John Steinbeck - Der kalifornische Klassiker

 John Steinbeck -  Der kalifornische Klassiker

Veröffentlicht am 05.04.2022

Der viel gelesene, doch von der Kritik eher verschmähte große Erzähler John Steinbeck könnte heuer seinen 120. Geburtstag feiern. Ein Porträt von Simon Berger

Die amerikanische Literatur, genauer: die damals moderne amerikanische Literatur rückte vor und nach dem Zweiten Weltkrieg stark in das Interesse der Weltöffentlichkeit. Wesentlich dazu beigetragen hatten nicht weniger als fünf verliehene Literatur-Nobelpreise in 24 Jahren an Sinclair Lewis (1930), Eugene O’Neill (1936), Pearl S. Buck (1938), William Faulkner (1949) und Ernest Hemingway (1954). Als einen „Nachzügler“ kann man John Steinbeck bezeichnen, der dann 1962 für seine sozialkritischen Romane, die in den 1930er Jahren zur Zeit der wirtschaftlichen Depression spielen und die existenzielle Not unzähliger Farmerfamilien thematisieren, mit dem Nobelpreis geehrt wurde. Obwohl er zu den erfolgreichsten und populärsten amerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts gehört, wurde und wird er von der Kritik und der Literaturwissenschaft distanziert beurteilt. Bereits die Verleihung des Nobelpreises 1962 stieß bei vielen Literaturkritikern auf Unverständnis. Und heute spielen seine Werke im amerikanischen Literaturkanon tatsächlich keine wesentliche Rolle mehr. Dennoch ist er nichts weniger als der kalifornische Klassiker, der im Laufe seiner Karriere nicht nur als Verfasser von Romanen, Novellen und Kurzgeschichten erfolgreich gewesen war, sondern sich ebenso als Dramatiker, Journalist, Drehbuchautor und Essayist einen Namen gemacht hatte. Längst waren seine populärsten Romane zu Standardwerken der modernen Erzählkunst geworden und hatten als Hollywood-Verfilmungen für Publikumserfolge im Kino gesorgt.

Geboren wurde John Steinbeck am 27. Februar 1902 im 150 km südlich von San Francisco gelegenen Salinas. Die wohlhabende Kleinstadt trug den Beinamen „Salatschüssel der Welt“, weil sie im Zentrum eines landwirtschaftlich fruchtbaren Anbaugebiets lag. Zu Beginn der Jahrhundertwende zählte der Ort 2500 Einwohner unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Dort hatten sich auch der deutschstämmige John Ernst Steinbeck und die irischstämmige Olive Hamilton zur Familiengründung niedergelassen. Sie waren angesehene Bürger der Stadt. Der Vater war Buchhalter in einer Zuckerfabrik und später in der regionalen Finanzverwaltung, die Mutter hatte als Lehrerin gearbeitet. John wuchs mit drei Schwestern auf, Elizabeth, Esther und Mary, zu denen er Zeit seines Lebens engen Kontakt hatte. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Salinas, lediglich unterbrochen von Ferien und Wochenenden im Ferienhaus der Familie in Pacific Grove.

Der junge Steinbeck zeigte zunächst Interesse für die naturwissenschaftlichen Fächer, vor allem die Meeresbiologie faszinierte ihn. Eine Neigung, die zeitlebens anhielt und auch Spuren in seinem späteren künstlerischen Schaffen hinterließ. Daneben begeisterte er sich auch für Literatur und so entstanden bereits in der Schulzeit erste Geschichten. Nach dem Abschluss der Schule bewarb er sich erfolgreich an der privaten Stanford University, wo er ziemlich planlos Biologie, Literatur und Rhetorik studierte. Nebenbei belegte er noch Kurse für kreatives Schreiben. Obwohl das sicher nicht den Erwartungen der Eltern entsprach, unterstützten sie ihn finanziell, denn das Studium schien den sozialen Aufstieg des Sohnes zu garantieren. Der 17-Jährige war den Anforderungen aber nicht gewachsen. Seine persönliche Lektüre war ihm wichtiger als das Lehrangebot. Immer wieder unterbrach er das Studium für verschiedene Gelegenheitsarbeiten als Hilfsarbeiter auf Baustellen, Farmen und in Fabriken. Er war Nachtwächter und Anstreicher, schleppte Baumaterial und säckeweise Getreide, lebte in schäbigen Baracken oder als Untermieter in heruntergekommenen Quartieren. Steinbeck, der stets schnell in Kontakt mit den Leuten kam, lernte hier ein Milieu und einfache Menschen unterschiedlichster ethnischer Herkunft kennen, die später in seinen Erzählungen und Romanen vorkamen.

