Kouwenaar, Gerrit - Fall, Bombe, Fall
Veröffentlicht am 09.09.2024
Novelle um einen Jungen zu Kriegsbeginn in den Niederlanden.
Warum haben sie mir nicht gesagt, was Krieg ist? Sollten sie es selbst nicht gewusst haben? Diese schwer wiegenden Gedanken eines holländischen Jungen lasten schwer auf der Elterngeneration aller Länder und Erdteile. Warum haben sie nichts gesagt? Ehrlich und aufrichtig: Sie haben auch nachher nichts gesagt! Nirgendwo auf der Welt! Es scheint und schien zu allen Zeiten offenbar so, dass man fahrlässig verursachte Katastrophen, wie Kriege es sind, offenbar erst viel, viel später in Worte fassen kann! Solche und ähnliche Gedanken und Überlegungen drängen sich nach der Lektüre dieser aufwühlenden Erzählung unaufhaltsam ans Tageslicht.
Niederlande, Mai 1940. Der Überfall durch deutsche Truppen steht unmittelbar bevor. Unter der Bevölkerung breiteten sich teilweise Angst, aber auch vielfach falsche Hoffnungen aus. Gerrit Kouwenaar verwendet geschickt diese zeitliche Kulisse, um davor in der Person des 17-jährigen Karel Ruis, einem gesellschaftlichen Außenseiter und sensiblen Tagträumer, diese Geschehnisse zu Papier zu bringen.
Er tut dies teilweise auch mit einem Seitenblick auf seine persönliche Biografie: „Auch ich stand am Nachmittag des 9. Mai am elterlichen Wohnzimmerfenster und schaute gelangweilt nach draußen, und auch für mich begann am Tag darauf die Invasion des Chaotischen und Destruktiven und projiziert dieses Erlebnis in die tief verwurzelten kriegslüsternen Tagträume des jungen Karel, der mit seiner Familie und der ihn umgebenden Gesellschaft kein Auskommen finden kann. Diese beispiellosen Tagträume (Fall, Bombe, fall ...) sollten tragischerweise Wirklichkeit werden und dem Jungen jede Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft rauben (Ich weiß, ich bin ein sentimentaler Bursche, aber meine Eltern sind tot, und alle anderen sind tot, und die kleine Ria spaziert durch London und kämmt ihr Haar ...)“. So verblasst auf der Flucht vor dem Bombenterror jegliche Hoffnung auf eine Überlebenschance und nicht zuletzt auch das Bild seiner ersten großen Liebe. Ria, ein jüdisches Mädchen, musste mit ihrer Mutter am Tag vor dem Einmarsch der deutschen Truppen die Flucht nach England antreten.
Ich darf dieses Buch ausnahmslos zur Lektüre empfehlen! Es handelt sich dabei um ein lupenreines Antikriegsbuch und bietet neben gediegener Unterhaltung vor allem auch im Bedarfsfalle die Möglichkeit, mit gut ausgewählten Textfragmenten der eigenen Gefühlswelt Herr zu werden.
Adalbert Melichar
Kouwenaar, Gerrit - Fall, Bombe, Fall
Novelle. Mit einem Nachwort von Wiel Kusters. München: Beck 2024. 124 S. - fest geb. : € 23,50 (DR) ISBN 978-3-406-81390-0 Aus dem Niederl. von Gregor Seferens