Wagenbach Verlag - Bücher als Zeichen gegen die Wegwerfmentalität

Wagenbach Verlag - Bücher als Zeichen gegen die Wegwerfmentalität

Veröffentlicht am 11.06.2023

Ein kleines Porträt des großen Wagenbach Verlags. Von Peter Klein

Der vor einem Jahr mit 91 Jahren gestorbene Klaus Wagenbach, der ab 1949 beim damals noch vereinten Verlag Suhrkamp/Fischer eine Lehre als Buchhändler absolvierte und für den Franz Kafka zur großen Leidenschaft wurde, gründete 1964 seinen eigenen Verlag in West-Berlin. Und er verlegte sogleich Autoren wie Günter Grass oder Ingeborg Bachmann. Er stand für eine Kultur der Einmischung und des demokratischen Streits und galt als Prototyp des politischen Verlegers der 68er Bewegung. Und er wollte aufwändig gemachte Bücher verlegen, die "hundert Jahre halten sollten, wie er meinte.

Das Startkapital zur Verlagsgründung in Höhe von 100.000 DM besorgte sich Klaus Wagenbach aus dem Verkauf einer Wiese, die ihm sein Vater geschenkt hatte, sowie einiger beweglicher Güter seines Haushalts und den Einnahmen aus seinem zweiten Buch „Franz Kafka in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten“. Das Startkapital deckte jedoch nur Herstellungskosten der ersten elf Bücher und des kleinen Verlagsalmanachs. Miete und Gehälter, Vertriebs- und Vertreterkosten waren noch nicht eingeplant. Doch man kam durch.

Zu Beginn wurden allgemeine Grundsätze für die eigene Verlagsarbeit festgelegt, und zwar zusammen mit Autoren wie Günter Grass, Ingeborg Bachmann, Hans Werner Richter und Johannes Bobrowski: Die Arbeit des Verlags dient nicht dem Profit, sondern folgt den inhaltlichen Absichten; allen Autoren wird Honoraregalität auf höchstem Niveau und Absicherung vor Missbrauch ihrer Rechte gewährt sowie ein Maximum an Selbstverwirklichung, Mitsprache und Information zugesichert; die Bücher dürfen nicht überteuert sein; die Leser sollen nicht nur durch Texte über die Bücher, sondern auch durch Auszüge aus den Büchern informiert werden, mit einem kostenlosen jährlichen Almanach „Zwiebel“. In den 1980er Jahren wurde in der „Zwiebel“ auch stets eine Bilanzübersicht des Verlags veröffentlicht.

Der Verlag brachte von Anfang an auffällige Buchformate heraus und fiel auf durch die originelle Gestaltung seiner Bücher. Die „Quarthefte“ brachten ab 1965 Erstausgaben zeitgenössischer Autor:innen und waren in Schwarz gehalten (und waren übrigens nicht im Quartformat, sondern im Oktavformat, 21,5 × 13 cm). Beginnend mit Erinnerungen von Kurt Wolff wurden in dieser Reihe Texte von damals noch unbekannten Autoren wie Christoph Meckel und Johannes Bobrowski und von sehr bekannten wie Ingeborg Bachmann, Günter Grass und Hans Werner Richter veröffentlicht, die sich mit je einem Buch am Projekt Wagenbach Verlag beteiligten. Das Serienformat garantierte, dass der Buchhandel zusammen mit den Büchern bekannter Schriftsteller auch jene unbekannterer Autor:innen vorrätig hielt.

Klaus Wagenbach wollte von Beginn an die Spaltung der Literatur in West- und Ostdeutschland vermeiden und veröffentlichte daher unter anderem den im Westen boykottierten Stephan Hermlin und den im Osten boykottierten Wolf Biermann. Biermanns Balladen, denen er den Titel „Die Drahtharfe“ gab, bewirkten, dass der Verlag alle zugesagten Lizenzen aus der DDR verlor und Wagenbach bis 1973 ein Einreise-, später sogar Durchreiseverbot durch die DDR erhielt, sodass er Westberlin nur mit dem Flugzeug erreichen und verlassen konnte. Damit waren alle „Pläne eines Ost-West-Verlags“ gescheitert.

1966 wurde mit „Und Vietnam und“ der erste Gedichtband von Erich Fried im Wagenbach Verlag veröffentlicht. Der große Erfolg für Erich Fried folgte dann in den 70er Jahren mit seinen „Liebesgedichten“, einem Bestseller, der bislang mehr als 300.000 Mal verkauft wurde. Klaus Wagenbach war mit seinem erklärten Lieblingsautor Erich Fried auch bis zu Frieds Tod 1988 eng befreundet.

Ab 1968 erschien die Reihe „Rotbücher“, eine ausschließlich der Neuen Linken und der außerparlamentarischen Opposition (APO) gewidmete Buchreihe, die eine politisch-theoretische Ergänzung der belletristischen Literatur im Verlagsprogramm darstellen sollte. Und man begann mit der von anderen Verlagen abgelehnten Gesamtausgabe der Shakespeare-Übersetzungen von Erich Fried. Ab 1970 wurde das legendäre, von Hans Magnus Enzensberger herausgegebene „Kursbuch“ vom Verlag Wagenbach verlegt.

