Schulman, Alex - Vergiss mich

Schulman, Alex - Vergiss mich

Veröffentlicht am 17.06.2025

Ringen um die Beziehung zur Mutter.

„Frage Nummer fünf: ‚Nennen Sie ein Ereignis in Ihrem Leben, bei dem das Trinken Ihres Angehörigen sich besonders negativ auf Sie ausgewirkt hat.‘ Ich soll eine Erinnerung niederschreiben. Dafür habe ich zwei Zeilen Platz. Ich empfinde das als geradezu unverschämt. Wie soll ich denn Mamas negativen Einfluss auf mein Leben in nur zwei Zeilen zusammenfassen?“ Alex Schulmans Mutter ist nach Jahrzehnten langer Alkoholerkrankung erstmalig in eine Entzugsklinik aufgenommen worden. Über diese Jahrzehnte und die letzten Lebensjahre seiner Mutter erzählt er in seinem jetzt auf Deutsch erschienenen Roman.

Die Mutter ist die Tochter von Sven Stolpe, dem bekannten Schriftsteller. Bereits in „Verbrenn alle meine Briefe“ hat er sich mit dem unglücklichen Liebesreigen seiner Großmutter auseinandergesetzt und den egozentrischen Dichter-Großvater porträtiert. Nunmehr wagt er sich an die wohl schwierigste und prägendste aller Beziehung – die zu seiner Mutter. Nach und nach legt er Szenen aus der Familiengeschichte frei und versucht herauszufinden, wieso sich er und seine Brüder Calle und Niklas so voneinander entfremdet haben.

Glückliche Familien gleichen einander, unglückliche Familien dagegen sind unglücklich auf ihre besondere Art (frei zitiert nach dem Beginn von „Anna Karenina“). So zeichnet Schulman dies in Szenen aus seiner Familie eindrücklich nach. Liebesentzug, Schweigen, Schläge, die Mesalliance der Eltern, des sanften, aber viel älteren Vaters und der Mutter, die schon sehr früh tagelang das Bett nicht verlässt oder den Kleinkindern gegenüber mit Wutanfällen agiert.

Schulmans Schilderungen sind keine Beweisführung für das Versagen elterlicher Bezugspersonen. Er zeigt auf sehr unmittelbare Weise, wo tiefe Verletzungen und Verwundungen entstehen können das die eigene Beziehungsfähigkeit beeinflusst. Sein Ringen um die Beziehung zu seiner Mutter wirkt auch in seiner eigenen Ehe und Vaterschaft, woran er seine Leser auch Anteil nehmen lässt. Feinfühlig, berührend, schmerzlich klar und versöhnlich zugleich ist sein Blick auf die Menschen in seiner Familie. Mit seinen Romanen ist er einer der interessantesten Stimmen seiner Generation.
Julie August

Schulman, Alex - Vergiss mich
Roman. München: dtv 2025. 256 S. - fest geb. : € 24,95 (DR) ISBN 978-3-423-28480-6 Aus dem Schwed. von Hanna Glanz

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