Scholl, Sabine - Transit Lissabon (1940)

Veröffentlicht am 24.04.2025
Roman über das Exilleben 1940.
Auf der Flucht sein – das große Thema dieses Romans. Berlin, Wien, Paris und dann Lissabon, der Ort, der dem Roman auch seinen Titel gibt. Drei Freund:innen aus dem Künstlermileu müssen, wie so viele, vor den Nazis flüchten. Conrad, Billy und Ava sind einander durch große Zuneigung verbunden – ein schöner Aspekt der Geschichte, der besonders hervorzuheben ist.
Als Leserin erlebt man die letzten Reste des Berlins der 1920er Jahre zu Beginn des Romans und wie es die Nationalsozialisten schrittweise unter ihre absolute Kontrolle bringen. Die nächsten Jahre verbringen die drei Protagonist:innen gemeinsam in Wien, zwischen Theater und Heurigen, bis sie auch aus dieser Stadt flüchten müssen und nach Paris kommen, DER Exilstadt für viele Linke und Künstler:innen nach der Machtübernahme der Nazis.
In Paris wird das Gefühl einer Zwischenstation deutlich stärker. Auf der einen Seite versuchen alle zu arbeiten und weiterhin in ihrem Bereich zu wirken, auf der anderen Seite hat es für alle bloß etwas Vorübergehendes. Es ist ein Warten, bis sie endlich wieder zurück in ihr altes Leben können. Diese Hoffnungen werden zerstört, als die Nazis ihren Blitzkrieg gen Westen beginnen. Flüchten wird immer schwieriger (wohin?) und das Exilleben bekommt etwas Dauerhaftes und Hoffnungsloses, vor allem für Billy.
Die nächste Station der Flüchtlinge ist Lissabon. Der Alltag der Flüchtlinge in der portugiesischen Hauptstadt ist geprägt von Anträgen für Visa, der Suche nach Schiffspassagen, der Organisation eines Affidavits und dem Nicht-Verzagen im bürokratischen Dschungel. Der Umgang der Freund:innen mit der neuen Situation in Lissabon ist dabei erstaunlich unterschiedlich. Conrad wird zum Macher – in einer jüdischen Hilfsorganisation beschäftigt, unterstützt er jüdische Flüchtlinge gemeinsam mit seiner Freundin Lou. Sein Freund Billy steht im absoluten Kontrast zu ihm. Er, der Schriftsteller, verliert seine Fähigkeit zu schreiben und verfällt in eine umfassende Hoffnungslosigkeit. Und Ava kann man dabei verfolgen, wie sie sich von einer frechen Wiener Schauspielerin zur katholischen Schriftstellerin entwickelt.
Durch den kapitelweisen Perspektivenwechsel zwischen den Protagonist:innen ist es Sabine Scholl hervorragend gelungen, die unterschiedlichen Herausforderungen des Exillebens zu beleuchten. Auch die Schilderungen der Gesellschaft Portugals sind ein Highlight des Buches. Zum einen eine autoritäre, konservative Diktatur am Rande Europas, die Geschäfte mit den Nazis macht, gleichzeitig aber Flüchtlinge (zum Durchschleusen) aufnimmt und versucht, sich aus dem tobenden Zweiten Weltkrieg herauszuhalten. Lissabon ist für viele Exilant:innen die letzte Hoffnung, um Deportation und Konzentrationslagern zu entkommen.
Auch wenn der Roman grundsätzlich fiktiv ist, erkennt man beim Lesen die realen Personen, auf denen der Roman beruht und die umfassende Recherchearbeit der Autorin, der es gelungen ist, Geschichte lebendig werden zu lassen.
Julia Stroj
Scholl, Sabine - Transit Lissabon (1940)
Roman. Berlin: Weissbooks 2024. 285 S. - fest geb. : € 27,50 (DR) ISBN 978-3-86337-215-6