Samsinger, Elmar - Die Berndorfer Stilklassen

Veröffentlicht am 21.03.2023
Kein herkömmlicher Museumsführer
Ein wohlmeinender Fabrikant schenkt seinen Arbeiterkindern eine Schule. Das ist nicht der Anfang eines Märchens, es ist die Geschichte einer besonderen Schule im niederösterreichischen Berndorf. Der Autor, Elmar Samsinger, hat diese Schule besucht und war begeistert. Spontan hat er die Hintergründe recherchiert und ist der spannenden Geschichte der Familie Krupp nachgegangen. So entstand ein geschichtlich wie kunsthistorisch interessantes Buch, das auch durch die wunderbaren Fotos von Christian Handl besticht.
Die Familie Krupp steht für Stahl und Kanonen – aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Der österreichische Zweig der Industriellenfamilie gründete 1843 in Berndorf die k.k priv. Berndorfer Metallwarenfabrik. Es war ein Start up, würde man heute sagen. Zunächst produzierte die Löffelschmiede wohlfeiles Besteck. Anfangsschwierigkeiten zum Trotz entwickelte sich das Unternehmen rasant. Die Belegschaft zählte 1895 etwa 3.500 Arbeitnehmer. Hermann Krupp warb mit Sozialleistungen. Er führte die Krankenversicherung ein, bezahlte einen Betriebsarzt und errichtete schon 1852 eine erste Fabriksschule für Arbeiterkinder.
Als Hermann Krupp starb, übernahm sein Sohn Arthur ein florierendes, weltweit bekanntes Unternehmen, das bis heute einen klingenden Namen hat. Allerdings nicht mehr mit Besteck, sondern Hightech. Krupp ließ Wohnhäuser für Arbeiter und Angestellte bauen, dazu einen Werksspeisesaal für 1.000 Personen, der auch für Veranstaltungen genutzt wurde. Hinzu kamen eine Lesehalle, eine Werksbäckerei und Metzgerei sowie 1890 die Berndorfer Konsum-Anstalt, wo man günstig einkaufen konnte. Der Protestant Arthur Krupp baute neben einem Rathaus sogar eine katholische Pfarrkirche samt Pfarrhaus. Zum Bau eines protestantischen Bethauses kam es erstaunlicherweise nicht. Krupp krönte sein Werk 1898 mit dem prächtigen Arbeitertheater, heute Stadttheater. Geplant wurde es von den Stararchitekten Fellner & Helmer. Es zu sehen, reiste sogar Kaiser Franz Joseph an, was im frisch renovierten Theater auf einem großen Gemälde festgehalten ist.
Das Motto Hermann Krupps – Bildung macht frei, Bildung macht fein – war anfangs gar nicht leicht umzusetzen. 1851 verhinderten staatliche Behörden die Errichtung einer Schule. Die katholische Kirche duldete keine Privatschulen für Arbeiterkinder. Doch die Krupps waren beharrlich und bauten in der Folge mehrere Schulen in Berndorf. Bei seinem vierten Schulprojekt hatte Arthur Krupp die grandiose Idee, Klassenzimmer der Knaben- und Mädchenschule in verschiedenen Stilrichtungen zu gestalten. So gibt es ägyptische, dorische, pompejanische, byzantinische, romanische und gotische Räume. Dazu Klassen im Stil Ludwig des XIV., des Barocks, Rokokos und Empires. Von den besten Architekten, Malern, Stuckateuren und Tischlern gestaltet, erfreuen Schüler, Lehrer und Besucher bis heute prächtige Portale mit wunderbaren Türschnallen, aufwändige Decken, reiches Stuckdekor, stilechtes Mobiliar. Einige Klassenzimmer, insbesondere die Ägyptischen, versetzen uns mit ihren vielfältigen Bildfriesen ins Zeitalter der Pharaonen. Hier gibt es kleine Unterschiede, bei den Mädchen wird getanzt, bei den Buben gekämpft. So konnten Krupps Arbeiterkinder seit 1909 ohne Reisen und Internet die Welt bestaunen. Durch das Engagement einiger Berndorfer haben die Stilklassen die Wirren der Zeit samt Russischer Besatzung überlebt, sie wurden liebevoll renoviert.
Krupp war ein kluger, wenn auch selbstherrlicher Patriarch, der in die Ringstraßenepoche Kaiser Franz Josephs bestens passte. Er gestaltete sein Lebenswerk, eine architektonisch perfekte Historismusstadt samt Schulen und Sozialeinrichtungen für seine Arbeitnehmerfamilien. Das ließ er sich immerhin mehr als 100 Millionen Kronen kosten. In den Wirren des 20. Jahrhunderts stilisierte man ihn trotzdem zum Klassenfeind und fackelte nach dem zweiten Weltkrieg seine prächtige Villa ab.
Um uns die Stilklassen näherzubringen, erzählt Elmar Samsinger in seinem reich illustrierten Buch zu jedem Klassenzimmer Geschichten, in denen wir berühmten historischen Gestalten und bedeutenden Ereignissen begegnen. So wird aus dem Buch, ganz im Sinne Krupps, eine kleine Weltgeschichte. Im Anhang gibs einen Stadtplan, dazu die Besichtigungszeiten außerhalb des Unterrichts. Samsingers Werk ist kein herkömmlicher Museumsführer. Das Buch ist so spannend zu lesen, dass man es in die Tasche stecken und sofort nach Berndorf fahren möchte, um das historische Erbe der Krupps und ihre Stilklassen zu besichtigen!
Renate Oppolzer
Samsinger, Elmar - Die Berndorfer Stilklassen
Fotos: Handl, Christian. Berndorf: Kral 2022. 196 S. - kt. : € 14,90 (GK) ISBN 978-3-99103-058-4