Treuer, Robert - Und ich lernte zu kämpfen

Treuer, Robert - Und ich lernte zu kämpfen

Veröffentlicht am 15.11.2023

Bemerkenswerter Lebensweg vom Karl-Marx-Hof zu den Anishinaabe.

"Unser Hausmädchen, eine gläubige Katholikin, führte mich an der Hand zu ihren sonntäglichen Gottesdiensten. Auf dem Weg dorthin versicherte sie mir, dass ich bei Gott keine Chance hätte und in die Hölle käme, weil ich nicht getauft sei ..." Robert Treuer wurde am 31. Jänner 1926 in Wien in eine jüdisch-sozialdemokratische Familie geboren. Bereits als Kind musste er einen Teil der unseligen politischen Entwicklung in Österreich miterleben. Die Dollfuß-Diktatur, den Schutzbundaufstand des Jahres 1934, den zunehmend aggressiven Antisemitismus unter großen Teilen der Bevölkerung und als Heranwachsender nicht zuletzt die Vertreibung aus Österreich und die harten Zeiten und Risiken der Flucht in die Länder der Welt hinaus. Zuerst mit seiner Mutter nach England und später, im Jahr 1939, mitsamt seiner Familie in die Vereinigten Staaten (Ohio), wo er sich erfolgreich als Gewerkschafter und Aktivist der indigenen Anishinaabe engagierte.

Mit diesem beachtenswerten Buch legt er anhand seiner eigenen Geschichte und dem bitteren Schicksal seiner Familie beredt und anschaulich Zeugnis ab! Dabei vermittelt er eindrucksvoll und in umfassenden Details ein erschütterndes Gesellschaftsporträt und Zeitzeugnis. Vom Wiener Karl-Marx-Hof aus bis nach Nordamerika. Schonungslos führt er mit diesem Buch seiner Nachwelt die erlebten Grausamkeiten des nationalsozialistischen Systems und ihre unmenschlichen Praktiken, Abartigkeiten und Auswüchse vor Augen.

Hier geht er bemerkenswerterweise auf eine, aus meiner persönlichen Sicht, in der zeitgeschichtlichen Dokumentation über menschlichen Verbrechen im Nationalsozialismus bisher all zu wenig beachteten Unpersonen ein: Irmgard Ilse Ida Grese (1923-1945). Eine deutsche KZ-Aufseherin in den Konzentrationslagern Ravensbrück, Auschwitz-Birkenau sowie Bergen-Belsen. Sie befand sich unter jenen 45 Angeklagten im ersten Bergen-Belsen-Prozess, der vom 17. September bis 17. November 1945 unter britischem Militärrecht verhandelt wurde.

Den Angeklagten wurde die Verletzung von Kriegsgesetzen und Kriegsgebräuchen vorgeworfen. Grese wurde in der Verhandlung wegen grausamer Misshandlung alliierter weiblicher Häftlinge, wegen der Anordnung und teilweisen persönlichen Ausführung von Erschießungen und Selektionen und nicht zuletzt wegen der Anwendung unmenschlicher Foltermethoden für schuldig erklärt. Grese, die auf nicht schuldig plädierte, wurde am 17. November 1945 zum Tod durch den Strang verurteilt. Am 13. Dezember 1945, Grese war 22 Jahre alt, wurde im Zuchthaus Hameln das Urteil vollzogen.

Unter dem Titel "Der Weg eines jüdischen Arbeiterkindes aus Sievering zu den Anishinaabe in Minnesota" fügte der Politikwissenschafter und Sozial- und Kulturanthropologe Thomas Schmidinger dem sehr interessanten und wichtigen Buch ein profundes Nachwort an.
Adalbert Melichar

Treuer, Robert - Und ich lernte zu kämpfen
Vom Karl-Marx-Hof zu den Anishinaabe. Nachw. von Thomas Schmidinger. Wien: bahoe books 2022. 130 S. - fest geb : € 18,50 (BB) ISBN 978-3-903290-79-2 Aus dem amerikan. Engl. von Rudi Gradnitzer

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