Richard Ford - Der eigentliche Irrsinn

Richard Ford - Der eigentliche Irrsinn

Veröffentlicht am 02.11.2023

Ein Porträt des großen amerikanischen Autors. Von Christine Hoffer.

Sollte wieder einmal ein US-amerikanischer Schriftsteller den Nobelpreis für Literatur erhalten, so ist Richard Ford auf jeden Fall ein Kandidat an vorderster Stelle. Nicht zuletzt seine Romane um den Erzähler Frank Bascombe eröffnen ein grandioses Panorama des Alltagslebens des sogenannten kleinen Mannes, der kleinen Frau in der Kleinstadtwelt der US-amerikanischen Provinz.

Nicht viel wies in der Kindheit und Jugend darauf hin, dass der in Jackson, Mississippi, und Little Rock, Arkansas, aufgewachsene Richard Ford eines Tages Schriftsteller werden sollte. Seine Eltern verdienten sich ihr Geld als Händler und Hoteliers, wie auch Richard am College zunächst eine Ausbildung im Hotelfach ablegen wollte. An der Michigan State University in East Lansing fand er jedoch Zugang zum Schreiben. Er studierte sodann Literatur an der Universität in Irvine, Kalifornien, und arbeitete danach an mehreren Orten als Reporter, Redakteur und Hochschuldozent. Mit seiner Frau Kristina Hensley, die er in Michigan kennengelernt und 1967 geheiratet hatte, lebte er im Anschluss an die Collegezeit in nicht weniger als 14 verschiedenen Bundesstaaten. Auf Anraten Kristinas, die selbst erfolgreich als Dozentin und Stadtplanerin in New York und New Orleans tätig war, konzentrierte er sich ab 1981 ausschließlich auf das Schreiben.

EIN STÜCK MEINES HERZENS

Bereits sein Erstlingsroman „A Piece of My Heart“ (1976, „Ein Stück meines Herzens“) weist den besonderen Grundzug von Richard Fords Schreibens auf. Er schildert aus der Perspektive liebenswerter Außenseiter und Versager einen Alltag, der in seiner Banalität aus den Fugen geraten zu sein scheint. Die große Sehnsucht seiner Figuren nach Normalität stellt sich dabei als der eigentliche Irrsinn heraus. Zwei Männer verschlägt es auf eine gottverlassene sumpfige Insel im Mississippi, die man auf keiner Landkarte finden kann: Robard Hewes auf den Spuren einer Frau und Sam Newel auf der Suche nach sich selbst. Die Insel ist an einen Eigenbrötler verpachtet, der sie seit Jahrzehnten mit seiner Ehefrau und einem schwarzen Hausangestellten bewohnt. Hewes und Newel werden in Ereignisse verwickelt, die sie wie einen unentrinnbaren bösen Traum erleben, inmitten einer Spirale der Gewalt, die ebenso schockierend wie unvermeidlich ist.

In der 1982 entstandenen Kurzgeschichte „Rock Springs“, veröffentlicht im gleichnamigen Sammelband „Rock Springs“ (1987), stiehlt der Erzähler Earl für seine Flucht vor der Polizei einen auffälligen, „preiselbeerroten Mercedes“. Diese sichtbar missglückte Wahl sucht er gutbürgerlich damit zu rechtfertigen, dass der Wagen „für eine lange Fahrt bequem wäre“ und „nicht so viel verbrauche“. In den weiteren Geschichten des Bandes geht es um Männer, die gerade aus dem Gefängnis entlassen sind oder ihre Strafe antreten müssen, Frauen, die ihre Familien verlassen, Kinder und Heranwachsende, die das Zerbrechen der Ehen ihrer Eltern erleben. Es sind Menschen, die versuchen, die Scherben ihres Lebens zusammenzukitten, einen Rest von Sinn und Sicherheit zu finden, immer am Rande des Verbrechens, der Heimatlosigkeit, und am schlimmsten, der Einsamkeit.