Nach entbehrungsreichen Jahren brach Steinbeck 1925 das Studium schließlich ab, da er seinem Traum, Schriftsteller zu werden, nicht näher gekommen war und ging nach New York, wo er zunächst als Bauarbeiter seinen Lebensunterhalt verdiente. Auch als Reporter beim „New York American“ war er nicht erfolgreich. Enttäuscht kehrte er ein Jahr später nach Kalifornien zurück. Er suchte jetzt die Einsamkeit und nahm eine Stelle als Hausmeister einer wohlhabenden Witwe für ihr Landhaus am Lake Tahoe an und wollte diese Abgeschiedenheit nutzen, um an seinem ersten Roman „Tortilla Flat“ zu arbeiten. Im Sommer 1928 lernte er Carol Henning kennen, die mit ihrer Schwester zufällig einen Ausflug nach Tahoe gemacht hatte. Beide verliebten sich, und als er später nach Francisco zurückkehrte, wurden sie ein Paar. Sie war in San Francisco in der Werbeabteilung des „San Francisco Chronicle“ beschäftigt. Mit der jungen, aufgeweckten und politisch interessierten Carol Henning geriet sein Leben und Denken schließlich in Bewegung und es kündigte sich ein Wandel in seinem Schreiben an.

Obwohl er 1930 für seinen ersten Roman „Cup of Gold“ („Eine Handvoll Gold“) einen Verleger gefunden hatte, war das junge Paar auf die finanzielle Unterstützung seiner Eltern angewiesen. In seinem historischen Roman ging es um den skrupellosen Freibeuter Henry Morgan und seiner Suche nach der geheimnisvollen Frau Santa Rosa in Panama, von der man sagt, sie sei schön wie die Sonne. Sowohl der Abenteuerroman als auch der nachfolgende Band mit Erzählungen „The Pastures of Heaven“ (1932, „Das Tal des Himmels“) und der Familienroman „To A God Unknown“ (1933, „Der fremde Gott“) waren jedoch Misserfolge und wurden von der Kritik kaum wahrgenommen. Trotz dieser Ernüchterung hielt Steinbeck an seinem Traum einer Schriftstellerkarriere fest. Mit eiserner Schreibdisziplin wollte er möglichst jedes Jahr einen neuen Roman vorlegen.

Tortilla Flat

Einen ersten Erfolg erzielte er schließlich 1935 mit „Tortilla Flat“. Der humorvolle Schelmenroman besteht aus 17 locker miteinander verknüpften Episoden, die nach dem Vorbild der mythischen Tafelrunde von König Artus von einer Clique lebenslustiger, indianisch-spanischer Tagediebe, Habenichtse und Landstreicher angelegt sind. Steinbeck griff hier auf Erlebnisse zurück, die er als Gelegenheitsarbeiter in einer Zuckerfabrik mit mexikanischen Mitarbeitern gemacht hatte. Der Titel des Romans geht auf den hügeligen Stadtteil Tortilla Flat der kalifornischen Stadt Monterey zurück, die später noch einmal in seinem Roman „Cannery Row“ im Mittelpunkt stehen sollte.

Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren führten bei John Steinbeck zur Politisierung. Auf Anregung seiner Ehefrau, die ab 1933 als Sekretärin für ein unter Präsident Franklin D. Roosevelt eingerichtetes Emergency-Relief-Programm arbeitete, verfolgte er die katastrophalen ökonomischen und sozialen Entwicklungen der Depressionszeit. Arbeitslosigkeit brachte weiten Bevölkerungsteilen Hunger und Armut. Gewaltsame Konflikte zwischen den gesellschaftlichen Gruppierungen waren die Folge. Steinbeck selbst konnte die sich verschärfenden Arbeitskämpfe zwischen Plantagenbesitzern und Saisonarbeitern im sogenannten Salatstreik von Salinas 1934 miterleben.

