Steidl Verlag - Handwerk als ein Synonym für Buchkunst
Veröffentlicht am 21.06.2024
Der Verlag Steidl. Ein Porträt von Peter Klein.
Über die Jahre wurde die Druckerei Steidl in Göttingen zu einer der berühmtesten Druckerpressen der internationalen Verlagswelt. Ob Mode, Kunst oder Literatur – es ist Gerhard Steidls Anspruch, die Ideen von Künstlern und Autoren umzusetzen, mit keinem geringeren Anspruch als dem, Buchkunst zu schaffen. Er hat im Lauf der Jahre einen Buchverlag aufgebaut, in dessen Programm sich große internationale Autor:innen finden wie Günter Grass, Halldor Laxness und Claire Keegan. Neben dem Büchermachen konzipiert und kuratiert Gerhard Steidl auch Ausstellungen vor allem von Fotografen.
Mit 19 Jahren, direkt nach dem Abitur, begann Gerhard Steidl als Drucker und Gestalter in einem eigenen kleinen Betrieb in Göttingen zu arbeiten. Zu den Kunden seiner Siebdruckwerkstatt, in der er Plakate und Druckgrafik herstellte, zählten bald zahlreiche bekannte Künstler. Beeinflusst von Andy Warhol und Joseph Beuys, begann er 1970 die Zusammenarbeit mit Klaus Staeck, dessen Plakate und Poster bei Steidl veröffentlicht wurden. 1972 wie Joseph Beuys, Marcel Broodthaers oder Nam June Paik. 1972 erschien mit „Befragung der documenta” das erste Buch im Steidl Verlag, naturgemäß ein Kunstbuch.
Der Verleger wollte aber mehr und es folgten von 1974 an politische Sachbücher (von Günter Wallraff, Bernt Engelmann, Klaus Staeck, Oskar Negt u.a. Und in den frühen 80er die ersten literarischen Titel (Heinrich Böll, Elfriede Jelinek, Heiner Müller, Anna Achmatowa, Tschingis Aitmatow, Anna Larina Bucharina, Henry Green, Halldor Laxness, Norman Manea u.a.). 1989 kam das erste Taschenbuch im Steidl Verlag heraus.
Als Günter Grass seinen damaligen Verlag Luchterhand 1993 unter Protest verließ, fand er im Steidl Verlag eine neue Heimat, der nunmehr die Weltrechte an dessen Werk hält. Zum 80. Geburtstag von Günter Grass (der 1999 den Literaturnobelpreis erhielt) gab der Steidl Verlag 2007 eine schön gestaltete, wohlfeil hergestellte zwölfbändige Werkausgabe heraus. Gerhard Steidl sagte damals, es sei ihm sehr daran gelegen gewesen, diese zu Lebzeiten des Autors herauszubringen.
Vom isländischen Nobelpreisträgers Halldòr Laxness finden sich ebenfalls sämtliche Werke im Literaturprogramm von Steidl. Neben ausgesuchten deutschsprachigen Autor:innen wie den Klassikern Eduard von Keyserling, Erich Mühsam, Hermann Kesten stehen Bücher etwa von Christof Hamann, George Tabori, Jürgen Lodemann, Erich Loest, Rolf Schneider, Bernd Wagner, Sarah Kirsch, Elke Erb, Peter Rühmkorf, Gerold Späth.
Im internationalen Belletristik-Programm finden sich vor allem Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen, von Sebastian Barry, John McGahern, Edna O’Brien, Colin Barrett, Maeve Brennan, A.L. Kennedy, Véronique Bizot, Henry de Montherlant bis hin zur gefeierten irischen Erzählerin Claire Keegan.
Verlag der Fotografen
Der Steidl Verlag ist einer der wenigen eigentümergeführten und konzernunabhängigen Verlage in Deutschland. Der Schwerpunkt des Programms liegt weiterhin neben der Belletristik auf Büchern von internationalen Fotografen. Von Robert Frank, Joel Sternfeld, Richard Serra, Bruce Davidson, Bruce Davidson, Robert Adams, Lewis Baltz, Dayanita Singh, Ed Ruscha, Roni Horn, Arnold Odermatt, Susan Meiselas, Karl Lagerfeld, Saul Leiter, Lou Reed, Martin Schoeller, Juergen Teller, Alessandra Borghese, Jim Rakete, Khalid Al-Thani, Tomasz Gudzowaty und vieler anderer.
