Patricia Highsmith - „Ich bin die ewig Suchende“

Patricia Highsmith - „Ich bin die ewig Suchende“

Veröffentlicht am 07.02.2025

Zum 30. Todestag von Patricia Highsmith. Von Karin Berndl.

Ihr Leben beginnt an der Schwelle Amerikas zur Moderne. In Texas geboren, imaginiert sie sich Patricia Highsmith nicht nur in das Leben einer Intellektuellen des 20. Jahrhunderts – sie verwirklicht es auch auf ihre Weise. Sie lebt in der Boheme im angesagten Greenwich Village, geht auf ausgedehnte Reisen durch Europa, wo sie sich schließlich auch niederlässt. Sie war die „Dichterin der unbestimmbaren Beklemmung“, wie Graham Greene sie nannte, keine Kriminalautorin. Identität, Lug und Trug, das Unvermeidbare des Bösen und die Unmöglichkeit der Liebe sind die Themen ihrer Bücher, in denen nie nach Schuldigen gesucht wird oder nach Indizien.

Einsamkeit ist ein interessanteres Gefühl als Liebe

Während Patricia Highsmith in den 1960er Jahren beruflich dabei ist, mit massivem Einsatz alles zu erreichen, gestaltet sich ihr Privatleben zunehmend chaotisch und kräftezehrend. Im Frühjahr 1964 kauft Highsmith ein altes Cottage in Suffolk. Sie hat unzählige Liebesbeziehungen und Affären gelebt, ist zwischen Europa und den USA bestens vernetzt und mit den kulturellen Größen ihrer Zeit bekannt. „11.10.1945. Einsamkeit ist ein interessanteres Gefühl als Liebe. Und wer zu seiner Einsamkeit steht, ist aufrichtiger als jeder Liebhaber“ („Tage- und Notizbücher“).

Mit ihren Katzen und Schnecken lebt sie zurückgezogen auf dem englischen Land, bis auf die Wochenenden, an denen ihre aktuelle Geliebte Caroline zu Besuch kommt (Caroline Besterman, eine verheiratete Frau und Mutter, die sie Anfang der 1960er Jahre in London kennenlernt). Erst 1967 kann Highsmith über diese schwere Zeit ihres Lebens sprechen und schreiben. Nach der Trennung zieht sie nach Frankreich und schreibt weiter gegen ihre Einsamkeit an. „10.11.1969. Leben in Frankreich. Es ist wie im Gefängnis, mit dem Unterschied, dass die Dinge hier sich verändern und verschlimmern können, während sich die unangenehme Situation im Gefängnis normalerweise nicht verändert oder immer frustrierender wird, es sei denn, man versucht, eine Begnadigung zu erlangen, und scheitert dabei“ („Tage- und Notizbücher“).

Der Preis der jahrzehntelangen Selbstausbeutung ist 1980 eine Bypass-Operation, um die Durchblutung ihres rechten Beines wiederherzustellen. Die Schmerzen in ihrer rechten Wade sind Folge der durchs Rauchen verengten Blutgefäße und der jahrelangen Schreibtischarbeit. Der finanzielle Erfolg bringt auch eine Steuerprüfung mit sich, die der Grund dafür ist, dass sie ihre letzten Lebensjahre in der italienischsprachigen Schweiz, konkret im Tessin, verbringen wird. Der Umzug führt auch zur Trennung von ihrer letzten Lebensgefährtin, der jungen französischen Lehrerin Monique, die ihr nach all den verheerenden Beziehungen etwas Stabilität und Ruhe ermöglicht, um ihre literarische Arbeit wieder voranzubringen. Patricia Highsmith widmet ihr „Der Junge, der Ripley folgte“, obwohl eine andere, die schillernde Berliner Kostümbildnerin Tabea Blumenschein, Inspiration dafür war, ihre Zuneigung aber nicht im gleichen Maße erwiderte. Highsmith wird die letzten Jahre nach einem weiteren Umzug in der „Casa Highsmith“, einem vom Architekten nach ihren Wünschen entworfenen Haus im Alpendorf Tegna, zubringen, wo die Schriftstellerin auch am örtlichen Friedhof beigesetzt ist.

Aber zum Anfang. Wie wird die gebürtige Texanerin Highsmith, zu deren Lieblingsromanen Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“ zählt, zur erfolgreichen und gefeierten Autorin des 20. Jahrhunderts? Ihre Romane und Erzählungen sind in bisher 25 Sprachen übersetzt, darunter in die meisten europäischen Sprachen und ins Japanische. 1991 steht ihr Name sogar auf der Vorschlagsliste für den Literaturnobelpreis. Unzählige Male wurden ihre Geschichten und Romane verfilmt. Neben Alfred Hitchcock, der ihr Debüt verfilmte, hat Claude Chabrol „Der Schrei der Eule“ (1987) filmisch umgesetzt; weitere Verfilmungen stammen von Claude Miller („Süßer Wahn“ 1977), Michel Deville („Stille Wasser“ 1981) und Hans W. Geißendörfer („Die gläserne Zelle“ 1978 sowie „Ediths Tagebuch“ 1983). Alain Delon in „Nur die Sonne war Zeuge“ (1960) im Film von René Clément und Dennis Hopper in Wim Wenders’ „Der amerikanische Freund“ (1977) sind vielen wohl als Ripley-Interpreten in Erinnerung.