Die großartige Erzählung „Die Optimisten“ wird aus der Sicht eines 13-jährigen Buben erzählt. Das Geschehen spielt an einem Abend. Die Mutter spielt mit einem befreundeten Ehepaar Karten, der Bub hört den banalen Gesprächen der Erwachsenen zu. Der Vater kommt von seiner Arbeit bei der Eisenbahngesellschaft nach Hause, er sieht mitgenommen aus und erzählt gleich warum. Ein Hobo, ein Landstreicher, ist eingeklemmt zwischen zwei Waggons zu Tode gekommen und der Vater war wohl Zeuge. Nun bricht plötzlich ein Streit aus zwischen dem Gast und dem Vater. Der Gast schimpft über die Gewerkschaften, dass sie schuld seien an solchen Unfällen, weil sie die Arbeiter unter Druck setzen und aufhetzen. Der Vater fühlt sich persönlich angegriffen, der Streit eskaliert, und er schlägt dem lästigen Gast mit einem Haken auf den Solarplexus. Der Mann fällt um und ist tot. Es war keine Absicht, wahrscheinlich wird er nur kurz wegen eines Unfalls im Gefängnis bleiben müssen. Aber die Familie zerbricht. Der Tod des Nachbarn wird für den Buben zur Initiation – von diesem Tag an ist er allein auf der Welt. Mit einem Schlag ist er erwachsen geworden. Viele Jahre später trifft er in einem Supermarkt zufällig die Mutter wieder – es ist ein Wiedersehen mit einer Person, die er kaum gekannt hat. Richard Ford beschreibt dies alles genau, vorurteilslos, zuweilen kalt, doch nie zynisch oder wertend.

DER SPORTREPORTER

Der Durchbruch gelang Richard Ford mit den Fortsetzungsromanen „The Sportswriter“ (1986, „Der Sportreporter“) und „Independence Day“. Beide spielen im fiktiven Städtchen Haddam, New Jersey, und schildern außergewöhnlich-alltägliche Geschehnisse aus dem Blickwinkel des Erzählers Frank Bascombe. In „The Sportswriter“ berichtet der Sportjournalist Bascombe, der eine literarische Karriere aufgegeben hat, von den kleinen und großen Ereignissen eines Osterwochenendes, wobei die Gedanken hauptsächlich um seine gescheiterte Ehe sowie um den Tod eines seiner Söhne kreisen. Trost spendet er sich paradoxerweise damit, dass die Konzentration auf den Sport keine literarischen Lügen zulässt.

Alles im Leben von Frank Bascombe scheint unter Kontrolle: Vergangenheit, Zweifel, mögliche Irrtümer. Doch eine Kette dramatischer Ereignisse bringt sein unaufgeregtes Leben in Schieflage. Ford entwirft mit Bascombe einen modernen amerikanischen Helden, der durch sein Leben schlafwandelt und alles tut, um einem bösen Erwachen zu entgehen. Es ist das Porträt eines Mannes, der sich in die Durchschnittlichkeit flüchtet, um Schmerz und Risiken zu vermeiden, und der sich dadurch um das zu bringen droht, was das Leben eigentlich ausmacht.

UNABHÄNGIGKEITSTAG

Im Folgeroman „Independence Day“ (1995, „Unabhängigkeitstag“) arbeitet Bascombe als Immobilienmakler. Er verschönt die Wirklichkeit in seinen „Verkaufsfiktionen“ frei nach der Wahrheitsmaxime der Branche: „Erstens die Lüge, zweitens die Lüge und drittens die Lüge“. Das Geschehen ist auf wenige Tage vor den Unabhängigkeitsfeiern am 4. Juli konzentriert. Bascombe begibt sich mit seinem Sohn Paul auf eine Ausflugsfahrt zu Sportmuseen der Umgebung, die dem von einer Jugendstrafe bedrohten Sohn eine neue Sicht der Dinge vermitteln soll. Ironischerweise endet die als Odyssee gestaltete Fahrt mit einer schwerwiegenden Augenverletzung Pauls. Auf die Form einer „road novel“ zurückgreifend, nutzt Ford die Fahrt, um ein Panorama der grotesk anmutenden Gewohnheiten der amerikanischen Gesellschaft der 1980er Jahre auszubreiten. Bascombe dient ihm dabei als kongenialer Berichterstatter und „Küchenphilosoph“, dessen Beobachtungsgabe und Reflexionsbemühungen eine komplexe erzählerische Oberfläche schaffen. Doppelbödig ist dabei auch Bascombes Suche nach moralischer und politischer Orientierung. Die im Wahlkampf 1988 angesiedelten Ereignisse wirken gerade in ihrem scheinbar unpolitischen Charakter zutiefst politisch: Am höchsten nationalen Feiertag, dem Jahrestag der amerikanischen Revolution, „spricht man nicht über Politik“.