In "Dubious Battle“ (1936, „Stürmische Ernte“) schildert die erbitterten Auseinandersetzungen kalifornischer Obstpflücker gegen ihre Plantagenbesitzer, die die Löhne kurzerhand gesenkt hatten. Der junge Jim Nolan, Sprecher der Saisonarbeiter, organisiert mit dem erfahrenen Arbeiterführer Mac McLeod einen Streik, der jedoch mit angeheuerten Streikbrechern und Polizeikräften gewaltsam niedergeschlagen wird. Steinbeck, dem die Kritik die brutale Darstellung der Ereignisse vorwarf, ging es gerade um die schonungslose Schilderung der Realität, die das Elend und diese Brutalität hervorbrachte. Nach dem Erfolg des Romans erhielt er von der Tageszeitung „San Francisco News“ das Angebot zu einer Reihe von Reportagen über die Notlage der kalifornischen Wanderarbeiter. Die Recherchen zu diesen Artikeln bildeten die Grundlage für seine beiden nächsten Werke.

Von Mäusen und Menschen

In dem kleinen Meisterwerk „Of Mice and Men“ (1937, „Von Mäusen und Menschen“) erzählt er die Geschichte zweier mittelloser Landarbeiter, die auf der Suche nach Arbeit von Farm zu Farm ziehen. Der bärenstarke, doch geistig zurückgebliebene Lennie Small und der schmächtige, lebensgewandte George Milton sind zwar ein ungleiches Duo, doch ein gemeinsamer Traum treibt sie an. Sie wollen genügend Geld verdienen, um sich eine eigene Farm kaufen zu können, wo sie endlich sesshaft ihr Leben gestalten können. Für diesen Traum schuften sie auch auf ihrer neuen Arbeitsstelle, einer südkalifornischen Großfarm, geführt von dem Sadisten Curley und seiner koketten Ehefrau, die stets versucht, mit den Landarbeitern anzubändeln. Aber dieser „amerikanische Traum“ vom selbstbestimmten Leben zerplatzt auf brutale Weise, als der arglose Lennie durch seine unkontrollierte Körperkraft eine Katastrophe auslöst. Ehe die wütende Leute ihn lynchen, erschießt ihn sein Freund George. „Of Mice and Men“ wurde ein durchschlagender Erfolg, der erstmals 1939 von Lewis Milestone und später noch öfters verfilmt wurde.

Steinbeck war mit einem Schlag berühmt, doch der Ansturm der Öffentlichkeit (Leserbriefe, Anrufe, Angebote oder Interviewanfragen) behagte ihm nicht, sodass er sich 1937 zu einer Reise nach Skandinavien entschloss. Ein Jahr später erschien die Kurzgeschichtensammlung „The Long Valley“ („Der rote Pony“). In der titelgebenden Tiergeschichte bekommt der zehnjährige Jody ein junges Pony von seinem Vater geschenkt. Als das geliebte Tier erkrankt und schließlich stirbt, ist Jodys heile Kinderwelt jäh zerstört.

Früchte des Zorns

Im folgenden großen Roman „The Grapes of Wrath“ (1939, „Früchte des Zorns“) zeigte sich Steinbeck dagegen wieder als schonungsloser Chronist des American Way of Life. Der Roman erzählt die Geschichte der besitzlosen, wandernden Farmarbeiter aus Oklahama, die (hochverschuldet, geplagt von Dürre und Missernten) nach Kalifornien aufbrechen. Die dahintreibenden, suchenden Menschen waren jetzt wanderndes Volk. Jene Familien, die auf einem kleinen Stück Land gelebt hatten, die gelebt hatten und gestorben waren auf ihren vierzig Hektar, die von den Produkten der vierzig Hektar gegessen oder an ihnen verhungert waren, hatten jetzt den ganzen Westen zum Umherstreifen zur Verfügung. Und sie streiften umher und suchten nach Arbeit. Über die großen Straßen strömte das wandernde Volk.

Doch in dem gelobten Land finden die „Erntezigeuner“ kein Paradies vor, als Arbeitsmigranten werden sie von den kalifornischen Plantagenbesitzern ausgebeutet und von den einheimischen Landarbeitern als „Okies“ (aus Oklahoma) angefeindet. John Steinbeck erzählt das Schicksal der Familie Joad, die bei dem langen Marsch durch Hitze und Sandstürme an die Grenzen menschlicher Anstrengung geht und schließlich auseinanderbricht. Sein Schreibstil ist klar, eindringlich und unerbittlich, ein harter ehrlicher Ton mit „geradezu biblischer Wucht“.