Einige Autor:innen haben sich schon an ihre umfassende Lebens- und Werkgeschichte gewagt. Der britische Journalist Andrew Wilson hat mit „Schöner Schatten. Das Leben der Patricia Highsmith“ (2003) den Anfang gemacht und aus der Fülle an Material eine solide und nachvollziehbare Biografie vorgelegt, welche gleichzeitig ein ambivalentes Bild einer ungewöhnlichen, kunstschaffenden Frau im ausgehenden 20. Jahrhundert zeichnet. Joan Schenker legte zehn Jahre später mit „Die talentierte Mrs. Highsmith“ eine Geschichte für Fortgeschrittene vor. Anekdotenreich, fast assoziativ entsteht das Bild einer, heute würde man sagen, an Geschlechtsdysphorie leidenden Künstlerin. Highsmith hat mit „Suspense oder Wie man einen Thriller schreibt“ selbst zum autobiografischen Verstehen ihres Werks ein Stück weit beigetragen. Marijane Meakers „Mein Jahr mit Pat. Erinnerungen an Patricia Highsmith“ (2008) ist ein Erinnerungsbuch an die gemeinsame Zeit und gibt Einblick in die Beziehungsdynamik, die Highsmiths Liebesleben prägte. „14. September 1941. Wäre es denkbar, dass ich in meine eigene Mutter verliebt bin? Vielleicht bin ich das auf irgendeine unglaubliche Weise wirklich“ („Tage- und Notizbücher“).

Viele vermuten in der schwierigen Mutterbeziehung die Ursache für Highsmiths Scheitern in Liebesangelegenheiten und auch sie selbst legt dafür Fährten aus. Sie schreibt, dass sie mit ihrer Mutter auf eine gewisse Weise vermählt und der Platz an ihrer Seite somit ein Leben lang vergeben ist. Misstrauen und früher Verrat tragen auch zu dem überaus ambivalenten Verhältnis bei. Dass sie lange damit gerungen hat, den Ansprüchen ihrer Mutter gerecht zu werden, ist in ihren Tage- und Notizbüchern immer wieder zu lesen. Die Idee, dass das ungelebte Leben unserer Ahnen in uns wirkt, könnte vielleicht auch ein Indiz sein, wieso sie sich in ihren letzten Lebensjahren sehr für Ahnenforschung interessiert hat. „17.5.1950. Das Schreiben ist natürlich ein Ersatz für das Leben, das ich nicht leben kann, das zu leben ich nicht in der Lage bin. Das ganze Leben ist für mich eine Suche nach der ausgewogenen Kost, die es nicht gibt. Für mich. Ach, ich bin neunundzwanzig und kann das Leben, das ich mir als das bestmögliche ausgedacht habe, nicht länger als fünf Tage ertragen“ („Tage- und Notizbücher“).

Ein Mädchen aus Texas

Patricia Highsmith wird am 19. Januar 1921 als Mary Patricia Plangman in Fort Worth, Texas, geboren. Ihre Eltern lassen sich neun Tage vor ihrer Geburt scheiden. Die Mutter, eine Grafikerin, arbeitet viel und so verbringt das Mädchen mit ihrem älteren Cousin viel Zeit bei der streng calvinistischen Großmutter, die ein Gästehaus führt. 1924 heiratet die Mutter den Grafiker und Fotografen Stanley Highsmith, für die kleine Tochter ein unheimlicher Eindringling in die sowieso schon fragile Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Lesen wird zu einem inneren Rückzugsort. Darf den biografischen Angaben geglaubt werden, kann sie mit drei Jahren lesen, mit neun Jahren zählen Dickens, Dostojewski und Conan Doyle zu ihren Lieblingsautoren, außerdem ein von der Mutter für ihre Arbeit benutztes illustriertes Anatomiebuch Karl Menningers „The Human Mind“ und eine Sammlung populärwissenschaftlicher Studien über abnorme menschliche Verhaltensweisen, die ihre Fantasie wecken. 1927 zieht die Familie nach New York, doch bedingt durch verschiedene Krisen wird sie als Kind immer wieder in das großmütterliche Gästehaus in Texas geschickt, was das Vertrauen zur Mutter nachhaltig schädigt. Ihren leiblichen Vater Jay Bernard Plangman lernt sie erst mit zwölf Jahren kennen.