Der Verlag wird nach wie vor (seit nunmehr über 50 Jahren) von Gerhard Steidl geleitet. 1992 hat er den berühmten Modemacher Karl Lagerfeld kennengelernt, einen bekannten Buchliebhaber und -sammler. Lagerfeld war von den ihm gezeigten Druck- und Papiermuster aus der Werkstatt Steidl verzaubert, dass er unbedingt mit diesem Verlag etwas herausbringen wollte. So erschien 1993 ist das erste Buch mit Lagerfeld mit dem Titel „Off the record“.
Seither wurden für Chanel Werbematerialien (darunter die Kataloge, Flyer und Einladungen zu Haute-Couture-Shows) bei Steidl produziert. Lagerfeld sagte, Gerhard Steidl sei der „beste Drucker der Welt“. Die Zusammenarbeit mit Lagerfeld bestand bis zu dessen Tod 2019. Lagerfeld, der selbst eine der weltweit größten Fotobuchsammlungen besaß, war bei Steidl auf den Geschmack gekommen und so produzierte sie seitdem gemeinsam Bücher. Neben den eigenen Fotoproduktionen gab er mit Gerhard Steidl gemeinsam die Edition 7L heraus mit über 40 Titeln, die beide nach ihrem Geschmack ausgesucht haben, darunter etwa die New-York-Fotos von Lou Reed oder „Paper Dreams“, frühe Film-Standaufnahmen aus der Sammlung des Schweizers Christoph Schifferli.
Neben seinen Fotobüchern gestaltete Lagerfeld im Steidl Verlag ab 2010 als Programmchef das Imprint L.S.D. (Lagerfeld. Steidl. Druckerei. Verlag), der mit seinen Büchern bewusstseinserweiternd wirken soll. Lagerfeld: „Die Lektüre ist eine wunderbare Droge, für die es Gott sei Dank keine Entziehungskur gibt, wenn man abhängig davon wird … Dieser Zustand kann sich nur aufs Angenehmste verschlechtern. Ich bin in dieser Beziehung ein glücklich Süchtiger. Kann mir das Leben gar nicht ohne diesen Stoff vorstellen.“
Der „Vielleser“ ließ in seinem Verlag eine Auswahl seiner Lieblingsbücher, vor allem Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen, erscheinen, die seine „vielseitigen Interessen“ (von Literatur, Biografie, Mode, Kunst, Ästhetik bis Musik) widerspiegelten. Bei einigen dieser außergewöhnlich aufwändig im Steidl Verlag gedruckten Titel war er auch als Illustrator oder/und als Herausgeber tätig gewesen. Hier erschienen Bücher von Saki, Charles Dantzig, Michel Onfray, Claire Waldoff, David Hume, Bücher über Coco Chanel, Sarah Bernhardt, Audrey Hepburn, Pablo Picasso, Virginia Woolf, Baruch Spinoza oder Friedrich Nietzsche.
Handwerk als Buchkunst
Jedes Steidl-Buch zeichnet sich durch seine individuelle Gestaltung und Ausstattung aus. Der für seine Papierleidenschaft bekannte Drucker und Verleger wählt das Papier und das Leinen stets persönlich aus und überprüft die Produktionsschritte vom Layout bis zum Druck. Jedes Buch aus dem Steidl Verlag geht also, so lässt der Verleger es verbreiten, wortwörtlich durch Gerhard Steidls Hände. Die Werkstatt Steidl, der Verlag in der Düsteren Straße ist in der Branche berühmt als Bücherburg, als Ort besessener Druckkunst, wo Handwerk ein Synonym für Buchkunst ist, die der Chef, ein Frühaufsteher, in der Regel von fünf Uhr morgens an betreibt.
Foto: Der Verleger Gerhard Steidl, (c) Steidl Verlag