In die Darstellung ließ Steinbeck aber auch immer wieder Passagen mit seinem Glaubensbekenntnis an das Gute im Menschen einfließen: „Die letzte klare, bestimmte Funktion des Menschen – Muskeln, die arbeiten wollen. Gehirne, die schaffen wollen über das einfache Bedürfnis hinaus – das ist der Mensch. (…) Denn der Mensch, anders als jedes organische oder anorganische Ding im Universum, wächst über seine Arbeit hinaus, erklimmt die Stufen seiner Vorstellungen empor, läuft seinen Kenntnissen voraus“.

Für seinen Roman hatte Steinbeck intensiv recherchiert und war mit einer Gruppe von Wanderarbeitern gemeinsam bis nach Kalifornien gereist, um authentisches Material zu sammeln. Die Resonanz auf seine offenkundige Sozialkritik war immens und gespalten – sie reichte von „die Stimme der Unterdrückten und Ausgebeuteten“ bis zu „Volksverhetzer“. Man warf ihm Klassenkampf und kommunistische Sympathien vor. Verbote wurden angestrebt und Gegendarstellungen verfasst. Er durfte sich jahrelang in den Handlungsorten des Romans nicht blicken lassen. Trotz aller Kritik (vor allem von Seiten der Großgrundbesitzer und der Kirche) erhielt das „teuflische Machwerk“, das auch als „Onkel Toms Hütte des 20. Jahrhunderts“ angesehen wurde, 1940 den Pulitzer-Preis sowie den National Book Award. Im selben Jahr wurde der Roman von John Ford mit Henry Fonda in der Hauptrolle verfilmt, erhielt aber auf Anweisung der Zensur einen optimistischeren Schluss als das Buch. Dabei übertraf die Verfilmung (mit zwei Oscars prämiert) noch den sensationellen Erfolg des Romans. Bis heute hat sich kein weiterer Regisseur an die filmische Verarbeitung der literarischen Vorlage gewagt.

Die Arbeit an seinem Opus magnum hatte John Steinbeck an den Rand der Erschöpfung gebracht. Zur Erholung entschloss er sich, mit dem Meeresbiologen Ed Ricketts eine Schiffsreise in den Golf von Kalifornien zu unternehmen. Sechs Wochen schipperten sie auf einem Sardinenkutters mit kleiner Mannschaft im Golf von Kalifornien und hielten die Erlebnisse ihrer Forschungs- und Abenteuerreise in „Logbuch des Lebens“ (1941) fest. Die wissenschaftlichen und poetischen Aufzeichnungen der Exkursion, die gleichzeitig eine Hymne auf das Leben und die Freundschaft darstellten, erschienen 1951 noch einmal mit einem 60-seitigen Nachruf auf Ed Ricketts, der 1948 bei einem Zugunglück ums Leben kam. (Im Vorjahr brachte der Mare Verlag „Logbuch des Lebens“ in einer schönen Neuübersetzung heraus.) Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs (spätestens mit dem japanischen Überfall auf Pearl Habour am 7. Dezember 1941) sah sich Steinbeck moralisch verpflichtet, seinen Beitrag zum Kampf gegen Nazi-Deutschland zu leisten. Im Auftrag des „Foreign Information Service“ (FIS) stellte er Material für propagandistische Zwecke zusammen, woraus schließlich das Theaterstück (1942) und anschließend der Roman „The Moon Is Down“ (1943, „Der Mond ging unter“) entstand. Der plakative Propagandaroman wurde in viele Sprachen übersetzt und in die nazibesetzten Länder Westeuropas geschmuggelt, wo er ein breites Echo fand.

Die Kriegsjahre brachten Veränderungen in Steinbecks Privatleben. In der Ehe mit Carol kriselte es. Auslöser war wohl auch eine Affäre mit der 20-jährigen Sängerin Gwendolyn „Gwyn“ Conger, die er bei der Verfilmung von „Früchte des Zorns“ kennengelernt hatte. Beide heirateten im März 1943, doch die Ehe wurde bereits nach fünf Jahren geschieden.

Im Dezember 1950 heiratete er dann die amerikanische Schauspielerin und Stage-Managerin Elaine Scott (1914-2003), mit der er bis zu seinem Tod 1968 zusammen war. Im Juni 1943 reiste Steinbeck schließlich mit den amerikanischen Truppen nach Westeuropa, um dort als Kriegsberichterstatter tätig zu sein. In seinen Reportagen und Tagebuchaufzeichnungen, die unter dem Titel „Once there was a War“ (1943, „An den Pforten der Hölle“) erschienen, lieferte er detaillierte und realistische Schilderungen von den Kriegsschauplätzen in England, Nordafrika und Sizilien, gepaart mit Stimmungen und persönlichen Ansichten.

