Lindinger, Michaela - Marie Antoinette

Lindinger, Michaela - Marie Antoinette

Veröffentlicht am 30.08.2023

Ein Porträt der Monarchin, die knapp vor ihrem 38. Geburtstag den Kopf verlor, zwischen Aufklärung und Fake News.

Die berühmte Biografie von Stefan Zweig über Marie Antoinette trägt den Untertitel “Bildnis eines mittleren Charakters“ und erklärte damit auch gleich Zweigs Einschätzung der zu trauriger Berühmtheit gelangten Königin von Frankreich. Wäre nämlich aus Maria Antonia, der jüngsten Tochter Marias Theresias, nicht Marie Antoinette geworden, die dann in der Französischen Revolution am Schafott endete, so wäre nicht viel von dieser mittelmäßigen Figur geblieben. Für Zweig war sie eine gänzlich unbedeutende Person, die nur durch die nicht von ihr hervorgerufenen oder beeinflussten Vorgänge im Gedächtnis blieb.

Auch denkt man, wenn ihr Name fällt, oft nur an einen angeblichen Ausspruch von ihr: "Wenn Sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen!" Es dürfte der meistzitierte Satz Marie Antoinettes sein, doch sie hat ihn nie gesagt. Es gibt nur wenige Royals, über die derart viele Legenden, Lügen und Halbwahrheiten im Umlauf sind wie über Marie Antoinette. Michaela Lindinger legt jetzt eine neue Biografie Marie Antoinettes vor, in der sie mit etlichen Vor- und Fehlurteilen aufräumt. Sie versucht, Marie Antoinette aus ihrer Zeit heraus zu verstehen und stellt sie dabei vor allem aus weiblicher Perspektive vor.

1770 wurde sie im Alter von 14 Jahren mit dem französischen Thronfolger Louis Auguste, dem späteren Ludwig XVI., verheiratet. Sie war auf diese Ehe schlecht vorbereitet, niemand hatte gedacht, dass ihre Vermählung einmal wichtig werden könnte und natürlich hatte sie bei dieser Eheschließung nicht mitzureden. Das Paar wird ins königliche Schlafgemach geleitet und vom Reimser Erzbischof gesegnet. Die beiden sollen ihrer dynastischen Pflicht nachkommen und Nachwuchs zeugen. Maria Theresia hatte ihre Tochter im Rahmen des damals Üblichen auf die Pflichten einer Ehefrau vorbereitet, was aber keiner ahnen konnte: Louis Auguste hatte keine Ahnung, was er tun sollte.

Es ist beispielsweise köstlich, wie Lindinger die sexuellen Probleme der beiden schildert. Es brauchte nämlich nicht weniger als 7 Jahre, und einen Besuch von Marie Antoinettes Bruder, Kaiser Joseph II., der dem Ehepaar in drastischen Worten erklärte, wie Beischlaf ging. In einem an Deutlichkeit nicht zu überbietenden Brief an seinen Bruder Leopold beschrieb Joseph II., was bei den beiden alles falsch lief, der Brief gipfelt in dem Satz: "Zu zweit sind sie doppelt so ungeschickt. Welche Stümper!" Die brüderliche Nachhilfe half aber, 1778 endlich war die Königin schwanger, sie brachte eine Tochter zur Welt, 1781 folgte der ersehnte Dauphin.

Das Königspaar ignorierte, dass sich die öffentliche Meinung immer stärker gegen sie wandte. Die Halsbandaffäre 1785, an der Marie Antoinette allerdings völlig unschuldig war, ruinierte schließlich ihren Ruf. Eine Menge Gerüchte über sie machte die Runden, von Ehebruch über Lesbentum, Inzest, Nymphomanie und Prunksucht gab es nichts, dessen sie nicht beschuldigt wurde. Nicht mehr der Hof gab die Themen vor, sondern eine andere Art von Öffentlichkeit, Medien und Propaganda aller Art. Und diese fällte ein unbarmherziges Urteil: Ludwig XVI. wurde am 21. Januar 1793 hingerichtet, am 16. Oktober des gleichen Jahres seine Frau.

Die Biografie zeichnet ein detailliertes Bild des Lebens am Hof von Versailles, der allem Prunk zum Trotz ungeahnte Niederungen zu bieten hatte. Marie Antoinette war sicherlich ein Opfer der vom Machtkalkül angetriebenen Heiratspolitik der Herrscherhäuser im 18. Jahrhundert. Und auch wenn das Image der eitlen und egozentrischen Prinzessin nicht von ungefähr kam, billigt ihr ihre Biografin hier eine persönliche Authentizität, ihren Drang zur Veränderung, ihren Mut, neue Wege zu gehen und alte Muster zu durchbrechen zu. Im Gegensatz zu ihrem schwerfälligen Gatten Ludwig XVI. erkannte sie auch die Zeichen der Zeit. Und zog durchaus auch ihre Konsequenzen daraus.

Michaela Lindinger gelingt mit diesem Buch, ein differenziertes, kritisch durchleuchtetes und vor allem gut lesbares Porträt der Monarchin, die knapp vor ihrem 38. Geburtstag den Kopf verlor.
Brigitte Winter

Lindinger, Michaela - Marie Antoinette
Zwischen Aufklärung und Fake News. Im Zentrum der Revolution. Königin der Lust (Reihenweise kluge Frauen). Wien: Molden 2023. 304 S. - fest geb. : 30,95 (BI) ISBN 978-3-222-15087-6

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