Konttas, Simon - Ich war ein kleiner Gott

Konttas, Simon - Ich war ein kleiner Gott

Veröffentlicht am 22.02.2024

Vier Kurzgeschichten mit einer Audio-CD.

Jeder Mensch, so unterschiedlich Herkunft und Lebensführung, Stimmungslagen oder Gewohnheiten auch sein mögen, liebt auf mehr oder weniger intensive Weise. Das führen die vier in diesem Band versammelten Geschichten eindrucksvoll vor Augen. Sigismund in „Der tote Vogel“ ist als streng frommer Mensch von der Liebe zur Mutter Gottes erfüllt. Er liebt sie „wie ein Jüngling ein Mädchen liebt, vor lauter unerfahrener Liebe unfähig sich auch nur einem lüsternen Gedanken hinzugeben“. Und doch ertappt er sich manchmal in der Vorstellung, die Mutter Gottes würde ihn liebkosen und auf den Mund küssen.

Mit Küssen schaut es für den über vierzigjährigen Uwe in „Szenen einer Ehe“ gerade gar nicht gut aus, steckt er doch in einer „verfahrenen Lebenslage“. Er kann seiner 30-jährigen Frau Amanda, die er über eine Partnerbörse kennengelernt und die all ihre Hoffnungen in ihn und seinen Glauben an Ehe und Liebe gesetzt hat, nämlich nichts bieten. Vorzuweisen gibt es nur einen schlecht bezahlten Job in einer vom Konkurs bedrohten Firma und ein Leben, das viel zu sehr „vom Hätte“ bestimmt ist. Doch anstatt dagegen etwas zu unternehmen, grapscht Uwe die junge Schwester seiner Frau in einem Tanzclub an und löst so eine Beziehungskrise aus.

In einer veritablen Krise steckt auch die Kassiererin Elisabeth in „Beim Abendessen“, plagt ihren Sohn manchmal doch eine so schreckliche Angst, „dass irgendwo eine Bombe explodieren könnte“. Diese Angst hält Elisabeth dann davon ab, ihn in die Schule zu schicken. Schließlich will sie nicht als „herzlos“ erscheinen. Umso herzloser erweist sich der in einer Gummizelle sitzende Gabriel aus „Ich war ein kleiner Gott oder Ein Gebet“. Seit vier Jahren im Gefängnis, hat er durchgedreht und jemandem die Kaffeemaschine an den Kopf geknallt; sieht sich aber „trotz der Schwänze und der ewigen Fickerei und dem ganzen Drogenscheiß“ nicht als „Halunke“, hat er doch einiges von seinem Geld Armen, Bettlern und Bedürftigen gegeben. Er legt eine Art Lebensbeichte in Gebetsform ab. Darin bekennt er, dass ein einziger Fehler ausgereicht hat, um nicht nur den Lamborghini und die Villa in Genf zu verlieren, sondern auch noch, um im Gefängnis zu landen.

In einer Art Gefängnis befinden sich aber auch die anderen Protagonist/inn/en. Ihre Gitterstäbe sind jedoch nicht aus Hartstahl. Bei Sigismund („Der tote Vogel“) bestehen sie aus dem unüberwindbar scheinenden „Standesbewusstsein“ des lang gedienten Lehrers und seiner „Angst vor Unordnung und Anarchie“: Als die Schülerin Caroline einen toten Vogel in einer Schachtel begraben möchte, zwingt er sie, dies zu unterlassen, weil es nämlich eine Sünde sei und gegen „die Ordnung der Dinge“ verstoße, ein Tier zu begraben.

Bei Uwe („Szenen einer Ehe“) ist es eine sich viel zu hoch anmutende Mauer aus Schulden und einer Frau, zu der die Verbindung gerissen ist und die im Auto sitzt und sich am liebsten umbringen würde, während Elisabeth („Beim Abendessen“) sich und ihren Sohn vom Schreckgespenst einer „grauslichen Flüchtlingswelle“, radikalisierten Jugendlichen und „grindigen Tschuschen“, denen schon mit zwölf ein Bart wächst, verfolgt sieht, das sie mit wochenlangem Keksebacken vor Heiligabend zu befrieden versucht.

Mit der Befriedung des in ihm wuchernden Zorns so sein Problem hat auch Gabriel. Er tut sich schwer, den Schmerz der Kindheit und Jugend aus Suff, Heim und Vergewaltigung zu überwinden. Weder Armani-Tasche, Gucci-Gürtel oder Prada-Schuhe noch die Vorstellung, einmal ein Adonis gewesen zu sein, reichen aus. So bittet er Gott um Verzeihung, ist sich aber gar nicht sicher, ob der überhaupt existiert oder nur benutzt wird, um solche wie ihn zur Räson zu bringen.

Ein Konflikt, eine Krise sind der Nährboden, auf dem diese facettenreichen Geschichten entstehen. Sie werden in einer ironisch gewürzten, atmosphärisch dichten Erzählsituation feinsinnig aufgelöst. Nichts ist übertrieben, alles inhaltlich ausgewogen und wohlüberlegt. So führt das Aufregung und Erzürntsein eindämmen sollende beiläufige Kaugummikauen in der Begegnung Sigismunds mit einem sich vorbildlich benehmenden Musterschüler in „Der tote Vogel“ zu einer schön gezeichneten peinlichen Berührtheit, während sich in „Beim Abendessen“ eine „aus einem brennenden Gebüsch herauslaufende Menschensilhouette“ in einer Kinderzeichnung als Vision von Bedrohung entpuppt.

Beeindruckend auch die Zeichnung von Sophia Moder auf dem Cover sowie die mit den Stimmen des Autors und seines Kollegen Ludwig Roman Fleischer in Artikulation und Tonfall souverän eingesprochene Audio-CD, die dem Band beiliegt. So ist ein spannendes Lese- wie Hörerlebnis garantiert.
Andreas Tiefenbacher

Konttas, Simon - Ich war ein kleiner Gott
Vier Kurzgeschichten mit Audio-CD. Villach: Smoliner Edition kärnöl 2023. 53 S. - kt. : € 16,00 (DR) ISBN 978-3-9505338-1-1

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