Die Straße der Ölsardinen

Nach Kriegsende kehrte Steinbeck in seine kalifornische Heimat, nach Monterey, zurück. Der Empfang war jedoch eher zurückhaltend, ja abweisend. Nur mit seinem langjährigen Freund Ed Ricketts stellte sich wieder ein herzlicher Kontakt ein. Ihm setzte er in seinem Roman „Cannery Row“ (1945, „Die Straße der Ölsardinen“) – und Jahre später in „Sweet Thursday“ (1954, „Wonniger Donnerstag“) – ein literarisches Denkmal. In lockerer Szenenfolge (in 32 relativ kurzen Kapiteln) beschrieb Steinbeck das Alltagsleben einer Straße (Cannery Row) in dem kalifornischen Fischerstädtchen. Zwischen Konservenfabriken, Lagerschuppen, Kneipen und Bordellen wohnen die unterschiedlichsten Menschen: Fischer, Lagerarbeiter, Taugenichtse, Huren und Sonderlinge. Eine Clique von jungen, obdachlosen Aussteigern haust in einer alten Lagerhalle, sie drücken sich vor jeder Arbeit, aber irgendwie schlagen sie sich immer durch. Gesellschaftlicher Mittelpunkt von Monterey ist der Kramladen des geschäftstüchtigen Gemischtwarenhändlers Lee Chong, bei dem die meisten Einwohner in der Kreide stehen. Die zentrale Figur des Romans ist jedoch Doc (Ed Ricketts), ein Einzelgänger und Meeresbiologe, der in seinem Labor experimentiert und mit allerlei Getier handelt. Er ist in ganz Monterey beliebt und so will man ihn mit einer Party überraschen, die jedoch in einem Fiasko endet. Manche Kritiker sahen in „Cannery Row“ lediglich eine Fortsetzung des thematisch ähnlich gelagerten Erzählbandes „Tortilla Flat“ und warfen Steinbeck zudem eine Romantisierung von Armut vor.

Da Steinbeck von Monterey selbst enttäuscht war, zog er mit seiner Familie wieder an die Ostküste, wo er in Manhattan zwei aneinandergrenzende Häuser kaufte. Hinzu kam, dass er nicht mehr an die literarischen Erfolge der Vorkriegszeit anknüpfen konnte. Er versuchte mit zahlreichen Reisen (etwa nach Skandinavien, Frankreich oder Mexiko) die Schaffenskrise zu überwinden. Mit dem Fotografen Robert Capa besuchte er 1947 die Sowjetunion. Ausgestattet mit Kamera und Notizblock wollten sie den Alltag der Sowjetbürger erkunden. Ihre Reportage „A Russian Journal“ (1948, „Russische Reise“) war aber nicht nur eine ausgezeichnete Reisebeschreibung, sie brachte auch die beiden Künstler als Menschen näher. Zurückgekehrt folgten weitere Schicksalsschläge: der plötzliche Unfalltod seines Freundes Ed Ricketts und die endgültige Trennung von seiner Ehefrau Gwyn. Dazu kamen gesundheitliche Probleme, verbunden mit übermäßigem Alkoholkonsum.

In diesen unsteten Jahren erschienen die unterhaltsame Parabel „The Wayward Bus“ (1947, „Autobus auf Seitenwegen“) und die gleichnishafte Novelle „The Pearl“ (1947, „Die Perle“), die auf einer alten mexikanischen Volkssage basiert.

