Rekel, Gerhard J. - Lina Morgenstern

Rekel, Gerhard J. - Lina Morgenstern

Veröffentlicht am 06.10.2025

Die Geschichte einer Rebellin.

„Da sie jetzt das achtzehnte Lebensjahr erreicht habe, begann Lina, könne sie mit Unterstützung ihrer Eltern einen Verein gründen. Und dies wolle sie tun. Einen Verein. Der Bleistifte, Papier und Kleidung für Schüler kaufe, deren Eltern sich das nicht leisten können. Sie habe auch schon einen Namen gefunden: „Pfennigverein“. Anlässlich der Feierlichkeit zu ihrem 18. Geburtstag unterbreitete Lina Morgenstern im Beisein erlauchter Gäste, zur unangenehmen Überraschung ihrer Eltern, diesen Vorschlag der Öffentlichkeit und erntete dabei abfälliges Gelächter und eine peinliche Stille. Schon wenige Jahre später unterstützte der Verein großzügig eine beachtliche Anzahl bedürftiger Kinder aus evangelischen, katholischen und jüdischen Schulen.

Dennoch sollte dieses erfolgreiche Vorhaben lediglich ein erster mutiger Schritt Linas zu einer Reihe gewichtiger, selbstloser, politischer, sozialer, kultureller und gesellschaftsumwälzender Unternehmungen sein. Sie wurde etwa auch zur Mitbegründerin des Berliner Frauen-Vereines zur Beförderung der Fröbel‘schen Kindergartenprojekte. Dies ungeachtet des seit 1851 in Preußen herrschenden Kindergartenverbots. In diesen Zeitraum fällt die Eröffnung von acht Kindergärten und einer Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen. Mit dem von Lina Morgenstern verfassten Fachbuch zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen „Das Paradies der Kindheit“ wurde auch der unbedingt notwendige, theoretische Zugang zur bereits teilweise in der Gesellschaft arrivierten „Fröbelpädagogik“ geschaffen. Dieser gesellschaftlichen Fortentwicklung folgte bald darauf eine fruchtbringende öffentliche Diskussion um die Erziehung von Kindern in vorschulischen Einrichtungen.

Um dem drohenden gesellschaftlichen Kollaps im Vorfeld des Krieges Preußens gegen Österreich (1866) entgegenzuwirken, initiierte Lina Morgenstern mit zahlreichen freiwilligen Helferinnen die Einrichtung von Großküchen zur Ausgabe von Mahlzeiten zum Selbstkostenpreis („Verein der Berliner Volksküchen“). Jahre später entstand daraus das spektakuläre, weit über die Landesgrenzen goutierte „Illustrierte Universal-Kochbuch“ mit erprobten und bewährten Rezepten (Anm.: Im Anschluss an dieses Buch findet sich eine illustre Auswahl an Rezepten, wie „Gebackener Spargel, französisch“, „Pommersche Graupensuppe mit gebackenen Pflaumen“, „Eingerührtes Eierspeis-Ragout, österreichisch u.v.m.).

Lina Morgenstern, beschrieben als zierliche, aber durchschlagskräftige Frauenrechtsvorkämpferin, gründete weiters mit Unterstützung der preußischen Königin Augusta eine „Akademie zur Fortbildung junger Damen/Akademie zur wissenschaftlichen Fortbildung für Damen“, einen Kinderschutzverein und bei Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870 organisierte sie die Versorgung verwundeter Soldaten. Nach dem Krieg gelang es ihr, die stets ablehnenden Regierenden von der Notwendigkeit der Errichtung von Erziehungs- und Krankenpflegeschulen zu überzeugen. 1873 gründete sie den „Berliner Hausfrauenverein“. Sie war als erfolgreiche Zeitungsherausgeberin tätig. Gegen Ende ihres aufopfernden, erfolgreichen Lebens organisierte sie 1896, trotz größter Schwierigkeiten und Anfeindungen, mit Minna Cauer den „Internationalen Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen“ in Berlin. Im Jahre 1897 erfolgte die Berufung in den Vorstand der „Deutschen Friedensgesellschaft“.

Lina Morgenstern, Ehefrau und Mutter von fünf Kindern, galt nun als bedeutende deutsche Schriftstellerin, mutige Frauenrechtlerin und furchtlose Sozialaktivistin. Sie wurde mit Ehrungen und Auszeichnungen überhäuft. Autor Gerhard Rekel hat mit dieser biografischen Sachlektüre einen guten Griff getan. Errungenschaften, die auch heute noch auf Lina Morgenstern verweisen, droht in unserer Mediengesellschaft ein schwelender Erosionsprozess. Darauf gilt es unser Augenmerk zu legen und zu reagieren.
Adalbert Melichar

Rekel, Gerhard J. - Lina Morgenstern
Die Geschichte einer Rebellin. Wien: Kremayr & Scheriau 2025. - fest geb. : € 26,95 (BI) ISBN 978-3-218-01466-3

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