Mit „Wildlife“ (1990) und der folgenden Novellensammlung „Women with Men“ (1997, „Eifersüchtig“ und „Abendländer“) hat Richard Ford weitere Werke vorgelegt, die ihren eigentümlichen Reiz aus der liebevoll vermittelten, perspektivisch verkürzten Wahrnehmung eines belanglosen Alltags ziehen.

In „Wildlife“ folgt man der Sicht des 16-jährigen Joe, der er im Laufe von drei Tagen die Ehe seiner Eltern zerbrechen sieht. Sein Vater hat seine Arbeit als Golfprofi verloren, und er schließt sich den Mannschaften an, die hinter der Stadt einen großen Waldbrand bekämpfen. Seine Mutter wird die Familie für einen anderen Mann verlassen. In ihrer Einsamkeit machen beide, Mutter und Vater, den Sohn zum Vertrauten. Als Joes Vater zurückkehrt, versucht er in wilder Eifersucht, das Haus des Liebhabers seiner Frau anzuzünden. All dies wird durch Joes Augen gesehen, und seine Unschuld, seine Trauer geben dem Roman eine große Intensität. Es ist ein außergewöhnlicher und großer Roman vom Erwachsenwerden in Amerika, in einer Gesellschaft, die Geborgenheit offenbar nicht kennt.

DIE LAGE DES LANDES

In „The Lay of the Land“ (2006, „Die Lage des Landes“) ist Frank Bascombe inzwischen 55 Jahre alt und er freut sich, mit schöner Strandvilla und zweiter Ehefrau Sally, auf den nächsten, ruhigeren Lebensabschnitt. Es ist der Spätherbst des Jahres 2000 an der amerikanischen Ostküste. Die Präsidentschaftswahl zwischen George W. Bush und Al Gore ist noch nicht endgültig ausgezählt, doch Bascombe, überzeugter Anhänger der Demokraten, befürchtet einen Sieg des Republikaners Bush, der das Land und nicht zuletzt seine Immobilienbranche in eine Rezession stürzen wird. Der ursprünglich aus Mississippi stammende Frank hat seine langjährige Heimatstadt Haddam, New Jersey, verlassen und lebt jetzt einige Kilometer weiter in Sea-Clift an der unmittelbaren Atlantikküste. Dort hat er sein eigenes Immobilienbüro Realty-Wise gegründet, das nur einen Angestellten beschäftigt, den geschäftstüchtigen Tibeter Lobsang Dhargey, der zwischen dem traditionellen Buddhismus Dalai Lamas und der amerikanischen Assimilation hin- und hergerissen ist.

Die Diagnose eines Prostatakrebs hat in Frank die Ahnung des nahen Todes aufgeworfen, auch wenn eine Behandlung mit radioaktiven Jod-Seed-Implantaten anschlägt. Seine 25-jährige Tochter Clarissa ist bei ihm eingezogen, um sich gemeinsam mit ihrer lesbischen Partnerin Cookie um seine Genesung zu kümmern. Er trifft seine Ex-Frau Ann Dykstra und wird von ihr mit einer Liebesbeteuerung überrascht, die er nicht erwidern kann. Trotz der Ahnung einer familiären Katastrophe lädt er sie zum Thanksgivingessen ein. Am Abend prügelt er sich in einer Bar und stürzt seinen Partnmer Mike in Verlegenheit, als er beim Wildpinkeln von einer Polizeistreife entdeckt wird.

An Thanksgiving ist Franks zweitgeborener Sohn Paul angekommen, der in Kansas City Grußkartentexte entwirft, eine Tätigkeit, die Frank so wenig ernst nehmen kann wie seinen ständig blödelnden Sohn, weswegen er dessen Plänen, in das väterliche Immobiliengeschäft einzusteigen, skeptisch gegenübersteht. Dafür schließt er seine Freundin Jill, die bei einem Unfall eine Hand verloren hat, schnell in sein Herz. Nachdem er ein Verkaufsgespräch vermasselt hat, erfährt Frank, dass sich seine Tochter Clarissa mit ihrem Freund gestritten hat. Bei der Flucht mit dessen Wagen fuhr sie einen Polizisten an und sitzt nun im Gefängnis von Absecon. Als Frank dorthin aufbrechen will, gerät er in den Überfall einer Jugendgang auf seinen Nachbarn und wird von zwei Kugeln in die Brust getroffen.