Schon 1969 initiierte man das Experiment einer kollektiven und solidarischen Verlagsarbeit, das hieß, dass der Verlag als einer der ersten in der BRD ein Statut bekam, das die Rechte und Pflichten aller Mitarbeiter (auch der Eigentümer) klar regelte. In seinen wesentlichen Punkten sah es eine weitgehende Mitbestimmung der Verlagsangehörigen bei allen ökonomischen Prozessen, gleiches Gehalt für alle Mitarbeiter und regelmäßige Besprechungen aller wichtigen Angelegenheiten vor. Bei dieser Verlagsverfassung wurde das Lektorat von der Kollektivierung ausdrücklich ausgeschlossen und erhielt eine autonome Verfassung. Manuskripte wurden jeweils von den drei Lektor:innen des Verlags lektoriert und nur bei Zustimmung aller drei veröffentlicht. 1971 wandelte Klaus Wagenbach den Verlag in eine GmbH mit zwei Gesellschaftern um, wodurch er dem Kollektiv die Hälfte seiner Verlagsanteile schenkte.

Nach heftigen Auseinandersetzungen kam es 1973 zur Spaltung des Verlags und zur Gründung eines neuen Verlags Klaus Wagenbach. Und es entstand der Rotbuch Verlag.

1971 verlor Wagenbach einen Prozess um „Bambule“, die literarische Vorlage eines Fernsehspiels von Ulrike Meinhof. Im selben Jahr veröffentlichte das Kollektiv in der Reihe Rotbuch ein Manifest der Rote Armee Fraktion (RAF) mit dem Titel „Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa“, das zusammen mit dem „Roten Kalender für Schüler und Lehrlinge 1972“ die Berliner Staatsanwaltschaft dazu veranlasste, Hausdurchsuchungen im Verlag vorzunehmen und beide Publikationen sowohl im Verlag als auch in den Buchhandlungen zu beschlagnahmen, da diese Schriften Aufforderungen zur Gewalt und kriminellen Vereinigung sowie Anstiftung zur Sachbeschädigung enthielten.

Es folgten Klagen unter anderem auch wegen des „Roten Kalenders 1973“, in dem Klaus Wagenbach die Erschießung zweier Studenten durch die Polizei als „Ermordung“ titulierte, was ihm eine Beleidigungsklage einbrachte. Er wurde in erster Instanz freigesprochen, verlor aber, nachdem der Polizeipräsident Revision einlegte, und wurde zu einer Strafe von 1.800 DM sowie 20.000 DM Gerichtskosten verurteilt. Klaus Wagenbach verlor jeden seiner vier Prozesse in den Jahren 1974/75. Er wurde zu Geldstrafen und einer Gefängnisstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt.

Ab 1975 erschien die neue Buchreihe „Wagenbachs Taschenbücherei“ (WAT) mit literarischen und politischen Texten der jeweiligen Zeit und einem kleinen Schwerpunkt von Büchern aus Italien. Die Reihe erhielt das Motto: „Lasst uns Denken und Laune anstiften statt vorschreiben. Und den Kopf schütteln, das heißt lockern.“.

1987 gründete der Verlag die Reihe „SALTO“, eine Buchreihe, hergestellt nach klassischer handwerklicher Tradition, in leuchtend rotes Leinen gebunden. Hier erscheinen Texte von modernen Klassikern und zeitgenössischen Autor:innen in einer klassischen Form.

2002 übergab Klaus Wagenbach die Leitung seines Verlags an seine Ehefrau Susanne Schüssler, die den Verlag auch heute noch leitet. Klaus Wagenbach blieb jedoch bis zu seinem Tod im Jahr 2021 im Verlag weiterhin als Lektor und Berater tätig und war mit seiner Tochter Nina, die den Vertrieb leitet, Teil der Geschäftsführung.

Der Wagenbach Verlag bringt weiterhin wunderschöne Bücher heraus, ist selbstverständlich weiterhin unabhängig und macht davon naturgemäß auch Gebrauch. „Er ist nicht groß, aber erkennbar“, so charakterisiert die Verlegerin ihren Verlag: „Wir veröffentlichen Bücher aus Überzeugung und Vergnügen, mit Sorgfalt und Ernsthaftigkeit. Wir wollen unbekannte Autoren entdecken, an Klassiker der Moderne erinnern und unabhängigen Köpfen Raum für neue Gedanken geben. Es erscheinen Literatur, Geschichte, Kunst- und Kulturgeschichte, Politik aus den uns geläufigen Sprachen: Italienisch, Spanisch, Englisch, Französisch und natürlich Deutsch. Und unsere Bücher sollen schön sein, aus Zuneigung zum Leser und zum Autor und als Zeichen gegen die Wegwerfmentalität“.

Foto: Klaus Wagenbach (c) Wagenbach Verlag