René Freund - Situationskomik, Tiefsinn und erzählerische Leichtigkeit

René Freund - Situationskomik, Tiefsinn und erzählerische Leichtigkeit

Veröffentlicht am 17.07.2020

Von Heimo Mürzl

René Freund – ein Autor, der sein Handwerk gelernt hat und mit einer unaufdringlichen Kunstfertigkeit in bester angelsächsischer Erzähltradition zu erzählen versteht.
Dem am Valentinstag des Jahres 1967 geborenen René Freund wurde die Liebe zum Schreiben wohl schon von seinem Taufpaten, dem bekannten Dramatiker Fritz Hochwälder, auf seinen Lebensweg mitgegeben. Freunds kindliche Begeisterung für die Bücher von Erich Kästner und Karl May blieb in der Weise erhalten, dass der Autor Freund in seinen Büchern immer hohen Unterhaltungswert mit aufklärerischem Impetus zu verknüpfen versteht. Von 1988 bis 1990 arbeitete Freund unter Otto Schenk als Regiehospitant und Dramaturg am Theater an der Josefstadt, eher er sich zu Beginn der 90er-Jahre endgültig nur mehr dem Schreiben widmete. Das Besondere daran: Die Freude an der Textarbeit stand bei Rene Freund immer im Vordergrund und so versuchte sich der kluge und weltoffene Autor praktisch an allen literarischen und außerliterarischen Formen und Gattungen.
Ob Roman, Theaterstück, Hörspiel oder Sachbuch – der heute in Grünau im Almtal (Oberösterreich) lebende Autor beweist Buch für Buch, dass er schreiben kann, ohne es dem Leser mit jedem Satz explizit und aufdringlich beweisen zu müssen.
René Freund schreibt und erzählt geistreich und amüsant, seine Geschichten sind spannend und lebensnah, ein Hauch von Gedankenschwere darf auch nie fehlen und doch verliert Freund dabei nie seine Leichtigkeit und seinen situativen Witz. Seine Bücher sind von einer so unaufdringlichen Kunstfertigkeit, dass man sie leicht übersehen könnte. Seine treuen Leser tun das zwar definitiv nicht – die diversen Literaturpreisjurys dagegen schon. René Freund erzählt in bester angelsächsischer Tradition, psychologisiert nicht zu sehr und rückt die Romanprotagonisten mit all ihren Hoffnungen, Sehnsüchten und verborgenen Ängsten in den Fokus seines Erzählens. Mit nur wenigen Sätzen gelingt es Freund, seine Romanfiguren plastisch und lebensnah zu gestalten und zudem noch mit jenen Eigenarten und Geheimnissen auszustatten, die ihnen einen Hauch jenes „bigger than life“ verleihen, den eine lesenswerte Geschichte auch braucht. Geistreicher Witz paart sich mit formaler Kunstfertigkeit und stilistischer Solidität – die Bücher von Rene Freund sind ein Lesevergnügen in der Fülle der oft papierenen Geschwätzigkeit, die jahraus, jahrein über den passionierten Leser hereinbricht.
 