Frank überlebt die Notoperation. Als er aus dem Krankenhaus entlassen wird, holt er mit seinen Kindern und der angereisten Sally die Thanksgiving-Feier nach und sie vergraben gemeinsam eine Zeitkapsel im Garten. Wally Caldwell hat nach seinem langen Einsiedlerleben die Nähe Sallys nicht verkraftet und sich umgebracht. Ob sie endgültig zu Frank zurückkehren wird, ist noch offen, doch sie begleitet ihn zu einer Untersuchung an die Mayo Clinic, in der er erfahren wird, ob seine Prostatabehandlung von Erfolg gekrönt war. Seine Beerdigung hat er geregelt, doch Mikes Angebot, das Maklerbüro zu übernehmen, hat Frank zugunsten einer Teilhaberschaft zurückgewiesen. Er fühlt sich noch nicht reif, sich aufs Altenteil zurückzuziehen.

KANADA

In „Canada“ (2012, „Kanada“) geht es um nicht weniger als um illegalen Handel, einen Banküberfall und drei Morden. Dells Eltern sind nach einem gescheiterten Banküberfall in Montana festgenommen worden und er selbst ist zu seinem Schutz nach Kanada gebracht worden. Nun trifft er dort in einem einsamen Städtchen auf eine merkwürdige Schar von Menschen. Bei Arthur Remlinger kann er unterkommen, doch der Besitzer eines desolaten Jagdhotels erweist sich als ein Mann mit dunkler Vergangenheit.

Inmitten der überwältigenden Landschaft von Saskatchewan entfaltet sich nun die Coming-of-Age-Geschichte eines Jungen aus Great Falls, Montana. Anhand eines Kindheitstraumas macht der Erzähler klar, dass Alltag und Abgrund näher zusammengehören, als man denkt. Ständig darauf zurückkommend, sich erinnernd entwickelt der Ich-Erzähler seine Geschichte und die seiner Eltern, die auf einen Schlag zu Ende ist, als die Eltern einen Raubüberfall vermasseln und ins Gefängnis müssen. Ford verknüpft dieses den Helden plötzlich ereilende Ende der Pubertät überaus gekonnt mit einem Erkenntnisprozess, der Desillusionierung des Erwachsenwerdens.

FRANK

In „Let Me Be Frank with You“ (2014, „Frank“) ist Frank mittlerweile 68 Jahre alt und wohnt wieder im Vorort Haddam in New Jersey. Er hat sich trotz der Verwüstungen des Hurrikans Sandy (scheinbar, aber nicht ganz) gut entwickelt. Die Verwüstungen von Sandy, die Häuser, Küsten und zahllose Menschenleben unbefestigt und dem Erdboden gleichgemacht haben, bilden die Kulisse. Der Anruf eines Freundes zwingt Bascombe dazu, sich vor Ort mit der Katastrophe auseinanderzusetzen. Die Kulisse zerstörter Häuser wird zum Hintergrund, vor dem Ford mit der Stimme seines berühmtesten Helden über die Beschädigungen des Lebens räsoniert: über das Alter und Krankheiten, über Erlösung und letzte Dinge. Und wie nebenbei beschreibt er dabei abermals die Lage des Landes.

2017 legte Richard Ford mit „Between Them“ („Zwischen ihnen“) einen persönliche Bericht über seine Eltern vor, ein intimes Porträt des amerikanischen Lebens in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Seine Eltern berichteten kaum über ihr frühes Leben, und er fragte auch selten danach. Später setzte er dann ihre Geschichten aus Anekdoten, der Geschichte und gelegentlichen Fotos zusammen. Es entstanden eingefrorene Momente, die ihn mit einer anderen Zeit verbanden.

Edna Akin, eine dunkeläugige Schönheit aus Arkansas, deren Klosterausbildung von ihren umherziehenden Eltern abgebrochen wurde, verliebte sich im Alter von nur 17 Jahren in Parker Ford, einen großen Landbuben mit einem warmen, zögernden Lächeln, der in einem Lebensmittelgeschäft in Hot Springs arbeitete. Sie heirateten und begannen ein Leben auf der Straße im amerikanischen Süden, während Parker seinem Job als Handlungsreisender nachging. Die 1930er Jahre waren für die beiden im nachhinein wie ein einziges langes Wochenende, ein Wirbel aus zurückgelegten Meilen, getrunkenen Cocktails und verlassenen Hotelzimmern: New Orleans, Memphis, Texarkana. Dann wurde ein einziges, spätes Kind geboren, das schließlich alles veränderte. Richard Ford zeichnet hier ein lebendiges Panorama der USA in der Mitte des 20. Jahrhunderts und ein intimes Porträt des Familienlebens. Er untersucht die veränderte Wahrnehmung von Kindern gegenüber ihren Eltern und denkt auch über die Auswirkungen von Verlust und Hingabe nach. Man kann dieses schöne Buch durchaus auch eine erlösende Meditation und den großen Liebesakt eines Sohnes über seine Familie nennen.

