Manea, Norman - Der Schatten im Exil

Manea, Norman - Der Schatten im Exil

Veröffentlicht am 14.06.2023

Von Fremdheit, dem Unbekannten und der Unsterblichkeit. 

Sein Freund Philip Roth wünschte dem heute 87-jährigen Norman Manea jahrelang vergeblich den Nobelpreis für Literatur. Der als Jude in Burdujeni im Nordosten Rumäniens Geborene fühlte sich schon früh alt. In einem seiner Bücher steht: „Im April 1945 war ich ein alter Mann, der gerade neun wurde.“ Als Kind von fünf Jahren kam er in ein rumänisches Konzentrationslager nach Transnistrien. Verlor Vater und Mutter, hatte nur die jüngere Stiefschwester und wuchs nach der Befreiung in Kinderheimen auf. Als Jugendlicher war er begeistert Kommunist und wurde dann bald enttäuscht. Er arbeitete als Wasserbau-Ingenieur und debütierte als 30-Jähriger in einer avantgardistischen Literaturzeitschrift.1974 ließ er sich als freier Schriftsteller in Bukarest nieder und beschrieb in seinen Büchern das Leben in einem totalitären Regime, ohne jedoch das kommunistische Regime direkt zu kritisieren. 1986 schließlich verließ er Rumänien. Nach längeren Aufenthalten in Deutschland erhielt er in den USA 1989 eine Dozentur, dann eine Professur am Bard College im Bundesstaat New York. Und er schrieb weiterhin auf Rumänisch.

Dieses neue Buch (das zuerst 2021 in Rumänien erschien) ist auch kein Roman, wie uns der Verlag weismachen will, sondern eine eigene großartige autofiktionale Collage mit ausgedehnten essayistischen Exkursen, Briefwechseln und Tagebucheinträgen. Norman Manea schreibt wiederum über sein Lebensthema, das Exil. „Wir sind alle im Exil“ ist denn auch der Titel einer seiner Essaysammlungen. Das Leben ist für ihn synonym mit Exil. So lautet auch der Satz in diesem Buch: „Das Exil beginnt mit dem Verlassen der Gebärmutter.“ In einem Interview meinte er 2012: „Wenn man ins Exil geht, verliert man fast alles, aber was man in den Regalen in einer Bibliothek sieht, sind die Autoren, die man geliebt hat im alten Land“, denn die Erfahrung des Exils sei „nicht das Unbekannte ringsum, es ist auch das Unbekannte in uns selbst“.

Der Erzähler, der die Initialen des Autors N.M. trägt, berichtet von seinem Schicksal, beginnend Mitte der 1980er Jahre mit den absurden Geheimdienst-Verhören bei der Passbehörde. Als ideellen Weggefährten erwählt sich der „Wanderer“ N.M. Peter Schlemihl, den etwas naiven jungen Mann aus Chamissos Erzählung aus dem Jahr 1813, der bei einer Gartengesellschaft einem Fremden seinen Schatten verkauft. Manea betrachtet den wegen der Französischen Revolution nach Berlin emigrierten Chamisso als eine Art Bruder im Geiste und den Namen Peter Schlemihl als „burleske Annäherung von Christentum und Judentum“, denn der Name des christlichen Apostels Petrus trifft auf Schlemihl, was laut Talmud „von Gott geliebt“ bedeutet.

Nach einigen Wirren nach New York gekommen, trifft der Erzähler dort seine Halbschwester wieder, die sagenhafte, unfassbare „Tamir, Tamar (Mara? Agathe)“. Beim Spaziergang zertritt sie beinahe eine Schnecke. Die Geschwister heben sie vom Weg auf und domestizieren sie: „Die Freundschaft des Nomaden mit George ist kein Zufall. Die rätselhafte Schnecke hat ebenso wie mein nomadischer Freund Lösungen gefunden für ein Leben als einsamer Wanderer. Beide ziehen sie sich in ihr Gehäuse zurück und ignorieren die Reize ringsum.“ Ab nun wird die Beschäftigung mit Schnecken, den hermaphroditischen Einzelgängern, zur Obsession für den Erzähler.

„Der Schatten im Exil“ erzählt virtuos von Fremdheit, dem Unbekannten und Unsterblichkeit, und zwar ironisch, selbstironisch, mit unzähligen literarischen Anspielungen und Verfremdungen. Die durchaus sich auch widerstrebenden Elemente des Buches werden von Maneas ganz eigener Ironie und seinem Wortwitz durchdrungen. Ernest Wichner übersetzte es in ein leuchtendes Deutsch.
Georg Pichler

Manea, Norman - Der Schatten im Exil
München: Hanser 2023. 320 S. - fest geb. : € 28,80 (DR) ISBN 978-3-446-27628-4 Aus dem Rum. von Ernest Wichner

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