ROADTRIP MIT LINIENBUS

Man kann Freunds Bücher auch als literarischen Gegenentwurf lesen. Als literarischen Gegenentwurf, der der mitunter tristen Wirklichkeit eine fast schon märchenhafte Alternative gegenüberstellt, in der Gefühl und Anteilnahme über Kaltherzigkeit und Gleichgültigkeit die Oberhand behalten. Freund versteht es in angenehm lesbarer Weise genaue Beobachtungen und anekdotische Schilderungen zu verknüpfen und besticht dadurch, dass er die großen Geschichten im Alltag der „kleinen Leben“ entdeckt. „Manchmal muss man vielleicht ein bisschen von der Linie abweichen, um das Glück zu finden“, sagte Carla bestimmt.“ Die krebskranke Carla möchte noch ein letztes Mal das Meer sehen und überredet Anton, den Fahrer eines Linienbusses, einmal im Leben etwas zu wagen und die Fahrtroute zu ändern. Mit „Ans Meer“ hat Rene Freund einen ebenso vergnüglich-kurzweiligen wie warmherzigen Roman geschrieben, der auch als literarisches Plädoyer für etwas mehr Mut und Selbstbestimmung gelesen werden kann. Die Geschichte vom gutmütigen und antriebslosen Busfahrer Anton, der pfiffig-hübschen Doris und der liebenswert-kämpferischen, trotz ihrer Krebserkrankung dem Leben zugewandten Carla, nimmt so richtig Fahrt auf, als Anton die Businsassen mit der Durchsage „Wir fahren jetzt ans Meer“ überrascht und so eine unverwechselbare Reise in den Süden seinen Anfang nimmt. Busfahrer Anton, der die Jahre davor wie gefangen in seinem Alltag wirkte, hat sich verliebt – in Doris, seine Nachbarin. Mut und Entschlusskraft gehören nicht zu den Stärken von Anton. Bis zu dem Zeitpunkt, wo ihn ein Junge wegen Körperverletzung anzeigt und der Jobverlust droht. Das wirkt wie ein Weckruf und weil er gehört hat, dass seine heimliche Liebe Doris Männer mag, die sich etwas trauen, bricht er aus der lähmenden (Lebens)Routine aus und erfüllt der krebskranken Carla ihren Herzenswunsch, noch einmal das Meer zu sehen. Die Fahrt mit dem „entführten“ Linienbus gerät zu einem Wettlauf mit der Polizei und Freund macht es dem Leser nicht eben schwer Partei zu ergreifen.
Neben viel Situationskomik und schmissigen Dialogen besticht der Roman auch mit einem feinen, österreichisch gefärbten Humor, der in vielen Szenen hervorblitzt: „Mein nächster Mann ist einer, der nicht ist wie die anderen. Einer, der außergewöhnliche Dinge wagt. Einer, bei dem ich Geborgenheit finden kann. (…) Und jetzt?, hatte Doris – wenn da nicht der Tisch zwischen uns stünde oder wir ein bisschen näher beieinander säßen, auf einer Bank zum Beispiel, das wäre doch ein ganz passender Augenblick für einen Kuss. Aber stattdessen sagte Anton: „Wenn du willst, kann ich dir den Rasen mähen. Ich habe auch eine elektrische Heckenschere.“ Rene Freund gönnt den Lesern auch so etwas wie ein Happy End mit Botschaft. Wenn der Linienbus scheinbar falsch abbiegt, der Anti-Held aber endlich die richtige Abzweigung wählt und so zum Helden wird, endet das für ihn zwar kurzfristig im Gefängnis – er hat aber sich, seine neue Freundin Doris und die krebskranke Carla glücklich gemacht. Und im richtigen Moment alles auf eine Karte zu setzen, ist nur selten ein Fehler.
René Freund hält in seinen Romanen geschickt die Balance zwischen Glücksmomenten und kleineren und größeren Katastrophen. Da er weiß, dass es schön ist, das Leben ernst zu nehmen, aber klüger, es nicht zu tun, entscheidet er sich nicht selten für beides und vollführt diesen Balanceakt ebenso bravourös wie elegant. Besonders gut gelingt ihm das in seinem Roman „Niemand weiß, wie spät es ist“. Nora trauert um ihren zu jung verstorbenen Vater. Das fällt jedoch ab dem Zeitpunkt sehr schwer, wo sie vom Letzten Willen ihres Vaters erfährt. Wird sie dadurch doch genötigt, ihr geliebtes Paris zu verlassen, um mit der Asche ihres Vaters im Handgepäck eine Reise nach Österreich zu unternehmen. Ihr wird testamentarisch ein pedantischer junger Notariatsgehilfe zur Seite gestellt, der täglich das nächste Etappenziel der Reise bekanntgibt. Die Urne soll also nach Österreich gebracht werden und ein „Teil der Reise soll ausschließlich zu Fuß erfolgen.“ Die Reise der zwei so unterschiedlichen Charaktere – hier Nora, die lebenslustige Chaotin und da Bernhard, der pflichtbewusste Asket – entwickelt sich zu einem ganz ungewöhnlichen Road Movie, aus dem der Leser nach wenigen Lektüreseiten nicht mehr aussteigen kann. Wie und ob die zwei so ungleichen Romanprotagonisten ein Paar werden – entlang dieser Frage erzählt Freund  diese stets amüsante, meist geistreiche und nie langweilige Geschichte. Mit Kritik am Zeitgeist, viel Empathie und jener Menschenkenntnis, die nur echten Humanisten eignet.
 

