Palandri, Enrico - Lichter auf der Piazza Maggiore

Palandri, Enrico - Lichter auf der Piazza Maggiore

Veröffentlicht am 21.10.2024

Eine Liebesgeschichte in den 1970er Jahren, dem „bleiernen Jahrzehnt“ in Italien. 

„In der Liebe ist es wie fast überall: Am besten bin ich da, wo ich nicht die Initiative er-greife; nichts erzwingen und alles zulassen, die Welt nimmt ihren Lauf und ich folge ihr ...“ Enrico-Boccalone verliebt sich in Anna. Sie werden ein Paar. Sie unternehmen einen sommerlichen Roadtrip durch Frankreich. Bis sich Anna von Enrico trennt. Es ist das Jahr 1977. Italien erlebt die schwerste Wirtschaftskrise nach 1945. Bologna, die Universitätsstadt Italiens, ist der Schauplatz dieser Geschichte und auch der Ort, wo Enrico Palandri, der Autor, seine prägende Studentenzeit und erste, große Liebe erlebt.

Boccalone heißt so viel wie „großer Mund“ oder treffender „Quasselstrippe“: „Dabei bin ich nicht mal besonders ehrlich, überhaupt nicht, ich spreche eben nur alles aus; die Lüge liegt in der Satzkonstruktion, nicht im Inhalt; mit einem Wort, ich sage niemals klar ja oder nein, sondern weiche immer aus ...“ So tänzelt und tapst Palandris Erzähler Enrico-Boccalone, „die Quasselstrippe“, durch seine eigene erste, große Liebesgeschichte während gleichzeitig das „bleierne Jahrzehnt“ die italienische Zeitgeschichte prägt. Wohn- und Sozialraum ist Mangel, es fehlen Zukunftsperspektiven, die sich auch in den persönlichen Problemen und Fragen des Bürgersohns Enrico abbilden, auch wenn der verliebte Enrico nur durch die Tage zu taumeln scheint und beiläufig seinen Alltag, sein Erleben unmittelbar beschreibt.

Palandris Erzähler ist unzuverlässig, ungenau so wie unsere Wahrnehmung unter be-stimmten Umständen auch. Palandri ging es auch um einen speziellen, sprachlichen Rhythmus, der an das Rondo in der Musik angelehnt ist und diesen Text vielleicht auch zu einer Wiederentdeckung machen. Enrico Palandri, 1956 in Venedig geboren, studier-te bei Umberto Eco in Bologna und war Begründer des Freien Radiosenders „Radio Alice“ in den 1970er Jahren, wo er mit Freunden eine Poesie-Sendung produzierte, jedoch wenig Interesse an der Politik zeigte, wie er in Interviews meinte. Doch der Roman zeigt: die Gesetze der Liebe finden sich auch in den Regeln der Politik wieder und um-gekehrt. Das scheinbar private findet sich immer auch in großen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Palandris Debüt aus dem Jahr 1979 ist wohl anlässlich Italiens als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse neu übersetzt und aufgelegt worden.
Julie August

Palandri, Enrico - Lichter auf der Piazza Maggiore
Roman. Frankfurt: Schöffling 2024. 224 S. - fest geb. : € 25,50 (DR) ISBN 978-3-89561-154-4 Aus dem Ital. von Esther Hansen

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