Vertlib, Vladimir - Die Heimreise
Veröffentlicht am 22.05.2024
Roman als Hommage an die Mutter.
Allem voran: Vertlib ist ein genialer Erzähler. Er versteht es ausgezeichnet, seiner Leserschaft politische Zeitenwenden, Landschaften, Gesellschaften und menschlicher Schicksale tief berührend, aufrüttelnd und aufklärend zu vermitteln. Dies zeichnet auch diesen Roman aus, bei dem es sich um eine stimmungsgeladene Hommage an seine Mutter handelt. Zugleich ist dieses Buch auch ein satirisches Sittenbild der sowjetischen Diktatur in den 1950er Jahren und der nach-stalinistischen Ära.
Im Mittelpunkt des Romans steht die jüdische Studentin Lina. Sie leistet gerade zwangsweise ihren Arbeitsdienst im fernen Kasachstan, als sie eine verschlüsselte Nachricht von zu Hause erhält. Ihr geliebter Vater sei schwer krank! Lina beschließt die sofortige Heimreise und erhält dafür sogar von der allmächtigen und undurchschaubaren Bürokratie die nötige Ausreisegenehmigung. Doch es sollte so einfach nicht kommen! In Gesellschaft einer jungen Frau gerät diese Reise zu einem kaum glaubhaften abenteuerlichen Wagnis.
Vertlib geleitet in der Folge seine Leserschaft ungemein wortgewaltig und plakativ von Kasachstan nach Moskau durch das nachstalinistische sowjetische Riesenreich. Dabei spart er nicht mit satirischer, aber auch berechtigter Kritik an dieser, wie man meinen möchte, Volksdemokratie! Grassierende Armut, Hunger, undenkbare Lebensbedingungen, verlassene Dörfer, öde Landschaften, kaum glaubhafte Reisebedingungen, absurde Sitten und Lebenshaltungen in großen Teilen der Gesellschaft, vor allem aber auf dem Land, willkürliche Polizeigewalt, Vernaderung und menschlich unerträgliche Verunglimpfungen, Ausgrenzungen und Erniedrigungen – vor allem von Frauen – auf Schritt und Tritt. Ein beeindruckendes Werk, das man gelesen haben soll!
Adalbert Melichar
Vertlib, Vladimir - Die Heimreise
Roman. Salzburg: Residenz 2024. 350 S. - fest geb. : € 25,95 (DR) ISBN 978-3-7017-1783-5