Wieser Verlag - Den europäischen Boden mit Büchern gesät
Veröffentlicht am 02.06.2017
Robert Leiner über 30 Jahre Wieser Verlag
„Wenn Sie einen Verlag gründen wollen, müssen Sie einen langen Atem haben, so etwa 25 bis 30 Jahre“, sagte der legendäre Programmchef des Verlags Gallimard, François Erval, einst zu Lojze Wieser, vor mehr als 30 Jahren. Und der Atem hat gereicht, so der Verlagsgründer, „trotz Morddrohungen, Briefbomben, wirtschaftlichen Aufs und Abs“.
Nun kann der Wieser Verlag tatsächlich sein das 30-jähriges Jubiläum feiern. Aus diesem Anlass bringt der Verleger auch eine Sammlung mit den seinen Lieblingsgedichten heraus (unter dem Titel „… und darin fliegt eine Schwalbe“) und einen Prosaband „Im dreißigsten Jahr“, in dem Lojze Wieser Anmerkungen zu Autoren, Themen und Büchern versammelt, die ihn begleitet und motiviert haben und die er immer wieder gerne zur Hand nimmt (dass die Auswahl aus 1300 vergebenen und knapp 1000 lieferbaren Titeln nicht leicht war, ist nachvollziehbar), und einen 500 Seiten starken „Europa erlesen – Europa!“-Jubiläumsband. Im Jubiläumsjahr erschienen neben einem umfangreichen Programm übrigens auch die fünfbändige Ausgabe von Miroslav Krleža Jahrhundertroman „Die Fahnen“, sowie eine Werkausgabe von Jiří Gruša oder von Wilhelm Pevny eine Gesamtausgabe.
Als Lojze Wieser begonnen hat, Literatur aus dem Europäischen Ost zu verlegen, den vielen Literaturen ihres Raumes Gesicht zu geben, als er die slowenische, kroatische, serbische, albanische, bulgarische, rumänische, ungarische, tschechische, slowakische und polnische Literatur herauszugeben begann, war die Sowjetunion noch nicht Vergangenheit, Jugoslawien noch nicht von einem Krieg zerstückelt und die Europäische Union in der heutigen Form unerreichbar. Aber er und seine Mitsreiter hatten die Ahnung einer vielstimmigen Welt im Sinne gehabt, von der die Autorinnen und Autoren in ihren Büchern, ihren Versen, ihren Erzählungen und ihren Träumen berichteten und wie sie deren Übersetzerinnen und Übersetzer ins Deutsche herüberbrachten.
„Von Anfang an haben wir uns alle Mühe gegeben, die Bücher schön zu gestalten und haben auf die Auswahl der Materialen große Sorgfalt gelegt“, erinnert er sich. Und: „Wir haben die Bücher sorgsam ediert und Inhalt und Form formvollendet zusammengebracht. Im Literarischen, beim literarischen Schmuggel, zogen wir gemeinsam durch die Lande, seit Jahren. Auch im ersten Jahrzehnt des eigenen Verlages zogen wir, der Wortlandstreicher Ludwig Hartinger und ich, der Verleger, gemeinsam aus. Unterwegs trafen wir den noch etwas leute- und mikrofonscheuen, doch liebenswürdigen Kerl (wenn einer Tiroler Gröstl zubereiten kann, dann er!), den Kritiker und Essayisten Karl-Markus Gauß. Als Kumpanen machten wir uns auf den Weg, der Ignoranz den Kampf anzusagen. Waren die ersten beiden slowenischen Bücher des neu gegründeten Verlages ‚Critce mimogrede‘ und ‚Prošnji dan‘ von Florjan Lipuš, die wir in Ljubljana am 16. 11. 1987 der staunenden Öffentlichkeit präsentierten, so war das erste Buch im deutschsprachigen Programm die Sammlung von Porträts ‚Tinte ist bitter‘ aus der Feder von Karl-Markus Gauß. Mit diesen drei Büchern haben wir die gesamte Breite des Programms skizziert. Von unseren Träumen, jeden Monat am selben Tag ein bestimmtes Buch in allen europäischen Sprachen zu präsentieren, also von einer europäischen Austauschbibliothek, sind wir auch heute noch weit entfernt, aber einiges hat sich in der Zwischenzeit ja doch bewegt. Ein wenig der einstigen Träume hat sich verwirklichen lassen. Immer wieder ergänzen wir uns. Auch noch heute, jeder an seinem Platz – vielleicht dadurch noch wirksamer. Einer, der am Anfang auch prägend wirkte, war der eigenwillige, exzellente slowenische Grafiker Matjaž Vipotnik. Mit ihm konnten wir das Manko, kein Werbekapital zu haben, durch schön gestaltete Bücher wettmachen. So haben wir jene Grundlagen gelegt, auf denen wir auch die schwersten Zeiten des Verlages übertauchen konnten.“
