Konttas, Simon - Der Lauf aller Dinge

Konttas, Simon - Der Lauf aller Dinge

Veröffentlicht am 02.02.2024

Gedichte.

In „Der Lauf aller Dinge“, der sich in 24 Prosagedichten manifestiert, taucht immer wieder die Befürchtung auf, dass „alles wiederkommt, / weil es vielleicht wirklich nichts Neues / gibt unter der Sonne“. Alltag besteht auch hauptsächlich aus Wiederholung und nimmt die meiste Zeit unseres Lebens ein. Dabei bewegen wir uns in einem engen Rahmen, auf den wir nach dem Feiern der Feste immer wieder zurückfallen. Denn einem Alltag entkommt man nicht. Er und seine Begleiterscheinungen stehen im Mittelpunkt, „die Abfolge von Einkaufengehen, Essenkochen, Wäschewaschen und Arbeit“.

Aber genauso wird Liebe, das Einandernäherkommen oder Liebeskummer verhandelt. Dabei phantasiert sich der Autor in eine ferne Zukunft, in der es Tabletten dagegen gibt, „Mikrochips / und dergleichen Wunderdinge“. „Bequem wird es sein / und ein Ende von allem: / des Kummers / und auch der Liebe“. Bleiben als Trost: „die Wonnen der Gewöhnlichkeit“, die sich etwa darin manifestieren, dass zwei Männer lieber ihre ferngesteuerten Spielzeugrennautos hin und her sausen lassen, als sich mit den „Zumutungen der weiblichen Biologie“ auseinanderzusetzen.

Simon Konttas entschlüsselt auf diese Weise nicht nur den „Stumpfsinn / des eitlen Geschwätzes“, sondern er zeigt auch, dass es trotz allen Wahnsinns Familien gibt, in denen es läuft „wie in diesen Heile-Welt-Serien aus den USA“, was ihn nicht davon abhält, neben Schönheit und Alter, Beziehung und Entfremdung die Gleichförmigkeit unserer Konsumgesellschaft zu thematisieren. Denn im Grunde leben wir in einer verkleinerten, langweiligen Welt, wo man selbst in der westfinnischen Hafenstadt Vaasa „die gleichen Haushaltsgeräte, die gleichen, die gleichen, die gleichen etc.“ zu kaufen bekommt wie in London, Moskau, Rom oder Wien. Genau deswegen erscheint ihm der „farblose Trübsinn finnischer Supermärkte der achtziger Jahre / (...) wie ein Paradies des verlorengegangenen Nationalcharakters“.

Und obwohl „die unbarmherzige Zeit/ über alles hinweggeht“, die Oberflächlichkeit bleibt. Weil: „Was die Menschen reden, / ist meistens nur Geräusch, sonst nichts“. Dementsprechend düster erscheint manchmal das Bild von „Mensch und Umwelt“, von den Beziehungen, dem Alleinsein, der Einsamkeit: Einem Mann, der sich zeit seines Lebens immer nur beeilt hat, aber immer zu spät gekommen ist, bleiben am Ende nur „seine Selbstgespräche“ und eine „sauber aufgeräumte Garage“. Da und dort werden Stumpfsinn und Wahnsinn sichtbar: Ein Amokläufer taucht auf, der „erschossen werden will“. Oder eine Frau, die noch nie jemand berührt hat und deshalb schon die Handschrift eines Mannes, der ihr einen belanglosen Brief geschrieben hat, „wie die Berührung durch seine Hände“ empfindet.

Hin und wieder baut sich ein Schreckensszenario auf; etwa bei der Magersüchtigen, die „fettleibig, (...) von einem Auto überfahren (wird), überlebt / mit einer zerquetschten Niere (…), und (sich) erschießen (will), / weil die Liebe ihres Lebens sie verlassen hat. / Ihr Bruder lebt bei der Mutter, (...) / verfällt dicken Titten auf schmalen Taillen, / kauft sich heimlich Hefte, vergewaltigt am 25.6.1998 / im Park eine junge Frau, landet im Gefängnis. / Die Schwester stirbt eine Woche später / an Nierenversagen. Die Mutter (...) / erstickt eine Woche darauf an einem Mineralwasserstöpsel“. Derart Drastisches bleibt aber Ausnahme. Manchmal wird sogar die Möglichkeit verhandelt, „das Glück in Versuchung zu führen“. In diesem Sinne beobachtet man, „wie die einen steigen, wie die anderen fallen“. Dabei wird sachlich innovativ und schnörkellos erzählt.

Dazu passt auch die Inszenierung des Buches, das inklusive des Lesebändchens ganz in Weiß gehalten ist, ja dem man über die ein bis zwei unbeschriebenen Seiten zwischen den einzelnen Texten, die als kurze Gedankenrast genützt werden können, sogar etwas Rituelles oder Zeremonielles zuschreiben kann. Die Quintessenz des Bandes ist allerdings einfach: „Ich will leben“, lautet die Botschaft. Wem das zu schwierig ist, die oder der möge sich in die Phantasielosigkeit retten. Denn die bewahrt einen zumindest vor dem Wahnsinn.
Andreas Tiefenbacher

Konttas, Simon - Der Lauf aller Dinge
Gedichte. Wien: Edition Melos 2022. 88 S. - fest geb. : € 22,00 (DL) ISBN 978-3-9505384-0-3

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