VALENTINSTAG

In seinem neuen Roman „Be Mine“ (2023), der in der deutschen Übersetzung den sinnigen Titel „Valentinstag“ verpasst bekam (weil das Geschehen sich am Valentinstag abspielt), ist Frank Bascombe wieder zurück. Nun, im Alter von 74 Jahren, wird seine unangefochtene Meisterschaft, auf lässige Weise den Frieden mit sich und dem Leben zu machen, noch einmal extrem gefordert. Sein Sohn Paul, 47, ist krank, ihm bleibt nicht viel Zeit. Eng waren die beiden ja nie, doch jetzt verbindet sie die Bereitschaft, sich mit ungelenker Liebe auf das Kommende einzulassen, und auch mitunter ihr Blick für das Komische im Abseitigen. Sie mieten sich, quasi für ein letztes Abenteuer, ein Wohnmobil.

Die erzählte Zeit umfasst die zweieinhalb Tage Reisezeit im Februar 2019, bis zum Fest der Liebenden, dem Valentinstag (wie fast immer spielen Fords Bascombe-Geschichten um ein Datum herum). Franks Valentinskarte, die für Betty gedacht war, bekommt Paul. Und Paul hat auch eine. Sie bleiben zwanzig Minuten („nur zu schauen hat seine emotionalen Grenzen“) bei den vier Präsidenten, deren Gesichter irgendwie kleiner wirken als auf den monumentalen Fotos aus Büchern. Keiner von denen, da ist Frank sicher, würde heute zugelassen, geschweige denn gewählt. Paul „lächelt glückselig, als hätte er gerade etwas außerordentlich Überraschendes entdeckt. Eine Bestätigung. Ich bin schlicht glücklich, weil ich annehmen kann, wir sehen ein einziges Mal etwas gleich – mehr oder weniger. Es ist sinnlos, und es ist stupide. Es mag ihn nicht heilen, das zu sehen, aber ein bisschen vielleicht doch“. Frank ist eben doch ein Melancholiker. Paul Bascombe stirbt im September, in Scotsdale, dem Wohnort von Clarissa und ihrer Lebenspartnerin, „an einer völlig neuen Krankheit, von der wir nur flüchtig gehört hatten“. Der Epilog trägt wie der Prolog die Überschrift „Glück“.

Statt einer abschließenden Lebensbilanz bietet auch „Valentinstag“ wie die vier vorangegangen Bascombe-Bücher nur an, die „losen Enden des Lebens“, die eigentlich nicht zusammenpassen, immer neu zu ordnen, ein „unablässiger Prozess des Ordnens und Neu-Ordnens und Wieder-neu-Ordnens“. „Alles ist so kompliziert wie ein geometrisches Problem, wenn es um Angelegenheiten des Herzens geht“, hieß es im „Sportreporter“. Richard Ford stellt in all seinen Büchern Männer aus der Mittelschicht ins Zentrum und die besondere Leistung seiner Texte liegt gerade nicht in der unterschwelligen, selbstironischen Identifizierung mit dieser Perspektive, sondern in ihren geschickten, subtilen Brechungen. Da ist zum einen seine geradezu neorealistische Liebe zum trivialen Detail, seine Betonung der Wichtigkeit des unscheinbaren Augenblicks und seine akribische Wiedergabe skurriler, sinnentleerter Wendungen in der amerikanischen Alltagssprache. Und da ist zum anderen aber auch die reflexive Doppelbödigkeit, in der die lyrische Verdichtung der Sprache den Kunstcharakter der Texte vorführt. Richard Fords Prosa ist, so schrieb ein Kritiker, „so einfach und durchsichtig, dass sie beinahe schon wieder hermetisch ist“.

Foto (c) Peter-Andreas Hassiepen