Weber, Anne - Bannmeilen
Veröffentlicht am 13.09.2024
Ein Roman in Streifzügen durch die Vororte von Paris.
Der Untertitel des Buches beschreibt den Inhalt bereits auf eine wunderbare Weise. Denn es sind viele Streifzüge durch Vororte von Paris auf die sich die Ich-Erzählerin begibt. Auch der Haupttitel „Bannmeilen“ ist sehr treffend. Denn gleich zu Beginn schildert die Ich-Erzählerin (Ist es die Autorin? Es bleibt offen), dass sie bisher sich noch nie in die Banlieues begeben hat und das, obwohl sie viele Jahre in Paris bereits lebt. Man bewegt sich als Pariserin immer Richtung Zentrum – oder fährt einfach am Weg zum Flughafen durch.
Anlass für die Streifzüge ist ein Filmprojekt ihres Freunds Thierry. Er soll einen Dokumentarfilm drehen, dessen Fokus auf die Auswirkungen der Ausrichtung der Olympischen Spiele in Paris auf die Vorstädte liegen soll. Thierry, selbst erfolgreicher Filmemacher, ist hier in diesen Banlieues aufgewachsen und lebt immer noch hier. Er nimmt die Ich-Erzählerin auf seine Streifzüge für geeignete Drehorte mit und erfüllt dabei die Funktion des Reiseführers. Bei diesen Streifzügen entdeckt man durch die Perspektive der Ich-Erzählerin eine für sie unbekannte Welt. Die Neugierde und Offenheit, mit der sie durch die Straßen streift, macht es zu einem einfühlsamen Leseerlebnis, was sonst leicht ins Voyeuristische abgleiten könnte.
Immer wieder ziehen sie gemeinsam los und erkunden neue Ecken und Abschnitte. Es geht durch Wohnblocks, Industriegebiete oder Friedhöfe; entlang an Autobahnen oder vorbei an Schulen. Trist und grau ist vieles, dass sie sehen. Und es liegt sicherlich nicht nur an der Jahreszeit. Durch die ironischen Dialoge wird diese Atmosphäre aber immer wieder aufgelockert, ergänzt um wissenswerte Erkenntnisse aus nachträglichen Recherchen, die gekonnt in den Roman einfließen. Dabei lernt man vieles über die französische Zeitgeschichte, insbesondere über die Besetzung von Paris durch die Nazis und die Zeit des Befreiungskriegs von Algerien gegen die Kolonialherrschaft. Zwei Themen, denen sich die Autorin auch in ihrem Roman „Annette. Ein Heldinnenepos“ ausführlich gewidmet hat.
Aber auch die Frage des Umgangs oder oftmals Nicht-Umgangs der Franzosen mit der Migration spielt immer wieder eine Rolle. Nicht zuletzt wegen Thierrys Biografie stehen Fragen der Identität im Raum. Eine besondere Rolle nimmt hierfür ein Café ein. An diesem Ort treffen so viele unterschiedliche Menschen aufeinander und Anne Weber verwebt ihre Geschichten und Erfahrungen zu einer wunderbaren Melange. Die Gespräche liefern einen Eindruck, den man nur durch die Streifzüge wohl nicht bekommen hätte. Dieses Café und seine mitunter skurrilen Gäste bereichern den Roman sehr.
Abschließend lässt sich festhalten, dass der Roman zwar ganz ohne Spannungsbogen auskommt, dies seinem Inhalt aber keinen Abbruch tut. Insbesondere als aus Österreich kommende/r Leser:in liefert er einen Einblick in eine Welt, die nicht weit weg und doch so fern ist.
Julia Stroj
Weber, Anne - Bannmeilen
Ein Roman in Streifzügen. Berlin: Matthes & Seitz 2024. 301 S. - fest geb. : € 26,50 (DR) ISBN 978-3-7518-0955-9