Wallstein Verlag - Weiter verlegen
Veröffentlicht am 20.11.2023
Ein Porträt des Wallstein Verlags. Von Peter Klein
Der Wallstein Verlag in Göttingen (Niedersachsen) ist bekannt für seine sorgfältigen und gestalterisch anspruchsvollen Editionen deutscher Literatur seit dem 18. Jahrhundert und bietet zudem nicht nur der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur eine herausragende Plattform. Er ist einer der wenigen Verlage, der den komplizierten Spagat zwischen Wissenschafts- und Publikumsverlag schafft.
Gegründet wurde der Wallstein Verlag 1986 von Thedel von Wallmoden gemeinsam mit Dirk und Frank Steinhoff. Nach ersten Erfolgen durch den Einsatz von für damalige Verhältnisse innovativer Computertechnologie für den Satz und die Gestaltung von Büchern startete er 1988 sein Buchprogramm mit dem durchaus eher speziellen Briefwechsel zwischen Gottfried August Bürger und seinem Verleger Johann Christian Dieterich („Mein scharmantes Geldmännchen“). Als im Jahr 1992 die Brüder Steinhoff den Verlag verlassen hatten, trat Markus Ciupke als Gesellschafter in die GmbH ein. 2004 übernahm dann Thorsten Ahrend weitere Geschäftsanteile und der legendäre Lektor ist seitdem für das belletristische Programm im Wallstein Verlag verantwortlich (Ahrend brachte u.a. Robert Schneiders „Schlafes Bruder“ bei Reclam Leipzig heraus und war später Lektor im Suhrkamp Verlag, wo er beispielsweise Martin Walser und Peter Handke betreute). Seit 2013 ist Nikola Medenwald Mitglied der Geschäftsleitung. Der Verlag beschäftigt aktuell 28 feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ungefähr 180 Neuerscheinungen pro Jahr begleiten. 2018 wurde der Verlag Konstanz University Press (KUP) als Imprint übernommen und bildet unter der Leitung von Bernd Stiegler und Alexander Schmitz eine wichtige Erweiterung und programmatisch innovative Ergänzung des geisteswissenschaftlichen Programms. Bei KUP sind z.B. Übersetzungen bedeutender internationaler Autorinnen und Autoren wie Judith Butler, Georges Didi-Huberman und Franco Moretti erschienen.
PROGRAMMSCHWERPUNKTE
Wallstein setzt seine Programmschwerpunkte in den Geisteswissenschaften und der Belletristik. Nachdem anfänglich der thematische Fokus noch vorwiegend auf der Literatur- und Ideengeschichte des 18. Jahrhunderts lag, hat sich der Verlag über die Jahre mit Veröffentlichungen aus einem breiten wissenschaftlichen Spektrum einen Namen gemacht. Die wichtigste Programmsparte ist heute neben der Literaturwissenschaft die Geschichtswissenschaft mit einem Schwerpunkt in der Zeitgeschichte, der Erforschung des Nationalsozialismus mit besonderem Augenmerk auf dem Völkermord an den europäischen Juden und der Geschichte des Antisemitismus. Inzwischen wurde das geschichtswissenschaftliche Programm auch um Publikationen und Quelleneditionen zum Mittelalter und zur Frühen Neuzeit erweitert.
Seit Verlagsgründung wurde eine Vielzahl von kommentierten Editionen älterer Texte der deutschen Literatur publiziert, etwa Werkausgaben von Barthold Heinrich Brockes, Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Johann Peter Hebel, Ludwig Christoph Heinrich Hölty, Johann Heinrich Merck, Adolph Freiherrn Knigge, C. F. Meyer, Friedrich Rückert und Rahel Varnhagen. Die große historisch-kritische Edition des „Faust“ (2018) zeigt überdies beispielhaft, wie sich eine für jeden zugängliche Publikation (Open Access) und ein schön gedrucktes Faksimile der wichtigsten Handschrift zum zweiten Teil der Faust-Dichtung, sowie eine gedruckte Ausgabe des konstituierten Textes des gesamten „Faust“ kongenial ergänzen.