Jenseits von Eden

„Die letzten paar Jahre waren schmerzlich. (…) Vielleicht kann ich jetzt endlich dieses Buch schreiben“. Gemeint war das Romanprojekt „Salinas Valley“, mit dem er sich schon geraume Zeit beschäftigte. Mit der selbstbewussten Elaine an seiner Seite, von der er liebevoll umsorgt wurde, wagte sich Steinbeck Anfang 1951 an die Ausführung. Es sollte ein Meisterwerk werden, in das er all seine Lebenserfahrungen hineinlegen wollte. Wieder unterzog er sich einer eisernen Disziplin, getrieben von der Angst, dem selbstgesteckten Ziel nicht gerecht zu werden. „Man muss sich eine Zeitlang aus dem Leben zurückziehen, um dieses Abbild hinzukriegen […] muss seinem eigenen Leben Gewalt antun, um das normale Leben anderer nachzuahmen. Und was dann herauskommt, wenn man all diesen Unsinn durchgestanden hat, ist vielleicht der blasseste Widerschein des Lebens.“ Die erste Fassung war bereits im Winter 1951 fertig, sodass der Roman schon ein Jahr später unter dem Titel „East of Eden“ (dt. „Jenseits von Eden“) erscheinen konnte. Die episodenreiche Familiensaga ist im kalifornischen Salinas-Tal zwischen dem Bürgerkrieg und dem Ende des Ersten Weltkriegs angesiedelt. In vier Teilen und 55 Kapiteln wird die Geschichte zweier Familien über drei Generationen verfolgt. Da ist zunächst die Geschichte der armen Hamiltons und der wohlhabenden Trasks, die Geschichte der ungleichen Brüder Charles und Adam, der Prostituierten Cathy Ames sowie ihrer beiden Zwillingssöhne Aron und Caleb.

Steinbeck ging es hier nicht um Sozialkritik, sondern um allgemeine menschliche Themen, um die Problematik von Verantwortung und Versuchung – eine „story of good and evil“. So wird das Schicksal zweier Generationen von dem alttestamentlichen Kain-Abel-Konflikt beherrscht. Eifersüchtig darauf, dass sein Vater seinen Bruder Adam vorzieht, versucht Charles diesen zu töten. In der nachfolgenden Generation ist es Caleb, der verzweifelt um die Liebe und Achtung seines Vaters Adam kämpft und den Tod seines Zwillingsbruders Aron verschuldet: „Ich wollte vor meines Vaters Augen weglaufen. Aber sie stehen dauernd vor mir. Selbst wenn ich meine Augen zumache, sehe ich sie. Immer werde ich sie sehen. Mein Vater wird sterben, aber seine Augen werden mich noch immer ansehen und sagen, dass ich meinen Bruder erschlagen habe.“ Kritiker warfen Steinbeck vor, ihm sei es nicht gelungen, die historischen und allegorischen Teile glaubhaft miteinander zu verbinden. Die „Gut-und-Böse“-Charakterisierung sei zu schematisch und der biblische Mythos sowie die Moral wirkten aufgesetzt. Hinzu kamen lange, fast essayistische Einschübe mit Naturbetrachtungen, über Politik, moderne Industrieproduktion oder über die Besiedlung des amerikanischen Westens, die den Roman in die Länge (immerhin über 700 Seiten) zogen. Trotzdem gibt es wohl kaum einen anderen Roman dieser Zeit, der eine solche Vielfalt an Darstellungsformen aufweist – von der lyrischen Aussage bis zum scharfen Realismus. John Steinbeck selbst betrachtete „East of Eden“ als sein Magnum Opus, das auch mit der eigenen Familiengeschichte verknüpft war („Alles was ich vorher geschrieben habe, ist irgendwie nur Vorübung zu diesem Buch gewesen“). Viel zu seiner Popularität hatte die Verfilmung durch Elia Kazan (1955) mit James Dean in der Hauptrolle beigetragen, die jedoch nur das letzte Drittel des Romans filmisch umsetzte.

Körperlich geschwächt und von der Kritik enttäuscht unternahm Steinbeck in den folgenden Jahren mit Elaine drei längere Europareisen. Das politische Klima der 1950er Jahre in Amerika wurde vom Kalten Krieg, dem Koreakrieg, der McCarthy-Ära und der zweifachen Präsidentschaft des Republikaners Dwight D. Eisenhower bestimmt. Steinbeck hatte jeweils den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Adlai Stevenson (u.a. mit Reportagen und Reden) unterstützt. Diese Nähe zu den politischen Repräsentanten machte ihn aber unter Schriftstellerkollegen verdächtig.

1958/59 reiste Steinbeck unter anderem nach England und Italien, um sich einen Jugendtraum zu erfüllen und besuchte die Schauplätze der mittelalterlichen Artus-Sage, die ihn seit Kindertagen begleitet hatte. Er wollte die Ritterdichtung in einer „unserer Zeit entsprechenden verständlichen Sprache“ nacherzählen und damit seinen Zeitgenossen zugänglich machen. Als die Übertragung jedoch allmählich zu einem eigenen Artus-Roman geriet, brach er die Arbeit ab. Das unvollendete Werk erschien daher erst 1976 („The Acts of King Arthur and His Noble Knights“/“König Artus und die Heldentaten der Ritter seiner Tafelrunde“).

