Moers, Walter - Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte

Moers, Walter - Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte

Veröffentlicht am 14.04.2025

Zynische Kurzgeschichten aus einer fantastischen Welt.

Dieses Buch, so sein Nachwort, stammt eigentlich nicht von Walter Moers. Autor ist tatsächlich Hildegunst von Mythenmetz, gefeierter Schriftsteller, bekannt auf dem ganzen weiten Kontinent Zamonien und beliebt bei Buchlingen, Lindwürmern und Schrecksen zugleich. Moers ist lediglich sein Übersetzer, und die Frucht dieser Zusammenarbeit sind zwanzig Kurzgeschichten aus dem zamonischen Genre der Lachfabel (kurz: „Flabel”), ins Deutsche übertragen. Von der hierzulande bekannten Fabel weichen sie in einem wichtigen Punkt ab: letztere sind Allegorien mit moralischem Anspruch, aus denen sich universale Weisheiten über das Leben ableiten lassen sollen. Begibt man sich mit Moers in die fantastische Welt dieses Buches und trifft auf die dort lebenden Schlaufüchse, Dummwölfe und Halbtagsfliegen, so erkennt man schnell: Vorbilder sind sie tatsächlich keine.

In der Tat tun sich oft gar zu menschliche Abgründe in den flauschig-anthropomorphen Protagonist:innen auf. Das tituläre Einhörnchen beispielsweise kommt eines Tages auf die Idee, rückwärts leben zu wollen, um dem Tod zu entfliehen. Andere Bücher hätten so vielleicht den ersten Schritt einer epochalen Heldenreise inszeniert. In diesem Fall stellt sich jedoch heraus, dass Kelvin, so sein Name, einfach nicht zu den klügsten seiner Spezies gehört, denn rücklings einen Baum hinunterklettern ist gefährlich, ganz zu schweigen von diversen Kommunikationsproblemen. In ähnlicher Manier ist ein sprechender Frosch nicht unbedingt ein Prinz, und schafft er es nicht einmal, das Wetter richtig vorherzusagen, verwertet ihn der Narrativ anderweitig, je nach Blickwinkel auf brutale oder wohlschmeckende Art und Weise. Und wer glaubt, ein Beisswolf sei das Schlimmste, das in Wäldern lauern kann, dem ist wohl noch nie ein Schmiegehäschen begegnet.

Was Moers in den mittlerweile zehn Zamonien-Romanen, die dieser Sammlung vorausgehen, expertenhaft gelungen ist, schafft er auch hier: das Spiel mit den Erwartungen der Leser:innen, die oft so geprägt sind von den Konventionen von Märchen und Geschichten, dass ein Bruch mit diesen sehr effektiv sein kann. Gleichzeitig sind seine früheren Bücher aber tatsächlich Heldenreisen („Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär”, „Rumo & Die Wunder im Dunkeln”, „Die Stadt der Träumenden Bücher”), zwar nicht moralisierend, aber voller Charaktere, in denen das Gute zumindest zeitweise präsent ist und die man als Leser:in liebgewinnen kann. Das Einhörnchen und seine Konsorten wiederum sind unfassbar zynisch, leben in einer Umgebung, die vor Tod und Gewalt nur so strotzt, und in der Hoffnungsfunken so rar gesät sind, dass es beinahe keinen Unterschied mehr macht. So ergibt sich nicht nur eine brutale, sondern im Kern leider auch blutleere Welt.

Diese Abwendung von der bisherigen Balance resultiert in einem Werk, das vermutlich nur eingefleischte Fans von Moers wirklich schätzen werden. Jenen Leser:innen, die das fantastische Zamonien in seiner Hochform kennenlernen wollen, sei stattdessen ein anderes Märchen ans Herz gelegt: „Ensel und Krete”, vage an eine gewisse bekannte Erzählung erinnernd, war Moers’ erste Zusammenarbeit mit Mythenmetz – und bleibt bis heute vielleicht eine seiner besten.
Lisa Edelbacher

Moers, Walter - Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte
Zwanzig zamonische Flabeln. München: Penguin 2024. 176 S. - fest geb. : € 29,50 (DR) ISBN 978-3328603429

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