LIEBESGESCHICHTEN UND BEZIEHUNGSSACHEN

Den typischen „Freund-Sound“ findet der Leser auch in dessen Roman „Liebe unter Fischen“. Der Autor spielt in diesem Roman auf ebenso gekonnte wie unterhaltsame Weise mit Großstadt- und Provinzklischees, lässt die Gegenpole dauerhafte Liebe und schneller Sex auf äußerst vergnügliche Art aufeinanderprallen und widmet sich auf sardonische Weise den Eigenheiten des Literaturbetriebes. Der sehr erfolgreiche Autor Alfred „Fred“ Firneis gerät in eine Schreib- und Sinnkrise, verlegt sich mehr und mehr auf Selbstmitleid und legale Drogen, ehe die von seinem Erfolg abhängige Verlegerin Susanne Beckmann ihn in eine Seehütte ins Elbtal schickt, damit er wieder in die Spur findet und zu schreiben beginnt. Der Rückzug in die Natur, in der Seehütte gibt es weder Strom noch Handyempfang,  tut Fred sehr gut – er lernt eine junge Biologin aus der Slowakei, die Fischforscherin Mara, kennen und verliebt sich sofort in sie. Und mit dem Marihuana anbauenden Jungförster August findet er einen unverwechselbaren Freund, der sich aber zugleich als Gegenspieler in Sachen Liebe herauskristallisiert. Neben den Irrungen und Wirrungen des Liebes- und Sexlebens seiner Protagonisten, richtet Rene Freund den erzählerischen Fokus auf das Schreiben im allgemeinen und die Besonderheiten und Unwägbarkeiten des Literaturbetriebes im speziellen. Fred erlernt das Jodeln – „Sex muss schon sehr gut sein, um mit Jodeln mithalten zu können“, schreibt er seiner besorgten Verlegerin.  Alfred Firneis beginnt damit, Haikus zu schreiben, was seine Verlegerin ebenso wenig begeistert, wie Freds Jodel-Euphorie. „Bitte schicken Sie mir keine Haikus mehr. Bitte schreiben Sie keine Haikus mehr. Ich hasse Haikus.“ Und weiter: „Bitte schreiben Sie auch keine Jodler. Ich kann nicht einschätzen, wie der internationale Markt darauf reagieren würde.“  „Liebe unter Fischen“ ist ein geistreich-vergnüglicher Roman, mit Leichtigkeit und viel Selbstironie erzählt – so etwas wie Liebesgeschichten und Beziehungssachen im Literaturformat. Mit seinem Roman „Swinging Bells“ blieb Rene Freund diesem Format nicht nur treu – er entwickelte es weiter. Der raffiniert angelegte Plot wird in den Händen von Freund zu einer ebenso unkonventionellen wie ausgeklügelten Beziehungs- und Verwechslungskomödie, die in einen geschliffenen Gesellschaftsroman mündet, der mit schelmischer Freude diverse dem Zeitgeist huldigende Lebensmodelle literarisch vorführt. „Das werden die schönsten Weihnachten unseres Lebens“, sagte Sandra. „Ganz sicher“, bekräftigte Thomas und hängte eine goldene Engelsfigur an den Christbaum.“ Endlich ein Weihnachtsfest ohne Verwandtschaft, ohne die Fischbeuschelsuppe von Thomas´ Mutter, ein Weihnachtsabend in trauter Zweisamkeit. Es soll für Sandra und Thomas ein ganz besonderes „Fest der Liebe“ werden – wenn auch ganz anders als sie es sich vorgestellt haben. Es ist zwar ein wenig unangenehm, dass ausgerechnet am frühen Abend noch die Leute vorbeikommen, die das im Internet auf Werwillwas zum Verkauf angebotene Doppelbett abholen wollen. Als es an der Tür läutet, hofft Sandra, dass die Sache rasch erledigt ist. Doch die potentiellen Käufer, Leo und Elisabeth, die sich kurz zuvor mit einer Flasche Prosecco und ein paar erotischen Wünschen von zuhause aufmachten, läuten irrtümlich an der Wohnungstür von Sandra und Thomas. Sie hatten, ebenfalls via Internet, ein gleichgesinntes Paar für ein Swinger-Treffen gesucht. Weil alle ihr Gesicht wahren wollen, bleibt vorerst fast alles unausgesprochen und alle vier machen gute Miene zum für den Leser überaus vergnüglichen Verwechslungsspiel. „Sie kommen wegen des Doppelbetts, nicht wahr?“ „Sozusagen“, sagte Leo, griff in die Einkaufstasche und überreichte Sandra die Flasche Prosecco, „aber wir wollen nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.“ Als schließlich alle vier begriffen haben, dass hier etwas völlig schiefläuft, ist es zu spät. Die vier Romanprotagonisten diskutieren längst über Urlaubsflirts, sexuelle Vorlieben, „Betrug“, Kränkungen, Sexspielzeug und „ewige Treue“. „Wisst ihr, wie ihr es schafft, ewig zusammenzubleiben?“ Thomas sah Elisabeth tief in die Augen und schüttelte langsam den Kopf. Elisabeth dämpfte ihre Zigarette aus, legte ihre Hände auf Thomas´ Schultern und sagte: „Die Antwort mag banal klingen, aber sie stimmt. Wenn ihr für immer zusammenbleiben wollt, dann trennt euch einfach nicht.“  Mit der Gegenüberstellung der zwei so unterschiedlichen Paare, lässt Freund nicht nur zwei ganz unterschiedliche Lebensmodelle aufeinanderprallen, sondern zeigt auch auf amüsante Weise, wie bestimmte Haltungen und Einstellungen generationenübergreifend immer wiederkehren. Der Blick auf die Menschen ist bei Freund immer ein liebevoller und von Verständnis geprägter. Es ist stets ein Augenzwinkern dabei und so gelingt es Freund, seine Romanfiguren mit all ihren Schwächen und Unzulänglichkeiten doch immer sympathisch und liebenswert erscheinen zu lassen. Mit welch schwereloser Sprach-Artistik René Freund mitunter agiert, ringt einem als Leser größte Bewunderung ab.
 