Der Winter unseres Missvergnügens

Neben der Arbeit an der mittelalterlichen Sage griff Steinbeck in „The Winter of Our Discontent“ (1961, „Der Winter unseres Missvergnügens“) mit seiner Kritik am Konsumverhalten und der Profitgier dann ein aktuelles Thema auf. Der Roman ist bewusst im Jahr 1960 verankert. Ethan Hawley, ein redlicher Verkäufer in einem Kramladen, der zuvor ihm gehört hatte, zwingt eine Pleite, sein bisheriges Leben zu überdenken. Gewissermaßen über Nacht legt er seine moralischen Bedenken beiseite und wandelt sich zum erfolgsorientierten Geschäftsmann. Doch schließlich ist der moralische Preis für seinen Aufstieg zu hoch. Inzwischen war John Steinbeck 58 Jahre alt und resümierte selbstkritisch: „Ich, ein amerikanischer Schriftsteller, der über Amerika schreibt, arbeitete aus dem Gedächtnis, und das Gedächtnis ist bestenfalls ein schadhafter, undichter Speicher. (…) Ich hatte das Land seit 25 Jahren nicht mehr gefühlt. Kurzum, ich schrieb über etwas, das ich nicht kannte, und mir scheint, bei einem, der sich Schriftsteller nennt, ist das kriminell.“ Also begab er sich mit seinem Pudel Charley in einem zum Wohnmobil „Rosinante“ umgebauten Kleinlaster auf eine Reise quer durch die USA – in elf Wochen durch 34 Bundesstaaten. Er erlebte ein völlig verändertes Land, es war ihm fremd geworden – aus seiner Heimatstadt Salinas mit ehemals 4000 Einwohnern war eine Stadt mit 80.000 geworden, aus schmalen Bergstraßen vierspurige Highways. Seine Beobachtungen und Erlebnisse hielt er in dem Reisebuch „Travels With Charley. In Search of America“ (1962, „Meine Reise mit Charley. Auf der Suche nach Amerika“) in heiteren, satirischen, manchmal auch kritischen Episoden fest.

1962 wurde Steinbeck als sechstem US-Amerikaner der Literaturnobelpreis verliehen. In der Begründung der Schwedischen Akademie hieß es, „seine Werke zeichneten sich durch eine einzigartige realistische Erzählkunst aus, gekennzeichnet durch mitfühlenden Humor und sozialen Scharfsinn“. Die Auszeichnung löste teilweise Unverständnis aus, vor allem in den USA selbst. So warf die „New York Times“ bereits einen Tag nach Bekanntgabe die provokante Frage auf, ob man in Stockholm mit der zeitgenössischen amerikanischen Literatur vertraut sei – schließlich lagen Steinbecks große Romane bereits 30 Jahre zurück. Die Zeit der großen realistischen und sozialen Romane war vorbei. Obwohl Steinbeck den Nobelpreis mit gemischten Gefühlen entgegennahm, nutzte er seine kurze Dankesrede zu einem Credo auf den Schriftstellerberuf: „Der Schriftsteller ist berufen, die erwiesene Fähigkeit der Menschen für Größe des Herzens und des Geistes auszudrücken und zu verherrlichen, für Tapferkeit in der Niederlage, für Mut, Mitgefühl und Liebe. Wer nicht leidenschaftlich an die Fähigkeit des Menschen glaubt, sich zu vervollkommnen, hat sich nicht der Literatur ergeben und gehört nicht zu ihr.“

Nach der Ehrung mit dem Nobelpreis befürchtete Steinbeck, dass man nun sein Werk als geschützten Bildungskanon ad acta legen würde. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich weiter – er hatte in den zurückliegenden Jahren mehrere kleine Schlaganfälle erlitten. Trotzdem unternahm er noch einige Reisen und verfolgte aufmerksam die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Doch die sonst gewohnte Schreibdisziplin wollte sich nicht mehr einstellen. So entstand in den letzten Jahren kaum noch Nennenswertes. Am 20. Dezember 1968 starb John Steinbeck, dieser Klassiker der modernen Erzählkunst zu Lebzeiten, in New York an Herzversagen, seine Asche wurde jedoch naturgemäß auf dem Friedhof seiner Heimatstadt Salinas beigesetzt.

Foto: (c) dtv Verlag