein, was man hat. Eine nie gehabte Sehnsucht nach aufregendem Sex kommt zum Vorschein, ist Hedwig doch ein Eheleben lang mehr benutzt als leidenschaftlich begehrt worden.

Mit dem Begehrtwerden so ihr Problem hat auch die 59-jährige Johanna. Seit 35 Jahren mit Georg verheiratet (der eine Geliebte hat, die schwanger wird), plagen sie plötzlich „Nebel“ im Kopf, ein „chaotisches Durcheinander“ der Gedanken, durch das ihr Leben „aus der Spur“ gerät. Um sich Klarheit zu verschaffen, macht sie eine Busreise in die Toskana, auf der sie mit Hedwig zusammentrifft, die andere Gründe antreiben: Sie will einiges nachholen, was ihr in der Ehe verwehrt geblieben ist, wie: U-Bahn-Fahren, eine Flugreise machen, das Meer sehen oder aufregenden Sex haben.

Dass sie den nicht mit Peter erleben soll, wird im Verlauf der aus wechselnder Perspektive sehr lebendig erzählten Geschichte immer realistischer. Nicht nur entpuppt sich Peter als Messie, in dessen Wohnung „absolutes Chaos“ herrscht; er strapaziert sein Verhältnis zu Hedwig auch dermaßen, dass sie, die wenige Monate zuvor noch alles für ihn sein hätte wollen („Mutter, Geliebte, Köchin, Gefährtin, Krankenschwester und Seelentrösterin“), sich zurückzieht und nach einer Frau Ausschau hält, die besser zu ihm passt.

Überhaupt schlüpft Hedwig mehr und mehr in die Rolle der Macherin, deren Terminkalender immer voller wird; ein Trubel, der ihr gefällt. Da sind es Großmutter-, dort Freundschaftsdienste, die sie übernimmt. So springt sie etwa Georg bei der Betreuung seiner demenzkranken Frau Johanna zur Seite und ist gleichzeitig „der einzige Mensch, der über seine beiden Familien, seine Schuldgefühle und auch über die Momente, in denen er mit seinem Schicksal hadert“, Bescheid weiß. So entpuppt sich dieser engagierte Roman auch als Mutmachbuch, zeigt er doch anschaulich, wozu Freundschaft fähig ist.
Andreas Tiefenbacher

Hochgerner, Christine - Aus der Spur
Roman. Klagenfurt: Sisyphus 2024. 162 S. - kt. : € 15,95 (DR) ISBN 978-3-903125-92-6

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