Darüber hinaus sind viele bedeutende Editionen von Texten aus dem 20. Jahrhundert im Wallstein Verlag erschienen, darunter (alphabetisch) Werkausgaben von Hannah Arendt, Stefan Andres, Peter Altenberg, Hugo Ball, Nicolas Born, Max Brod, Albert Ehrenstein, Peter Gan, Irmgard Keun, Annette Kolb, Gertrud Kolmar, Anton Kuh, Else Lasker-Schüler, Christine Lavant, Ernst Meister, Joseph Roth, Ernst Toller, Armin T. Wegner und Hans Wollschläger sowie Nachlasspublikationen von Carl Zuckmayer (etwa der „Geheimreport“, 2002) oder Briefeditionen von Gottfried Benn, Johannes Bobrowski, Claire und Yvan Goll, Karl Kraus, Rainer Maria Rilke, Joseph Roth und Golo Mann. Seit 2020 wird die im Verlag Stroemfeld / Roter Stern begonnene große „Franz Kafka-Ausgabe. Historisch-Kritische Edition sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte“ im Wallstein Verlag fortgeführt.
WEITER LEBEN
Der größte Erfolg und von herausragender Bedeutung für die Entwicklung des Verlags war 1992 Ruth Klügers Buch „weiter leben. Eine Jugend“, das einer der großen Bestseller auf dem deutschen Buchmarkt und schließlich auch international wurde. Seit Erscheinen wurden im deutschen Sprachgebiet mehr als eine halbe Millionen Exemplare verkauft und das Buch in zehn Sprachen übersetzt. Weitere große Erfolge bei der Literaturkritik und im Buchhandel waren zum Beispiel auch die Romane „Hundert Tage“ (2008) und „Hagard“ (2017) von Lukas Bärfuss oder der erste Roman der Kärntner Slowenin Maja Haderlap, die auch 2011 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann („Engel des Vergessens“). Die erste große Werkausgabe von Christine Lavant (2024-2018) wurde sensationell gut aufgenommen und auch etwa die Österreicherin Teresa Präauer konnte bereits 2012 mit ihrem Roman „Für den Herrscher aus Übersee“ reüssieren.
EIN EHERNER GRUNDSATZ
Seit dem Eintritt von Thorsten Ahrend in den Verlag wurde das belletristische Programm erheblich erweitert. So erscheinen bei Wallstein mittlerweile Bücher von Nicolas Born, Thomas Brussig, Daniela Danz, Ralph Dutli, Adolf Endler, Leander Fischer, Harald Hartung, Gabriele Kögl, Ulrike Kolb, Ludwig Laher, Dea Loher, Hermann Peter Piwitt, Patrick Roth, Doris Runge und Matthias Zschokke. Sie setzen deutliche Akzente in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Ein eherner Grundsatz wird seit Anbeginn und auch weiterhin strengstens eingehalten: Die nach traditioneller Buchkunst anspruchsvoll hergestellten Bücher auch ansprechend zu gestalten und sie sorgfältig drucken und verarbeiten zu lassen. Erklärtes Ziel des Verlags ist es, so verkünden sie es stolz auf ihrer Website (wallstein-verlag.de) durch eine attraktive Preisgestaltung nicht nur Bibliotheken, sondern besonders auch interessierte Leser als Käufer anzusprechen.
Im Mai 2020 wurde der Verlag mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet. In der Jurybegründung heißt es: „Der Wallstein Verlag hat seit den 1980er Jahren eine kluge Kooperationsstruktur entwickelt, um sonst kaum finanzierbare Gesamtausgaben wie die der Briefe, Texte und Gedichte von Johann Peter Hebel und Rahel Varnhagen, Christine Lavant, Nicolas Born und Adolf Endler zu realisieren. Er hat sich außerdem insbesondere um die Geisteswissenschaften verdient gemacht und flankiert beide Sparten mit einem belletristischen Programm, das sowohl für Entdeckungen wie für ganz traditionelle Autorenpflege steht.“ 2023 wurde der Verlag dann erneut mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet.
Herausragend sind übrigens auch andere Aktivitäten des Verlag: So unterstützt er aus seinen Gewinnen jährlich ein soziales Projekt wie etwa die „Göttinger Tafel“ (sie gibt überschüssige gespendete Lebensmittel kostenlos an Menschen in Notsituationen weiter) oder ein Behindertenheim in Rumänien. Außerdem ist er Zustifter der Kurt-Wolff-Stiftung, die von unabhängigen Verlegern gegründet wurde und sich die Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene zum Ziel gesetzt hat. Dafür ist der Wallstein Verlag sicherlich eines der besten Beispiele.
Foto: Der Verleger Thedel von Wallmoden an seinem Arbeitsplatz (Wallstein Verlag)