Weber, Eleonore - Die Bäume am Abhang
Veröffentlicht am 09.02.2024
Gedichte.
In den auf vier Kapiteln (I. im abstand, II. im uhrwerk, III. am abhang, IV. im abstand) verteilten 83 Gedichten, die in Bezug zueinander stehen und in denen „die sterne“ oder das „bürgerlich sein“ genauso Thema ist wie „völkisches beobachten“, „corona“, „die welt in der nussschale“, „johanna dohnal“ oder „mutters nachsichtiges lächeln“, werden Ereignisse „als dinge / als ströme / und als kräfte / verortet / oder als besitz“. „bürgerlich sein“ wird als das interpretiert, „wo alles / hingehört“. Und doch gibt die Autorin sehr deutlich zu verstehen, „dass nichts so ist wie es vorgibt zu sein“, weil man „die dinge einfach unterschätzt“, die nämlich „nicht so stabil (sind wie) angenommen“. Eine der Protagonistinnen, die in diesem von einem Satz aus den Duineser Elegien von Rainer Maria Rilke inspirierten Gedicht-Zyklus zu Wort kommen, und zwar: „die tochter“, macht allerdings die Erfahrung, dass man „dinge / auch notwendig brauchen kann / wie einen bissen brot / oder wie einen baum am abhang“.
Insgesamt sind in den teilweise sehr melancholischen Texten vier Frauenstimmen am Wort: Neben der „tochter“ noch: „die tochter der tochter“, „die mutter“ sowie „die mutter der mutter“. Während Erstere den Verlust ihres Übermuts beklagt und den Umstand, „nicht einmal mehr mutig sein“ zu können, empfindet sich „die tochter der tochter“ als jemand, der vom bühnenrand (...) / in die menge gestürzt (ist) / die plötzlich ein hof war“ und „die mutter“ ihr „ich sein“ als „unsichtbar ungesehen unbekannt“, als könnte sie „noch einmal ganz von vorne anfangen“, ihr „aussehen ändern / einen anderen körper tragen“. Andererseits kommt der „mutter der mutter“ vor, dass ihr jeder „mit zugeschlagenen türen“ beginnender Gedankengang „zehn neue“ öffnet.
Es ist eine breite Palette an Empfindungen, auf die man hier stößt. Man erhält tiefe Einblicke in weibliche Vorstellungen und Denkweisen. Es geht um Kindheitserinnerungen, um das Verhältnis Mutter-Tochter, um Alltag und Beziehung. Und „um des lieben frieden(s) willen“ wird fleißig revidiert und sogar „kreide“ gefressen. Bleibt als Erkenntnis: „langweilendes staunen / wie die zeit so verfliegt“. Denn sie „stechen uns aus / unsere leben“. Und zum Baumthema passend fährt „ein schiff aus rinde / (...) den stamm hinauf / ins meer“ und macht deutlich, dass das, „was bleibt (…) nicht eingenäht werden (kann) mit ein paar wörtern in eigene taschen“.
Sätze, die sich von dem „hier so auf zetteln“ Stehenden nähren, werden gestreut „wie salz“. Angespornt von der Vorstellung: „das defizit lebt unter uns“ treiben sie vielfältige Blüten. Als eine ihrer Botschaften darf man mitnehmen: „dein ruf ist schneller als dein schatten / du bist was du dir ausdenkst“. In diesem Sinne mäandern diese lyrischen Texte, die (ob es nun um maul- und klauenseuchegeplagte Rinder geht, „die briefe an doktor sommer“, die Eroberung des Mondes oder Corona, durch deren pandemischen Charakter plötzlich „DIE WELT IN DER NUSSSCHALE“ gelandet ist) auf genauen Beobachtungen und Analysen beruhen, immer weiter und werden zu einer brodelnd spannenden Textmasse, die man sich gönnen soll, weil sie sehr schön zeigt, dass nicht „alles / austauschbar“ ist und keine „zeit (…) die vorangegangene / löschen ihre erinnerungen und glaubenssysteme / schreddern“ kann. Denn wie heißt es doch so schön: „was liegt das pickt“. Und wenn es auch nur übereinandergestapelte Kinderhände sind.
Andreas Tiefenbacher
Weber, Eleonore - Die Bäume am Abhang
Gedichte. Wien: Edition fabrik.transit 2023. 102 S. - kt. : € 13,00 (DL) ISBN 978-3-903267-31-2