Bis 1938 besucht sie die Julia Richman High School. Sie studiert Englische Literatur am renommierten Barnard College, zu dem nur Frauen zugelassen sind. Schon in der Schulzeit entstehen erste Geschichten und Gedichte, die Ideen dafür hält sie in ihren Notizheften fest. Sie zeichnet und malt und schwankt lange Zeit, welcher Beschäftigung sie sich in Zukunft mit ganzer Kraft widmen soll. Vor allem die frühen Jahre ihrer Tagebücher zeugen von ungemeiner Schaffenslust und intensiver Selbstbespiegelung und enthalten akribische Notizen ihres Alltagslebens in New York, was zu einer enormen Fülle an Material führt. Dass die USA im Dezember 1941 in den Zweiten Weltkrieg eintreten, findet nur wenig Niederschlag in den Tagebüchern der jungen Frau. Highsmith besucht einen Erste-Hilfe-Kurs, lässt sich von der US-Navy für Dechiffrier- und Planespotting-Kurse rekrutieren, was sie wegen schlechter Bezahlung jedoch bald wieder quittiert.

Ihre Beziehung zur älteren Mary Sullivan, einer irischen Emigrantin, die die Buchhandlung im Waldorf Astoria betreibt, und ihre Ambition, Schriftstellerin werden zu wollen, sind die Eintrittskarte zu den angesagten Greenwich-Village-Szenepartys, die ihr viele weitere Türen öffnen werden und bei denen sie Freundschaften schließen wird, die mehr oder weniger ein Leben lang halten.

Viele ihrer Affären und Freundinnen landen an einflussreichen Stellen bei Zeitungen oder Magazinen, sind selbst Künstlerinnen oder Verlegerinnen. Zu dieser Zeit trifft sie auch die deutsche Exilfotografin Ruth Bernhard, über die sie den deutschen Fotografen Rolf Tietgens kennenlernt. Während ihr Liebesleben nicht vielfältiger sein kann (mit beiden geht sie eine Beziehung ein), hapert es bei den richtigen Jobs und mangelt es an Veröffentlichungen. Nach Aushilfsjobs arbeitet sie bei FFF. Publishers, einem Verlag, der die nationale jüdische Presse mit Artikeln zu aktuellen Themen versorgt. 1943 nimmt sie eine Stelle als Comic-Texterin und Geschichtenentwicklerin beim Verlag Fawcett an. Highsmith ist zwar inzwischen irgendwie Teil der New Yorker Schriftstellerinnen-Szene, aber finanziell und seelisch am Tiefpunkt. Sie hat zahlreiche Affären zu dieser Zeit, etwa eine Ménage-à-trois mit den reichen Erbinnen Natica Waterbury und Virginia (Ginnie) Kent Catherwood, Tochter des Erfinders und Fabrikanten Arthur Atwater Kent. Die Beziehungen zu den beiden Frauen werden ihr Leben über viele Jahre prägen. Gemeinsam mit Ginnie beginnt sie ein neues Hobby: das Sammeln und Züchten von Schnecken. Schnecken und ihre hermaphroditische Natur faszinieren sie und finden auch Eingang in zahlreiche Geschichten, die später unter dem Titel „Der Schneckenforscher“ erscheinen werden.

Ein schreckliches anderes Universum

Ein erster kleiner Erfolg stellt sich ein: Ihre Kurzgeschichte „Die Heldin“ verkauft sie 1944 an „Harper’s Bazaar“. Ihre Protagonistin Lucille arbeitet darin als Kindermädchen. Doch Bezahlung, Akzeptanz und Vertrauen der Familie allein reichen ihr nicht. Sie schleicht sich förmlich in die Leben der Familienmitglieder ein. Schon beim Lesen der ersten Seiten löst die Gestalt unmittelbar Unbehagen aus, das sich naturgemäß bestätigen soll. Lucille legt schließlich im Haus der Familie Feuer, um durch deren Rettung zur Heldin zu avancieren und um endlich wirklich dazuzugehören. Die Kurzgeschichte wird zur besten Kurzgeschichte des Jahres 1945 gewählt. Diese Story gibt einen Vorgeschmack auf das Kommende und Graham Greene formuliert in seinem Vorwort zu „Der Schneckenforscher“ (1970) treffend: „Sie ist eine Schriftstellerin, die ihre eigene Welt erschaffen hat – eine klaustrophobische, irrationale Welt, die wir jedesmal mit einem Gefühl der Bedrohung und fast widerstrebend betreten“.

