Strömquist, Liv - Das Orakel spricht

Strömquist, Liv - Das Orakel spricht

Veröffentlicht am 01.07.2025

Eine Graphic Novel als Analyse des modernen Ratgebertums.

Vor langer Zeit, im alten Griechenland, gab es in Delphi ein Orakel. Ratsuchende pilgerten von nah und fern an diesen Ort, der – wie man heute weiß – über einer Felsspalte stand, der giftige Dämpfe entströmten. Die weisen Priesterinnen gaben ihre Prophezeiungen nur dann ab, wenn im Vorfeld eine Ziege hereingeführt wurde, die zucken musste, wenn man sie mit Wasser bespritzte. Drei Monate im Jahr war der Tempel für Ratschläge geschlossen, weil der Dionysus-Kult ihn da für seine ausufernden Feste reserviert hatte.

Wenn Liv Strömquist von antiken Prophet:innen schreibt, dann ist ihr Tonfall humorvoll, wenn auch leicht lakonisch. In „Das Orakel spricht” untersucht sie jedoch in erster Linie deren moderne Verwandten, und hier fällt ihr Urteil um einiges kritischer aus. Von Beauty-Influencer:innen auf Instagram, über Star-Astrologen, die US-Präsidenten beraten und damit das Schicksal der Welt mitlenken, bis zum Imperativ der ständigen Selbstverbesserung (ob durch religiöse Askese oder doch eher durch Protein-Shakes) – all das sind moderne Orakel, die uns zeigen sollen, wie schöner, besser, effizienter doch alles sein könnte, wenn wir unser Leben nur nach ihren Ratschlägen gestalten würden. Und das alles für nur 20 Euro im Monat.

Strömquist referenziert für ihre Analyse des modernen Ratgebertums eine Reihe an Theoretiker:innen, von Slavoj Žižek über Sigmund Freud bis zu Eva Illouz. Für die Frage, wieso unsere heutige Gesellschaft besonders empfänglich für selbsternanntes Expertenwesen scheint, liefert sie mehrere Ansätze: dass selbst Gefühle in das kapitalistische System eingegliedert und dafür instrumentalisiert werden, dass ein stetiges Streben nach Kontrolle es verunmöglicht, authentisch zu lieben, und dass die Suche nach dem inneren Kind vielleicht doch einfach nur gesellschaftliche Werte reproduziert. Von der ständigen Angst vorm Tod ganz zu schweigen.

Humorvoll erzählt, theoretisch fundiert und unterhaltsam gezeichnet schließt der Comic nahtlos an frühere Erfolge der Autorin wie „Der Ursprung der Welt” und „Der Ursprung der Liebe” an. Eine Empfehlung besonders für all jene, die sich gerne wieder einmal in aller Ruhe ent-optimieren möchten.
Lisa Edelbacher

Strömquist, Liv - Das Orakel spricht
Berlin: avant 2024. 248 Seiten - kt. : € 26,95 ISBN 978-3964451156 Aus dem Schwed. von Katharina Erben

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