Krendlesberger, Annett - Zwei Blatt und zwei

Krendlesberger, Annett - Zwei Blatt und zwei

Veröffentlicht am 15.11.2019

Prosa in „offenbar maßgeschneiderter“ Sprachmontur

Dass Taxifahrer Jeff sie bis zum Check-in-Schalter des Wiener Flughafens begleitet wie der „dicke Kumpel aus der Schule, den man nicht und nicht los wird“, empfindet Ursula als eher unangenehm, weshalb sie (ganz der „Verdunkelungsstrategie gegen allzu grelle Penetranz“ vertrauend) mit Sonnebrille-Aufsetzen und Rücken-Zuwenden reagiert. Schließlich befindet sie sich gerade in keinem Gefühlshoch.
Der Grund ist Arbeitskollege Magnus, der ihre Natürlichkeit „erfrischend“ findet und so tut, als würde sie „sein Star“ sein, ihr bei Bier und Pommes dann aber gesteht, sich in jemand anderen verliebt zu haben.
Das treibt ihr Wasser in die Augen. Doch zieht sie statt des erhofften Taschentuchs einen Pfefferspray aus der Tasche, den sie aber nicht einsetzt. Schließlich ist zwischen Magnus und ihr außer „ein bisschen Geplänkel“ ja nichts gewesen; er eben nur „ein guter Freund“, den sie verstehen kann, wenn er (wie jeder richtige Mann) „auf richtige Frauen steht, auf junge, zarte, die mit langen Haaren eben, nicht auf den Kumpeltyp, den Kurzhaarfreak, nein, auf solche, die zu ihm aufschauen“.
Die 29jährige Journalistin, Schriftstellerin und Teilzeitkraft ohne abgeschlossene Ausbildung benötigt so einen Beschützer aber eigentlich gar nicht. Sie hat sowieso immer Notfalltropfen und Pfefferspray dabei. Außerdem ist der vom Universum geborgte Körper nur „ein Seelenkleid für begrenzte Zeit“ und Selbstmitleid (egal wie stark das Bedürfnis nach Nähe und Bestätigung oder die Zwänge der Leistungsgesellschaft auf‘s Gemüt drücken) keine passende Strategie, wenn man gegen Kränkungen kämpft und großes „Grau“ und sich vorkommt wie eine Laborratte „in einer steilen Röhre“.
Die Flucht nach Rom passt daher genau, um sich all dem blöden „Graffl“ zu entziehen, denn die wunderbare italienische Atmosphäre ist „bombastisch“, der Kühlschrank in der Wohnung der Freundin jedoch leer (il frigorifero è vuoto). Außerdem hat es 45 Grad. Im Schlafzimmer gibt es aber bloß einen kleinen Ventilator. Wegen der Ratten kann man in der Nacht kein Fenster öffnen, hört allerdings trotzdem ständig Menschen plärren, Hunde kläffen, Autos hupen. Und genau unter dem Fenster hocken „bei abwechselnd laufenden Motoren“ ein paar Typen auf ihren Vespas und brüllen die halbe Nacht herum oder fahren auf und ab, während sie bis 4 Uhr früh nicht einschlafen kann.
Darüber hinaus muss Ursula aufgrund des Wassermangels mit Mineralwasser aus dem Küchenvorrat per Papiertaschentuch vorsichtig Gesicht, Hals und Dekolletee abtupfen, „mit fetten Fingerabdrücken, Saft, Spucke?, komplett übersäte“ Bankomaten benutzen und mit dem Schöpflöffel auch noch eine Kakerlake erschlagen.
„Die wunderbare Aussicht“ entschädigt sie glücklicherweise dafür, während das ganze „sich vor dem vergoldeten Spiegel drehen“ nicht hilft, um an sich selbst („müfflich, schlaffbäuchig“) Schönes zu entdecken. „Selbstliebe“ ist überhaupt ein Wort, das sie hasst. Dementsprechend achtet Ursula streng darauf, dass sie nicht „etwas Unbekanntes erfasst wie Leichtigkeit oder Unbeschwertheit oder Lebensfreude und sie es noch umhaut vor Glück“.
Im Grunde gibt es nichts, was sie zum Leben „unbedingt haben muss“. Es reicht, dass sie Magnus nicht sieht, wie er mit einer anderen im Büro herumturtelt, und sie sich mit dem Geschmack der crostata (Mürbteigkuchen) beschäftigen kann, wegen dem sie eigentlich nach Rom gekommen ist.
Wie deren Teiggitter verhindert, dass die gute römische marmellata bei 50 Grad im Schaufenster „einfach so wegfließt“, verhindert Annett Krendlesberger durch ihren extravaganten, dynamischen, mit dialektalen Redesequenzen, italienischen Einsprengseln und allerlei anderen Impulsen aufgeladenen Erzählstil, dass Ursulas Reise bis „in die hintersten Winkel der grindigsten Seitengassen“ Roms nicht zu einem fulminanten Lesevergnügen avanciert.
Ihr Prosa-Unternehmen ist kühn. Es imitiert ‚Sprech‘, hinterfragt Haltung, bohrt in der Spezifik sozialer Gruppen, raut Italien-Klischees auf, bleibt aber selbst in der kompliziertesten ideellen Ausführung und Metaphorik prickelnd witzig.
Annett Krendlesberger entfaltet in „Zwei Blatt und zwei“, dessen Titel das Drapieren des Klopapiers auf der Klobrille bezeichnet („zwei Blatt und zwei, zwei und zwei rundherum“), ein sensibles Sprach- und Kommunikationsfuriosum, das am normalen Handeln vorbei in die Tiefen der Beschreibungsvielfalt vorstößt. Dabei entwickelt sich eine Prosa in „offenbar maßgeschneiderter“ Sprachmontur, „die die Welt auf eine ganz bestimmte Weise sieht, in allen Farben“. Besser geht es kaum!
Andreas Tiefenbacher

Krendlesberger, Annett - Zwei Blatt und zwei
Prosa. Wien: Bibliothek der Provinz 2019. 144 S. - br. : € 15,00 (DR)
ISBN 978-3-99028-740-8