Highsmith formuliert es so: „8.7.1942. Jeder Mensch trägt in seinem Inneren ein schreckliches anderes Universum der Hölle und des Unbekannten mit sich herum. Er mag es nur selten zu sehen bekommen, aber im Laufe seines Lebens erblickt er es vielleicht ein- oder zweimal, wenn er dem Tode nahe oder sehr verliebt ist oder zutiefst ergriffen ist von Musik, von Gott oder von plötzlicher Angst. Es ist ein gewaltiger Abgrund, tiefer als der tiefste Krater der Welt, dünner als die dünnste Luft, weit hinter dem Mond. Aber es ist angsteinflößend und grundsätzlich verschieden von dem, wie der Mensch sich für gewöhnlich wahrnimmt, so dass wir all unsere Tage am diametral gegenüberliegenden Pol unserer selbst verbringen“ („Tage- und Notizbücher“).

Bei einem Spaziergang mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater, sie sind inzwischen aufs Land gezogen, im Dezember 1945 am Ufer des Hudson River, kommt ihr die erste Idee für „Zwei Fremde im Zug“. Der Empfehlung Truman Capotes verdankt sie es, dass sie 1948 für einige Monate in der Künstlerkolonie Yaddo arbeiten kann. Auch Rosalind Constable und Mary Louise Aswell, die Literaturredakteurin von „Harper’s Bazaar“, empfehlen sie dafür. Zu den Stipendiat:innen zählen unter anderem auch Leonard Bernstein, Hannah Arendt, James Baldwin, Carson McCullers oder Sylvia Plath. Große Teile ihres Debütromans werden dort entstehen. Bei ihrem Aufenthalt verliebt sich der Brite Marc Brandel in sie und es werden euphorisch Zukunftspläne geschmiedet.

1950 erscheint „Zwei Fremde im Zug“ schließlich und Alfred Hitchcock erwirbt die Filmrechte für 6800 US-Dollar. Am Drehbuch arbeitet Raymond Chandler mit. Der Film läuft 1951 an und macht Patricia Highsmith über Nacht berühmt.

Der Preis von Salz

Ebenfalls 1950 beginnt sie mit der Arbeit an „Der Preis von Salz“. Ein mühsamer und schmerzhafter Schreibprozess, wie in ihren Tagebüchern zu lesen ist. Angesichts immer wieder dramatisch scheiternder Liebesbeziehungen begibt sie sich in therapeutische Behandlung. Sie startet, wie es sich zu dieser Zeit unter den Intellektuellen in New York gehörte, eine Psychoanalyse in der Hoffnung, von ihrer „Homosexualität geheilt zu werden“ und Marc Brandel heiraten zu können. Ihre ehemalige Lebensgefährtin Marijane Meaker meint im Film „Loving Highsmith“ (2022): „Wir haben alle versucht Männer zu lieben“. 1953 veröffentlicht Highsmith den Roman unter dem Pseudonym Claire Morgan. Es ist die Geschichte einer lesbischen Liebe mit glücklichem Ende. Eine Begegnung mit einer Kundin aus ihrer Zeit als Aushilfe in der Spielwarenabteilung eines Kaufhauses inspirierte sie dazu. Im zunehmend konservativen gesellschaftlichen Klima der 1950er Jahre fürchtet sie, als Autorin von lesbischen Geschichten abgestempelt zu werden. Der Roman wird ein großer Erfolg, die Taschenbuchausgabe verkauft sich fast eine Million Mal. Erst 1990 soll der Roman unter ihrem Namen erscheinen. Im Nachwort von „Carol“ macht sie deutlich, wie weibliche und männliche Homosexuelle in amerikanischen Romanen für ihre „abseitigen Neigungen“ büßen und führt dafür Suizidalität und Zuflucht in heterosexuelle Beziehungen an. „13.6.1948. Das schönste Wort ist ‚transzendieren‘. Nach allen platonischen Gesetzen bin ich ein Mann und liebe Frauen“ („Tage- und Notizbücher“).

Highsmith musste demnach wohl schon früh täuschend echt ihre Rollen spielen. Genügte sie schon den Ansprüchen ihrer Mutter nicht, waren ihre sexuelle Orientierung und ihre eigene Geschlechtsidentität zeitlebens bestimmend und machten wohl schon früh seelische Schutzmaßnahmen erforderlich. Sich in neuen Umgebungen einzufinden, bedeutet präzise zu beobachten, die nötige Distanz zu wahren, um immer einen Schritt voraus zu sein und neue Menschen in ihrer Umgebung für sich einzunehmen. Ihr unbändiger Wille und ihre Beharrlichkeit, als Schriftstellerin zu reüssieren, ihre eigentümliche Altklugheit, gepaart mit ihrer ganz eigenen maskulinen Weiblichkeit, machen sie vor allem für Frauen äußerst attraktiv und auch sie scheint sich oft angelockt zu fühlen und fasziniert zu sein von der dekadenten Lebensweise reicher Industriellentöchter und reiferen, erfolgreichen Frauen, was sich beim Einstellen des eigenen Erfolgs ändern soll. Ihr Ziel ist von Beginn an finanzielle Unabhängigkeit, die sie frei macht von den Forderungen ihrer Umgebung an sie. Die eigene gnadenlose Selbstkritik und die eigenen Ansprüche sind dabei ihre verlässlichen Begleiter.