Seit 30 Jahren baut Lojze Wieser Brücken zwischen Ost und West. Seit knapp 40 Jahren ist er Verleger, seit 30 Jahren hat er seinen eignen Verlag. 1954 in Klagenfurt geboren, gründete Lojze Wieser nach einer Buch- und Handelslehre und der Arbeit in Buchhandlungen und Druckereien seine eigene Druckerei in Wien. Von 1981 bis 1986 war er Leiter des Drava Verlages. Während des Slowenien-Krieges, 1991, war er Koordinator des Informationsbeschaffungszentrums des Österreichischen Rundfunks (ORF) und organisierte für Autoren aus dem Raum Ex-Jugoslawiens das Exil. Seit 1987 ist er Eigentümer des Wieser Verlags. 2016 erwarb die Wieser Verlag GmbH den Klagenfurter Drava Verlag, der nun von einer Wieser-Mitarbeiterin geleitet wird. Die bisherigen Drava-Eigentümer erhielten als Ausgleich 35 % der Wieser Verlag GmbH.
„Europa“, so schreibt Lojze Wieser, „kann nur erlesen werden: Buch für Buch, nicht Krieg um Krieg“. Wieser, Kärntner Slowene, zweisprachig an der Scheidelinie zwischen Ost und West, weiß wovon er redet, und er ist unter anderem Verleger geworden, um einer Literatur Sprache zu geben, die in dem bisherigen Raum wenig Gehör gefunden hat.“
In diesen 30 Jahren wurden im Wieser Verlag über 1000 Bücher verlegt, davon sind rund 10 Prozent Sachbücher und wissenschaftliche Werke, der Großteil Belletristik (davon etwa 400 Übersetzungen aus dem Ost- und Südosteuropäischen Raum). Rund 100 slowenische Bücher wurden verlegt. Rund 80 Bände wurden in und aus der slowenischen Literatur ins Deutsche übersetzt und verlegt, rund 25 österreichische Werke erschienen in Slowenisch.
Es wurde die Reihe „Europa erlesen“ begründet (bis jetzt 200 Bände), in der wir alleine knapp 8000 Texte von 3000 Autorinnen und Autoren abgedruckt haben – wovon ein Drittel von Übersetzerinnen und Übersetzern aus über 50 Sprachen ins Deutsche übertragen wurden. Die Reihe und die „Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens“ hat mittlerweile Kultstatus erreicht.
Der Wieser Verlag hat den neu gepflügten europäischen Boden mit Büchern gesät und damit die Kultur zur Fortsetzung mit anderen Mitteln gemacht. Dieses einzigartige Bemühen um internationale Verständigung und Versöhnung ist Ausdruck von Beharrlichkeit. Auch Briefbomben und Morddrohungen konnten bisher seinen Weg nicht beirren. Sein mutiges Engagement ist geleitet vom Wunsch, durch das näher bringen von Kultur und Sprache, den Menschen dauerhafte Achtung und Würde zu geben. „Der Wieser Verlag ist ein Projekt von Vielen für Viele“, so Lojze Wieser, „was wir gemeinsam begonnen haben, ist der erste systematische Versuch, dem europäischen Osten in seiner sprachlichen und kulturellen Vielfalt im europäischen Westen – auf gleicher Augenhöhe – eine Öffentlichkeit und Gehör zu verschaffen. Es ist der nachhaltige kulturelle Versuch, die europäische Integration mit neuen sprachlichen Melodien zu entfalten, durchs Lesen und Übersetzen sich kennenzulernen und mit Kultur und Literatur die europäische Vielfalt zu meistern.“
Foto: Der Verleger Lojze Wieser in seinem Verlag (c) Wieser Verlag)