Kushner, Rachel - See der Schöpfung
Veröffentlicht am 03.12.2025
Eine atemlose Geschichte, die weit über einen Spionageroman hinausgeht.
Die Protagonistin nennt sich Sadie Smith. Sie sitzt in einem verfallenen französischen Landwohnsitz, liest E-Mails, trinkt Bier. Neben ihr auf dem Boden: ein Satellitenempfänger. An den Eingangstüren: neue Schlösser, die sie angebracht hat. Irgendwo, gut versteckt: mehrere Schusswaffen. Sadie, deren Name nicht ihr echter ist, hat sich in diese abgelegene Gegend zurückgezogen, um eine Auftragsarbeit zu erledigen. Für wen genau, das bleibt vage, doch die Anweisungen sind klar: Sie soll eine Gruppe anarchistischer Umweltaktivist:innen infiltrieren, die unter Verdacht steht, Anschläge auf Industrieprojekte verübt zu haben.
So weit, so gut, wären da nicht diese E-Mails. Sadie fängt Konversationen zwischen der Kommune und deren intellektuellen Vorbild ab, einem Mann namens Bruno Lacombe, der sich aus der Gesellschaft zurückgezogen hat, um in einer Höhle zu leben, und gerne lange Monologe über das Wesen der Menschheit und die Rückkehr zur Natur tippt. Was im ersten Moment absurd anmutet („Neandertaler neigten zur Depression, meinte er”, so der erste Satz des Romans), entwickelt sich langsam zur Bruchlinie im Narrativ. Denn obwohl Sadie Brunos Theorien zunächst lakonisch kommentiert, muss sie sich doch eingestehen, dass ein Leben im Spätkapitalismus auch an ihr nicht spurlos vorübergeht.
Diese Balance zwischen dem Tiefgründigen und dem Grotesken ist vermutlich die größte Stärke des Romans. So schafft es Kushner, ein gewinnendes psychologisches Porträt ihrer Hauptfigur zu zeichnen (klug, witzig, berechnend), dieses aber gleichzeitig in eine Welt einzubetten, die mitunter an einen grellen Fiebertraum erinnert (verwirrend, unzusammenhängend, bedrohlich). Daraus ergibt sich eine atemlose Geschichte, die weit über einen Spionageroman hinausgeht, durch ihren Humor besticht, und sich in ihrem Mikrokosmos den großen Fragen der Menschheit stellt.
Lisa Edelbacher
Kushner, Rachel - See der Schöpfung
Hamburg: Rowohlt 2025. 480 S. - fest geb. : € 27,95 (DR) ISBN 978-3-498-00241-1 Aus dem Amerikan. von Bettina Abarbanell