FAMILIENGESCHICHTE UND SPURENSUCHE

René Freund hat sich über viele Jahre als Meister des geistreich-amüsanten, leichthändig-heiteren Erzählens erwiesen. Er kann aber auch anders. „Hast du einen anderen Menschen erschossen?“ Mit dieser scheinbar einfachen und doch so schwierig zu beantwortenden Frage beginnt Rene Freund sein Buch „Mein Vater, der Deserteur“.  Zu Beginn der 2010er-Jahre machte Freund sich daran, ein Buch über seine Familiengeschichte zu schreiben. Er wählte dafür eine Art von Montagetechnik und verknüpft Passagen aus dem originalen Kriegstagebuch seines Vaters und Ergebnisse seiner Nachforschungen in Kriegsarchiven und aus Gesprächen mit Zeitzeugen mit den Erfahrungen seiner ganz persönlichen Spurensuche. René Freund fährt die Kriegsschauplätze seines Vaters ab und spürt so der Kriegsvergangenheit seines Vaters nach. Indem sich Freund für einen mehrdimensionalen und offenen Blick auf die Vergangenheit entscheidet, lässt er auch dem Leser viel Raum für eigenständige Überlegungen und die wichtige Frage: „Wie hätte ich mich damals verhalten?“  Gerhard Freund, der Vater des Autors, ist gerade einmal achtzehn Jahre alt, als er 1944 zur Wehrmacht eingezogen wird. Er nimmt an mit seiner Einheit an der Schlacht um Paris teil und desertiert ebendort. Er wird von der Resistance festgenommen und von amerikanischen Soldaten vor der Erschießung gerettet.  Gerhard Freund hat über diese Zeit ein Kriegstagebuch geschrieben, das auch davon erzählt, wie man in mörderischen Kriegszeiten versucht, einfach Mensch zu bleiben. Seinem Sohn Rene dient es als Fundament für die literarische Aufarbeitung seiner Familiengeschichte. „Wir sind, wie viele hier, Kriegstouristen. Aber nicht von der Sensationsgier getrieben, sondern von dem Wunsch zu verstehen.“ 
René Freund schreibt gut lesbare Bücher, die Gedankentiefe mit erzählerischer Leichtigkeit zu verknüpfen verstehen. Es gibt nicht allzu viele, die das können.
 
Foto: (c) Thom Trauner