Patricia Highsmith ist immer wieder zerrissen zwischen ihrem Bedürfnis nach Ruhe, um zu schreiben, und ihrem Wunsch nach Beziehung und Liebe. Ihre Schwäche bleibt zeitlebens die unstillbare Sehnsucht, angenommen werden, die sie in oft fatale Beziehungen manövriert. Durch die Jahrzehnte hindurch finden sich in ihren Romanen und Kurzgeschichten diese kleinen und großen zwischenmenschlichen Dramen, die, vom Zeitgeist geprägt, die zentralen Themen in ihrem Werk bilden: weibliche Emanzipationsbestrebungen und Kunstschaffen versus Ehe, Liebe, die Grenzen ethischen Handelns in Zeiten gesellschaftlicher Repression und Konservatismus der 1950er Jahre in den USA, die 1960er und 1970er Jahren in Europa bis hin zu den Wendejahren im geteilten Berlin und dem Kalten Krieg.

Schattenbruder Tom Ripley

Ihre frühen Erfolge bringen Patricia Highsmith eine erste finanzielle Unabhängigkeit, die ihr ausgedehnte Reisen nach Europa ermöglicht. Diese dienen auch als Inspiration und Recherche für neue Romanprojekte – oft wird sie dabei von einer neuen Geliebten begleitet. Ein turbulentes Privatleben, ein sich in jeder Hinsicht Ausleben – auch sexuell, wobei sie damit in den Tagebüchern (den publizierten) sehr dezent umgeht und sich vieles gut getarnt in ihren Romanen wiederfindet. „Mit diesem Widerspruch jedoch – zwischen dem, was sie weiß, und dem, was sie zeigt – kommt man der Kunst der Autorin auf die Spur“, so Paul Ingendaay (Nachwort „Ediths Tagebuch“).

Die 1960er Jahre zählen zum produktivsten Jahrzehnt ihres Schaffens. In dieser Zeit wird sie sieben Romane und zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlichen. Der Anblick eines am frühen Morgen allein am Strand von Positano entlanglaufenden jungen Mannes wird zur Geburt zweier Hauptfiguren, die später die Namen Tom Ripley und Richard „Dickie“ Greenleaf tragen werden. In der Erzählung „Die stille Mitte der Welt“ kommt es in einem New Yorker Park zum Aufeinandertreffen zweier ungleicher Frauen, deren Kinder begeistert voneinander sind. Philipp, der Sohn von Mrs. Robertson, ist angetan vom neuen Spielkameraden Dickie, dessen Mutter die Ausflüge in den Park nutzt, um ihren Geliebten zu treffen. „The Envious One“ („Die Neidische“) lautet der Titel der Story bei ihrem Erscheinen 1949 im Magazin „Today’s Woman“. Auch in Charles Anthony Bruno („Zwei Fremde im Zug“) ist ein Teil Ripleys angelegt. Bruno, der eine Krawattennadel mit seinem Namen trägt und eine ungesunde Beziehung zu seiner Mutter pflegt, möchte mit dem Architekten Guy Haines ein Mord-Komplott schmieden. Charismatisch und eloquent versucht er, andere Menschen in seine Machenschaften zu verwickeln. Ein narzisstischer Soziopath, den auch Ripley durch und durch verkörpert. Aus der inneren Logik von Tom sind seine Morde lästige Notwendigkeiten. Er beobachtet und studiert seine Opfer genau, manipuliert sie, indem er ihre Schwächen lokalisiert und im richtigen Moment ausspielt.

Tom Ripley wird zu Highsmiths Schattenbruder. Ein Bonvivant, ein charmanter Blender und Verführer, der sich über jede moralische Ordnung hinwegsetzt. Gleich im ersten Roman „Der talentierte Mr. Ripley“ (1955) ermordet Ripley seinen reichen Jugendfreund Richard „Dickie“ Greenleaf und nimmt dessen Identität an, um mit dessen Geld fortan ein sorgenfreies Boheme-Leben zu führen. Es wird in der Reihe der Morde der Einzige sein, der bleibenden Eindruck hinterlässt, denn er hat ihn auf seine Weise geliebt. Eine krankhaft obsessive Liebe, die ihn dazu treibt, der andere werden zu wollen. Das Buch wird ein großer Erfolg bei Lesern und Kritikern. 1960 erstmals mit Alain Delon als Ripley („Nur die Sonne war Zeuge“) verfilmt, folgt 1999 eine Verfilmung durch Anthony Minghella mit Matt Damon in der Hauptrolle und 2024 schafft Steven Zaillian mit Andrew Scott in der Hauptrolle eine Serie, die durch herausragende Bildkomposition besticht und dabei eine Atmosphäre schafft, die einen dunklen und vielschichtigen Tom Ripley in Erscheinung treten lässt. „1.7.1950. Ich bin an der Psychologie des Mörders interessiert und auch an den gegensätzlichen Ebenen, den Beweggründen für das Gute und das Böse (Beschränkung und Zerstörung). Wie man durch eine kleine Verirrung zum Anderen werden kann und all die Kraft eines starken Charakters und Körpers umgelenkt wird in Mord oder Zerstörung!“ („Tage- und Notizbücher“).

