Millendorfer, Wolfgang - Kopf über Wasser

Millendorfer, Wolfgang - Kopf über Wasser

Veröffentlicht am 15.03.2022

Der Hallenbad-Roman

Das im Mittelpunkt stehende städtische Hallenbad, das sich als „Prachtbau von einem Betonklotz“ präsentiert, ist am 11. März 1986 von Marina und Werner Antl übernommen worden. Die beiden haben zufälligerweise auch an jenem Tag im März 1972 geheiratet, als es eröffnet worden ist. Das verbindet natürlich. Die „klassische Studentenliebe“ zwischen ihnen basiert auf einer „Mädchen-aus-den-Bergen-trifft-Jungen-vom-Land-in-der-großen-Stadt-Geschichte“. Knapp dreißig Jahre später ist beziehungstechnisch einiges anders: Marina muss ihren Werner manchmal anschreien. Außerdem hasst sie seine durchgetretenen Hausschuhe und fragt sich bisweilen, warum sie diesen Mann geheiratet hat, der ihr „den kritischen Geist mit Vorliebe für subversive Kunst“ nur vorgespielt hat und eigentlich weder ihre Familie noch die Gegend mag, aus der sie kommt.

Als die Geschichte beginnt, schreibt man den Februar 2001; er und der März bilden den zeitlichen Rahmen der Handlung, die sich auf fünfzig Kapitel verteilt und sich in ihrem breit gefächerten, abwechslungsreichen Verlauf an das Muster einer Fernsehserie anzulehnen scheint. Schließlich gibt es in diesem Hallenbad-Roman, wie er im Untertitel heißt, einigermaßen viel Personal, von dem der Tätigkeiten im Haus ausübende Teil eingangs vorgestellt wird. Er reicht vom Bademeister über die Kantinenchefin bis zum Nachtwächter. Es gibt allerdings noch andere Leute, die das weitläufige Gebäude bei Tag und sogar nachts bevölkern, befinden sich im Keller doch nicht nur eine Sauna und Kammer mit vergessenen Badeutensilien, sondern auch „geheime Räume hinter den Umkleidekabinen“. Sie erhalten mit Fortdauer des Geschehens einigen Zulauf, weil die Momente, „in denen man die Schnauze voll hat“, eher zu- als abnehmen. Daher scheint es nicht verwunderlich, wenn jemand daran denkt, sich „in der Welt hinter Kästchen 25“ zu verstecken.

Das ist dem Geschäftsführerehepaar Antl allerdings nicht vergönnt. Zu sehr stehen Marina und Werner im Fokus. Nicht nur scheint ihre Beziehung von Verfall bedroht, es ist auch der Fortbestand des Bades, das am 13. März des kommenden Jahres 30. Geburtstag feiern soll, nicht mehr sicher. Die goldenen Zeiten sind nämlich vorbei und die Stammgäste „an maximal zwei Händen abgezählt“. Im Gemeinderat und in der lokalen Presse spricht man mittlerweile von der „Causa Hallenbad“, existieren doch Berichte über den inoffiziellen Gebäudetrakt, die Fragen der Rentabilität aufwerfen und Anlass geben für Spekulationen über windige Immobiliengeschäfte bis hin zum Obdachlosenasyl.

Das ruft die politisch Verantwortlichen auf den Plan. Schließlich könnte man dort, wo das Hallenbad steht, auch einen Wohnblock oder ein kleines Einkaufszentrum errichten. Hofrat Spreitzer und sein Assistent Kaufmann von der Stadtverwaltung tauchen deshalb unangemeldet zur Routinekontrolle auf. Die beiden kommen im ungünstigsten Moment. Da sind die Spuren der Nachtwache durch die Kantinenbesatzung („sich am Beckenrand auskotzen (…), Bieretiketten und Wursträder an die Wand kleben, Plastiksessel-Weitwurf vom Sprungturm“ und ähnliches) noch weithin sichtbar. Das angerichtete Chaos führt zu einem Gerangel zwischen Werner Antl und Gottfried Spreitzer. Fotos des Lokalreporters Pichler zeigen, dass Antl den Hofrat würgt, was den Umstand einer möglichen Erpressung ins Spiel bringt. Und als dann noch drei Männer aus der überhitzten und versperrten Sauna befreit werden müssen und am Faschingsfest in der Bad-Kantine Feuer ausbricht, muss sogar die Polizei ermitteln.

Doch weil selbst die, die täglich mehr als einmal miteinander zu tun haben, kaum ein Wort miteinander reden, bleibt Vieles im Verborgenen: Dass der Bademeister trinkt und Schulklassen hasst; dass der Haustechniker eine Kamera unter der Sitzbank in der Sauna montiert hat; dass der Koch berühmte Spezialzutaten wie Spucke und Rotz, geriebene Finger- und Zehennägel, die kleinen Stoffkugeln aus dem Bauchnabel sowie zerkleinerte Scham- und Achselhaare ins Essen mischt oder dass der Nachtwächter zu „Nachtschwimm-Specials“ einlädt und Spezialrundgänge absolviert, die ihn mit Bürostühlen auf den Gängen Rennen gegen sich selbst fahren und öfter, als man denkt, masturbieren lassen.

Von diesen teilweise recht bizarren Schrullen der Protagonist/inn/en dringt nichts an die Öffentlichkeit. Umso mehr Platz gönnt ihnen der Autor, der sich als ausufernder Erzähler präsentiert. Seine Schilderungen sind detailverliebt und bis in Einzelheiten genau. Diese Ausschweifungen hätten zwar manchmal durchaus auch weniger sein können, aber sie unterhalten zum Teil köstlich bis zur letzten Seite. Und das muss man erst einmal können.
Andreas Tiefenbacher

Millendorfer, Wolfgang - Kopf über Wasser
Der Hallenbad-Roman. Wien: Milena 2021. 304 S. - fest geb. : € 23,00 (DR) ISBN 978-3-903184-78-7