In ihren Romanen ist der Leser, die Leserin meist schon einen Schritt zu weit gegangen, eher er erkennt, dass er bereits am Abgrund steht – und jenseits moralischer Grenzen um den Mörder bangt. „Tiefe Wasser“ (1957) führt in eine beschauliche Neu-England-Idylle, wo Vic mit seiner Frau Melinda lebt. Die überaus attraktive, lebenshungrige Ehefrau und Mutter nutzt jede Gelegenheit, um fremd zu flirten. Vic scheint alles mit Gelassenheit zu ertragen, bis ein Zuviel erreicht ist. Der Pool als Inbegriff des Wohlstands des Mittelstands wird zum Schauplatz eines Mordes. Highsmith schildert präzise und genau ein Milieu, in dem Unbehagen an jeder Ecke lauert und übersättigte Langeweile in der biederen Vorstadt abwegige Fantasien zur Realität werden lässt. Nach „Der Stümper“ ist es ein weiteres psychologisches Kammerspiel um ein Ehepaar, indem Highsmith ihre aufreibende Beziehung zu Ellen Hill verarbeitet.

Im Sommer 1958 verliebt sie sich in die Grafikerin Mary Ronin, die jedoch in einer festen Partnerschaft lebt und die Vorlage von „Der süße Wahn“ (1964) wird. Darin zeigt Highsmith, wie schmal der Grad zwischen obsessiver Liebe und Wahn sein kann. David Kelsey, ein unscheinbar wirkender junger Mann, wohnt während der Woche in einer billigen Pension und am Wochenende wartet er in einem angemieteten Ferienhaus auf die vermeintliche Geliebte, die jedoch nie kommen wird. Aus den Gegebenheiten heraus tötet er eher zufällig zwei Menschen. Es zeigen sie nach und nach auf schaurig traurige Weise die Einsamkeit und in diesem Fall eine Psychose, die für ihn tödlich enden soll.

Highsmith selbst beginnt zu dieser Zeit eine (im Notizbuch mit keinem Wort erwähnte) Affäre mit der sechs Jahre jüngeren Autorin Marijane Meaker, die unter verschiedenen Pseudonymen Kriminalromane und lesbische Frauenromane für Pulp-Verlage schreibt. Da Highsmith immer mehr die Zurückgezogenheit sucht, ziehen die beiden Frauen mit sechs Katzen in ein Farmhaus nach Pennsylvania. New Hope in Bucks County ist zu dieser Zeit ein beliebter Wohnort betuchter Homosexueller und Autor:innen wie Dorothy Parker oder Arthur Koestler.

1961 wird Patricia Highsmith vierzig. Sie beginnt nach der Trennung von Meaker ein Verhältnis mit der zwei Jahre jüngeren Kellnerin Daisy Winston, mit der sie nur ein knappes Jahr zusammenbleibt. In nur zehn Monaten entsteht schließlich der Roman „Der Schrei der Eule“, den sie dieser Kurzzeitliebe widmet, mit der sie ein Leben lang verbunden bleiben wird. Darin findet Robert Forester, Ingenieur bei einem Hubschrauber-Produzenten in Langley nahe New York, 29, geschieden, Gefallen an der einige Jahre jüngeren Jenny, die er heimlich beobachtet. Während sich Jenny in ihn verliebt, verliebt er sich lediglich in ihre jugendhafte Frische. Als deren Verlobter Greg die Trennung nicht akzeptieren will, beginnt eine für alle Beteiligten folgenschwere Kettenreaktion.

Im folgenden Roman „Der Geschichtenerzähler“ (1965) erfindet der passiv aggressive Schriftsteller Sydney Bartleby, der in einer konfliktreichen Ehe steckt, immer neue Todesarten für seine Frau – bis sie eines Tages tatsächlich verschwindet. Das Spiel mit vermeintlicher Realität und Fiktion hat Highsmith perfektioniert und so treibt sie ihre Figuren kongenial zwischen Traum und Wirklichkeit vor sich her und hält den Leser/die Leserin unter Spannung.

Die Beziehung zu Caroline Besterman geht dann 1965/66 dem Ende zu. Auch eine Venedig-Reise kann daran nichts mehr ändern. Highsmith schreibt zu dieser Zeit an „Suspense oder Wie man einen Thriller schreibt“. Nicht nur das Schreiben an „Die zwei Gesichter des Januars“ (1966) gestaltet sich beschwerlich, es wird auch ihr meist abgelehnter Roman. Dem Buch liegt wieder einmal eine Dreiecksgeschichte zugrunde. Ein ungleiches Ehepaar macht scheinbar Urlaub auf Kreta. Ein junger Mann beobachtet die beiden und gewinnt ihr Vertrauen, als er sie aus einer verzwickten Lage rettet. Der Ehemann ist jedoch ein in die Jahre gekommener Betrüger, der die Absichten des jungen Gegenspielers ahnt und bald wird die gemeinsame Flucht für einen der drei tödlich enden. Von den folgenden Jahren spricht Highsmith als von der „allerschwersten Zeit“ ihres Lebens. Von 1967 bis 1981 lebt sie in Frankreich, zunächst in der Gegend von Fontainebleau. In den 1970er Jahren besitzt sie ein Haus in Montcourt-Fromonville am Canal du Loing, wo sie unter anderem auch ihre Bewunderer Peter Handke und Wim Wenders besuchen, um die Verfilmung von „Ripley’s Game“ anzubahnen. Der Film wird später unter dem Titel „Der amerikanische Freund“ herauskommen und Highsmith gar nicht gefallen.

1969 erscheint „Das Zittern des Fälschers“, das die ersten Verschleißerscheinungen sichtbar macht und den Preis der nervenaufreibenden Künstlerexistenz aufzeigt. Im Zentrum steht der Schriftsteller Howard Ingham, der in Tunesien auf die Ankunft eines befreundeten Regisseurs wartet und gerade an einem Roman mit dem Arbeitstitel „Das Zittern des Fälschers“ arbeitet. Sein Protagonist ist ein Betrüger, der mit seinem erschlichenen Vermögen doch noch Gutes tun möchte. Der Freund des Schriftstellers wird nie kommen. Ingham bleibt trotzdem in Tunesien, mietet ein Haus und begegnet fremden und dunklen Gestalten, Morde geschehen und Leichen verschwinden. Das Unbehagen und die Beklemmung bilden zum Teil auch Highsmiths Reflexion über ihr Leben im Exil ab und die zahlreichen Liebeskrisen der letzten Jahre, die die Einsamkeit und das Fremdheitsgefühl befördert haben.

Bei der Lektüre der Reinschrift von „Ripley Under Ground“ im August gesteht sich die Autorin zum ersten Mal seit Langem einen kurzen Glücksmoment zu, indem sie ihrem Tagebuch anvertraut, wie sehr sie das Buch mag. Es ist ihren Nachbarn, dem Bauernehepaar Barylski gewidmet, den einzigen Franzosen, in deren Gegenwart sie sich wohlfühlt. Dem folgen noch „Ripley’s Game“ (1974), „Der Junge, der Ripley folgte“ (1980) und „Ripley Under Water“ (1991).

1974 tritt die französische Autorin und Übersetzerin Marion Aboudaram in ihr Leben, mit der sie fast drei Jahre eine Beziehung führen wird. Der Roman „Ediths Tagebuch“ ist ihr gewidmet. Es ist die Geschichte einer Künstlerin und Mutter, die mit ihrer Familie in die Vorstadt zieht. Der Mann betrügt sie und trennt sich dann, der Sohn ist ihr schon fremd, dann zieht noch ein pflegebedürftiger Angehöriger ein, der sie in Beschlag nimmt. Nach und nach, schleichend, kaum merkbar, wird es für Edith enger, Künstlerin zu sein sowie Mutter. Eine aufreibende Zerrissenheit wird sichtbar, das Tagebuch zum Zufluchtsort, der Trost vor einer Welt, die ihr nach und nach abhandenkommt. Das Tagebuch als letzter Ort, der noch Halt bietet in der unübersichtlich gewordenen Welt im Umbruch. „Ediths Tagebuch“ hat auch eine politische Dimension. Sie habe ein Buch „über den Zusammenbruch des amerikanischen Idealismus“ schreiben wollen, hat die Autorin in einem Interview erklärt („Der Spiegel“ 17/1978).

Nach den emotionalen Enttäuschungen, die sie erlebt hat, werden ihre Tagebucheinträge zunehmend kritisch und teilweise bitter. 2021 veröffentlicht der Diogenes Verlag die sorgsam editierten und gekürzten „Tage- und Notizbücher“, unter Weglassung weitgehend aller antisemitischen Äußerungen. Argumentiert wird dies damit, derartigen Meinungen keinen allzu großen Platz geben zu wollen, gleichzeitig lässt es eine Seite der vielschichtigen Autorin fast komplett im Dunklen. Patricia Highsmiths Notizen umfassen schließlich einen Zeitraum von rund 50 Jahren. Auch gegenüber Freunden äußert sie sich wiederholt rassistisch und antisemitisch. Sie bezeichnet (oft zitiert) den Holocaust als „Semicaust“ bzw. als „Holocaust Inc“, als ein für Juden der Nachkriegszeit angeblich profitables Unternehmen. Nach Beginn der ersten Intifada 1987 beschäftigt sie der Nahostkonflikt natürlich erst recht. In „Leute, die an die Türen klopfen“ zeigt sie am Beispiel eines Familienvaters, wie religiöser Extremismus Menschen beherrschen und terrorisieren kann.

In den 1980er Jahren veröffentlicht sie noch drei Romane, unter anderem „Elsies Lebenslust“ (1986), worin die aufregend hübsche Elsie Tyler mit ihrer jugendlichen Frische in Greenwich Village zur Projektionsfläche zweier Männer wird: einerseits Ralph, ein beschädigter und vom Leben enttäuschter Mann mit seinem Hund namens God, und andererseits der Illustrator Jack, der mit seiner Frau Natalia eine vermeintlich offene Ehe führt. Auch Natalia begegnet Elsie und die beiden Frauen beginnen schließlich eine Liebesbeziehung. Elsie belebt die Menschen in ihrer Umgebung und wird selbst ein erfolgreiches Fotomodell. Noch nie hat Highsmith so explizit über eine lesbische Beziehung geschrieben. Doch auch hier soll der Kampf zwischen zwei ungleichen Männern zu einem tödlichen Ausgang führen. In „Geschichten von natürlichen und unnatürlichen Katastrophen“, ihrem bisher politischsten Buch, beschwört sie Katastrophen, die natürlich von Menschenhand gemacht wurden, Umweltkatastrophen, Machthunger, Gier, die das globale Chaos vorantreiben.

Bis zu ihrem Tod 1995 erscheinen noch zwei Romane: der finale Ripley-Roman unter dem Titel „Ripley Under Water“ (1991), in dem die Zeit in Marokko bei ihrer alten Freundin Buffie Johnson und zu deren Nachbarn Paul Bowles mitschwingt. Tom Ripley, Kunstkenner, Cembalospieler und Gartenfreund, ist trotz seiner fast zehn Morde ein mittlerweile angesehener Bürger des kleinen französischen Ortes Villeperce, als ihn die Schatten der Vergangenheit einzuholen drohen.

1992 beginnt sie mit der Arbeit an ihrem letzten Roman. Das als Märchen interpretierte Buch führt in eine Zürcher Vorstadtkneipe mit teilweise schwuler Klientel und verbindet natürlich eine Mord- mit einer Liebesgeschichte. „Small g“ (1995) erscheint erst posthum.

Ab 1994 ist Patricia Highsmith nach Krebsbehandlungen zunehmend auf häusliche Betreuung und Chauffeurdienste zu ihren häufigen Arztbesuchen angewiesen und hat Daniel Keel schon längst zum Nachlassverwalter ernannt. So wie die Tage- und Notizbücher wird Anna von Planta, ihre langjährige Lektorin, gemeinsam mit Paul Ingendaay auch die Werkausgabe in dreißig Bänden (im Diogenes Verlag, 2002–2006) verantworten. Die Neuausgaben sind alle mit Nachworten bedacht, die das Werk der Autorin in seiner Vielschichtigkeit nachvollziehbarer machen. Anfang Februar 1995 lässt sich Patricia Highsmith von Freunden ins Krankenhaus nach Locarno fahren, wo sie am 4. Februar an den Folgen ihrer Krebserkrankung und Anämie stirbt.

Ihr Leben beginnt an der Schwelle Amerikas zur Moderne und mit all ihrer Kraft, ihrem Fleiß folgt sie ihrer Idee des amerikanischen Traums. Sie imaginiert sich nicht nur als eine Intellektuelle des 20. Jahrhunderts – sie lebt es auch auf ihre Weise. Als Bohemienne im angesagten Greenwich Village trinkt und raucht sie zu viel, geht ab den 1950er Jahren auf ausgedehnte Europareisen, später als erfolgreiche Autorin auf Lese- und Promotionsreisen und lässt sich schließlich in Europa auch nieder. Sie sucht den Exzess, die Intensität und die Liebe und folgt doch stets dem calvinistischen Grundwert eines arbeitsamen Lebens. Ihr späterer Rückzug in die Einsamkeit ist daraus wohl nur eine logische Konsequenz.

Foto: © Liselotte Erben Getty Images